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Bücher statt Drogen

In Guadalajara findet jedes Jahr eine Buchmesse statt, die für die gesamte spanischsprachige Welt von Bedeutung ist. Und das, obwohl es gerade einmal in sechs Prozent aller Orte in Mexiko eine Buchhandlung gibt. Gerade oder vielleicht genau deswegen geht es bei dieser Messe vor allem um eines: den Verkauf.

Holger Ehling im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich |
    Burkhard Müller-Ullrich: Tagsüber 25 Grad, nachts zwölf: Das ist der Winter in Guadalajara, der 1500 Meter hoch gelegenen mexikanischen Millionenmetropole, 500 Kilometer westlich der Hauptstadt. Dort findet jedes Jahr eine Buchmesse statt, die für die ganze spanischsprachige Welt von Bedeutung ist, und dort erreichen wir den deutschen Buchmarktexperten Holger Ehling. Sagen Sie mal, Herr Ehling, wieso eigentlich Guadalajara – ist das geographisch besonders günstig, oder was ist der Grund?

    Holger Ehling: Das hat damit zu tun, dass die Messe veranstaltet wird von der Universidad de Guadalajara, und diese Universität verfügt nicht nur über diese Messe als Investment, sondern auch über einen Fußballclub, zwei Radiostationen, zwei Fernsehstationen und viele andere Geschichten. Und die haben das als Investment im Grunde als Geldwaschmaschine.

    Müller-Ullrich: Ich finde es gut, dass Sie schon zweimal das Wort Investment gebraucht haben. So sind wir ja mitten im Thema, denn ich wollte Sie tatsächlich mal ein bisschen zu den wirtschaftlichen Zusammenhängen befragen. Der spanischsprachige Raum ist ja nun wahrhaftig kein kleiner. Das heißt, ob man dort reüssiert als Verlag oder nicht, entscheidet sich das in Guadalajara oder auf welchen Plattformen?

    Ehling: Nach wie vor gilt, dass Spanien dominant ist. 60 bis 70 Prozent der Bücher, die vertrieben werden in Lateinamerika, kommen aus Spanien oder kommen über spanische Kanäle.

    Müller-Ullrich: Gibt es da so eine Gegenbewegung? Ärgert das die Lateinamerikaner, dass das so ist?

    Ehling: Es ist ja so: Wenn ein meinetwegen deutsches Buch von einem Verlag in Barcelona oder Madrid übersetzt wird, dann heißt das erst mal, dass es in iberisches Spanisch übersetzt wird, was sich mittlerweile doch deutlich wegentwickelt hat von dem Spanisch, was etwa in Mexiko oder Argentinien oder Ecuador oder Kolumbien gesprochen wird. Zum zweiten ist es so: Wenn ein Buch in Spanien erscheint, dann ist es in der Regel unwirtschaftlich, einen physischen Vertrieb zu machen in Ländern wie zum Beispiel Peru oder Ecuador oder anderen. Dort hat man ganz einfach enorme Vertriebskosten und die Bücher von A nach B zu schaffen ist sehr, sehr teuer. Wir haben eben auch die Situation, dass das gleiche Buch, das meinetwegen in Spanien 10 Euro kostet, hier in Mexiko zwölf, 13 Euro kostet.

    Müller-Ullrich: Das Kosten ist die eine Sache, das Lesen wollen und Lesen können ist eine andere - die Alphabetisierungsrate ist ja auch noch nicht so hoch dort.

    Ehling: J die Alphabetisierungsrate ist in den meisten lateinamerikanischen Ländern relativ gering, das heißt so zwischen 70 und 80 Prozent. Die Regierungen in den verschiedenen lateinamerikanischen Staaten unternehmen Verschiedenes, um Bücher zu relativ preiswerten Konditionen anzubieten, bis hin zur kostenlosen Verteilung. Ganz vorne dabei ist da zum Beispiel Mexiko, das jedes Jahr mehr als 600 Titel für Bibliotheken in Schulen und in Jugendbibliotheken ankauft, und zwar mit sehr, sehr hohen Auflagen, und allein dieses Programm hat dafür gesorgt, dass der Übersetzungsmarkt aus Deutschland und aus anderen Ländern in die spanischsprachige Welt deutlich angekurbelt worden ist seit den letzten sieben, acht Jahren.

    Müller-Ullrich: Das heißt, für die ohnehin dominanten Großverlage im Westen ist das eigentlich ein gutes Geschäft?

    Ehling: Für die Großverlage ist das auf jeden Fall ein gutes Geschäft, wobei wir, wenn wir über Großverlage reden, mit Ausnahme von Random House, also dem Bertelsmann-Ableger, von Unternehmen reden, die im spanischsprachigen Markt riesig groß sind. Das ist Planeta, die im spanischsprachigen Markt, aber auch in Frankreich sehr, sehr stark sind, und das ist Santillana, das ist eine Verlagsgruppe, die zum gleichen Haus gehört wie die bei uns auch bekannte Tageszeitung "El País". Diese Unternehmen machen richtig viel Geld.

    Müller-Ullrich: Random House, das von Ihnen erwähnte Bertelsmann-Oberlabel, hat sich ja zu diesem Zweck mit Mondadori, mit dem italienischen Großverlag, zusammengespannt und die Tatsache, dass man jetzt die Mondadori-Beteiligung ganz haben möchte, bedeutet, dass man da gute Geschäfte macht.

    Ehling: Ja natürlich. Dieser Zukauf der bisher noch nicht im eigenen Besitz befindlichen Anteile von Random House/Mondadori ist ganz klar eine Ansage, dass man im lateinamerikanischen Markt starke Wachstumschancen sehen will.

    Müller-Ullrich: Wie ist denn diese Buchmesse in Guadalajara strukturiert? Kommt da viel Publikum? Als internationale Plattform gibt es ja immer noch Frankfurt. Wir haben uns ja aus deutscher Perspektive angewöhnt, da es ohnehin die weltgrößte Buchmesse ist in Frankfurt, dass die ganze Welt dorthin kommt.

    Ehling: Es ist tatsächlich so, dass Frankfurt nach wie vor die Nummer eins ist, und zwar unumstritten. In Guadalajara finden wir ungefähr 2000 Verlage aus rund 40 Ländern. Die meisten Verlage davon kommen natürlich aus Mexiko beziehungsweise aus Mittel- und Nordamerika. Aber es geht hier beim Geschäft für die einheimischen Verlage in allererster Linie darum, Bücher zu verkaufen. Das Buchvertrieb-System in Mexiko, aber auch in anderen lateinamerikanischen Ländern ist extrem schlecht entwickelt. In ganz Mexiko gibt es nur rund 600 Buchverkaufsstellen – in einem Land mit 120 Millionen Einwohnern. Nur sechs Prozent aller Orte in Mexiko verfügen überhaupt über eine Buchhandlung und dort sind Veranstaltungen wie diese Buchmesse in Guadalajara von großer Bedeutung als zentrale Einkaufsorte sowohl für Bibliothekare als auch für Buchhändler, als auch für das private Publikum. Für die ausländischen Teilnehmer, die nicht spanischsprachigen Teilnehmer, geht es tatsächlich um den Verkauf von Lizenzen in den lateinamerikanischen Markt. Dort hat man auch relativ wenig Publikumsverkehr und hat auch kein Interesse am Publikumsverkehr.

    Müller-Ullrich: Holger Ehling, vielen Dank für diesen Bericht von der lateinamerikanischen Buchmesse in Guadalajara, Mexiko.


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