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Büchner-Preis 2018 für Terézia Mora
"Georg Büchner ist einer meiner Lieblingsautoren"

Terézia Mora freut sich darüber, ausgerechnet mit dem Preis geehrt zu werden, der nach Georg Büchner benannt ist. Seit der Lektüre von Büchners "Woyzeck" habe der Autor einen Platz in ihrem Herzen, sagte Mora im Dlf. Er aktiviere in jedem Leser die eigene Jugend.

Terézia Mora im Gespräch mit Anja Reinhardt | 03.07.2018
    Terézia Mora, Schriftstellerin
    Die Schriftstellerin Terézia Mora wird mit dem Georg-Büchner-Preis 2018 ausgezeichnet. (Foto: Luchterhand Literaturverlag)
    Anja Reinhardt: Bei Terézia Mora klingelte heute Morgen relativ früh das Telefon. Am anderen Ende: Ernst Osterkamp, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung:
    Terézia Mora: "Sie ahnen sicher, weshalb ich anrufe." – Und ich: "Nein, Herr Osterkamp! Woher sollte ich denn das wissen?" Ich habe das auch nicht auf dem Schirm, wann die Sitzung ist, also die Jurysitzung. So habe ich es also mitten in allem anderen erfahren.
    Anja Reinhardt: Der Büchner-Preis 2018 geht an die deutsch-ungarische Schriftstellerin Terézia Mora. Wir haben nach Ernst Osterkamp auch bei ihr durchgeklingelt.
    "Suggestiv, kraftvoll, bildintensiv und spannungsgeladen" – so lesen sich die Texte der Schriftstellerin Terezia Mora, urteilt die Jury der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Dafür bekommt Mora den Büchner-Preis 2018, der ihr am 27. Oktober in Darmstadt überreicht wird.
    Die 1971 geborene Autorin hat schon viele Preise bekommen. Schon für ihren ersten literarischen Text wurde sie 1999 mit den Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet, später folgten der Chamisso-Preis und der Deutsche Buchpreis. Außenseiter mag sie, Charaktere, bei denen es nicht gut läuft oder denen ganz absonderliche Dinge passieren und die nie eindeutig sind. Das wiederum verbindet sie mit den Figuren Georg Büchners, dem Namenspaten für den wichtigsten deutschen Literaturpreis. Ich habe Terézia Mora vor der Sendung gefragt, wie wichtig Georg Büchner denn tatsächlich für ihr eigenes Schreiben war?
    Terézia Mora: Ja! Man kann diese Verbindung tatsächlich herstellen, und ich muss sagen, ich freue mich sehr, dass dieser Preis ausgerechnet nach Büchner benannt ist. Denn er ist tatsächlich einer meiner Lieblingsautoren. Aber wem geht es damit nicht so? Ich glaube, dass dieser 23jährige, glühende, voller Energie seiende Autor in jedem, glaube ich, die eigene Jugend aktiviert. Zumindest dieses Gefühl habe ich. Aber es ist vielleicht auch die Erinnerung, weil als ich ihn das erste Mal las, war ich ein bisschen jünger nur als er, als er diese Texte geschrieben hat. Da kam ich gerade nach Berlin und der Woyzeck war unter den ersten Texten, die ich original auf Deutsch und nicht mehr in der ungarischen Übersetzung las.
    Seitdem ist das in der Mitte meines Herzens und wird es bis zum Schluss sein, und insbesondere tatsächlich die Titelfigur, der arme Woyzeck, unter welchen Voraussetzungen er lebt und wie er darauf reagiert, auf was für eine hinfällige und ohnmächtige und dann gewalttätige Art und Weise. Und ich muss sagen: Dort, wo ich herkomme, war das auch die Art und Weise, wie die Menschen auf ihre Umstände reagiert haben: Auf diese ohnmächtige, teilweise sprachlose und dann wieder gewalttätige Weise.
    Reinhardt: Sie sind ja in einem kleinen Dorf an der ungarisch-österreichischen Grenze aufgewachsen. In der Familie wurde Deutsch gesprochen, Schwäbisch. Es war jedenfalls eine, von mehreren Kulturen geprägte Sozialisation. Was denken Sie, wenn Sie jetzt sehen, dass alle sich auf ihre nationale Identität berufen? Sie sind ja ganz anders aufgewachsen.
    Deutsche Sprache gab Gemeinschaftsgefühl
    Mora: Ich bin nicht ganz anders aufgewachsen, aber ich bin tatsächlich so aufgewachsen, dass wir in einem ungarischsprachigen Umfeld aufwuchsen, und das wurde sehr betont, dieses Ungarische überhaupt. Auch schon im Sozialismus war dieser nationale Gedanke sehr wichtig in Ungarn, was natürlich mit der Geschichte des Landes zusammenhängt, das ja im Grunde nie unabhängig war. Es war immer Teil eines größeren Reiches, und es wurde uns zumindest so vermittelt, dass es einem Wunder gleichkommt, dass diese Sprache, die noch dazu ohne Verwandte im näheren Europa ist, überhaupt überleben konnte.
    Das heißt, wir waren mit unserer deutschen Muttersprache dann doch die anderen. Ich habe mich damals nicht irgendwie als Teil einer großen Sprache gefühlt; ich habe mich nur als Teil dieser kleinen Gemeinschaft gefühlt, auch weil wir voneinander komplett getrennt waren durch eine geschlossene Grenze. Erst durch den Fall der Mauer und dadurch, dass ich nach Berlin umzog, und dann - jetzt kommt wieder dieser Büchner ins Spiel - mit der Begegnung mit den deutschsprachigen Texten dieses großen Raums hatte ich das Gefühl, mich dann tatsächlich in eine größere Gemeinschaft hineinzubegeben.
    So habe ich dann meinen Horizont auch immer weiter erweitert, weil ich gesehen habe, dass diese große Gemeinschaft dann wiederum Teil einer noch größeren Gemeinschaft ist, und ich sehr froh war, als zum Beispiel Ungarn Teil der EU wurde, weil ich mir dachte: Oh ja, jetzt kommen die Dinge in Ordnung. – Natürlich kommen die Dinge niemals in Ordnung.
    Reinhardt: Das ist aber in Ihren Texten eigentlich auch so, oder? Da kommen die Dinge auch niemals in Ordnung?
    Mora: Nein, weil es gab das goldene Zeitalter niemals und es wird das auch niemals geben. Aber es gibt durchaus selbst in unserem kurzen Leben Perioden, die besser sind als andere. Die erkennen wir aber meistens nur in der Rückschau. Manchmal sage ich mir auch, es ist ein Wunder, dass wir es überhaupt schaffen, so komplexe Gesellschaften am Laufen zu halten mit diesem absolut irrationalen Verhalten, was wir an den Tag legen, oder diesem selbstzerstörerischen.
    Literatur als Gegengewicht zum Stammtisch
    Reinhardt: Sie sagen in einer Selbstbeschreibung auf Ihrer Website über Ihre Arbeit, dass die grandioseste Täuschung Ihr Fach sei. Was kann denn die literarische Täuschung und was können Texte überhaupt, auch im Hinblick auf das, was Sie jetzt gerade gesagt haben?
    Mora: Na ja. Eigentlich ist diese Täuschung ja dazu da, die Wahrheit auf die Oberfläche zu befördern. Warum benutzen wir Autoren so eine merkwürdige Sprache, die sich so sehr unterscheidet von der Alltagssprache? – Na eben, weil in dieser Unterscheidung dann der Spot gerichtet wird auf gewisse Phänomene. Und das ist ja auch die Aufgabe der Literatur und das ist ihre Chance, nämlich die Sprache auf eine Art und Weise benutzen zu können, wie sie die Politik nicht benutzt oder der Stammtisch nicht benutzt.
    Reinhardt: Was mich amüsiert hat war, dass ich irgendwo gelesen habe, wenn Sie schreiben, wenn Sie an einem Roman arbeiten, dann entstehen da auch Figuren, die erst mal keinen Platz haben in Ihren Romanen. Und ich habe mir dann vorgestellt, wie viele das wohl so sind, die da bei Ihnen mit Ihnen leben und die dann vielleicht in irgendeinen anderen Text noch einfließen.
    Mora: Es sind relativ viele, was auch damit zusammenhängt, dass ja jeden Tag neue dazukommen. Ich sage immer, dass ich nicht gerne reise; nichts desto trotz reise ich relativ viel. Aber auch hier, wenn man einfach nur um seinen Block geht, 800 Meter zum Einkaufen und wieder zurück – es ist ja alles voll mit Leuten. Das ist das Schöne am urbanen Leben. Du begegnest ununterbrochen irgendwelchen Personen. Meine Fantasie geht natürlich auch mit mir durch und dann fange ich an, um diese Personen herum Geschichten zu bauen, und es ist dann tatsächlich auch so, dass das meine Gesellschaft dann ist. Die sind dann da und die stören nicht. Das ist eigentlich was Schönes. Es verleiht einem das Gefühl, innerhalb einer Gesellschaft zu sein oder einer Gemeinschaft.
    Blick auf Ungarn
    Reinhardt: Sie haben ja sowohl die deutsche als auch die ungarische Staatsbürgerschaft. Sie leben seit vielen Jahren in Berlin. Wie ist denn Ihr Blick von Berlin aus nach Ungarn?
    Mora: Ach herrje! Mein Blick nach Ungarn ist von Berlin aus so, dass ich froh bin, dass mein Blick von Berlin aus nach Ungarn fällt. Ich fahre ja auch regelmäßig hin.
    Reinhardt: Ihre Figuren ja auch?
    Mora: Meine Figuren auch, teilweise schon. Ich war jetzt gerade im Juni da. Es war Buchwoche in Budapest. Und dann sind Sie an einem Ort, wo Sie die Sprache zu 100 Prozent verstehen, der aber trotzdem total fremd ist, ganz anders ist. Es ist ja so, dass die jetzige Regierung ihre Wahlen auf dem Land gewinnt, nicht in den Städten, und in diesem Dorf, wo ich herkomme, sind die Leute alle sehr nett zu mir und sie kennen mich, seitdem ich ein Kind war. Ich weiß aber von ihnen, dass sie zum Beispiel fremdenfeindlich sind. Ich weiß, dass sie Antisemiten sind oder Sexisten.
    Ich weiß, dass sie all das vertreten, wofür diese Regierung und die Rechtsextremen, die zum Glück jedenfalls noch nicht an der Regierung sind, vertreten. Ich weiß, dass das der allgemeine Tenor in Ungarn ist, und ich halte überhaupt nicht hinterm Berg mit meinen eigenen Ansichten, muss aber sehen, dass ich absolut nichts erreichen kann. Das macht mich traurig, aber natürlich kann ich die Leute nicht komplett aufgeben, und ich kann nur darauf hoffen, dass das Vorhandensein von anderen Ideen und dass meine Kollegen und ich das auch öffentlich vertreten, dass das irgendwelche Früchte tragen wird irgendwann.
    Reinhardt: … sagt die Schriftstellerin Terezia Mora, die sich über den Büchner Preis freut, deren Blick auf Ungarn aber eher düster ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.