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Büchner-Preis für Volker Braun

Mit Volker Braun wird nicht nur ein Schriftsteller geehrt, der in allen literarischen Gattungen Bedeutendes geleistet hat, sondern auch ein politischer Intellektueller, der zu den unbequemsten seiner Generation gehört. Zu Zeiten der DDR kritisierte er sowohl in seinen Stücken als auch in seiner Lyrik, Essayistik und Prosa den Gang des realen Sozialismus, ohne sich gleichzeitig den Applaus von jenen sichern zu können, die in der Bundesrepublik Deutschland nur darauf warteten, einen weiteres Mitglied im Klub der Dissidenten aufnehmen zu können. Volker Braun ließ sich niemals vor die Karren des Kalten Kriegs spannen, westlichen Mikrofonen ging er tunlichst aus dem Weg. Genau so wenig gelang es allerdings auch den Funktionären der DDR-Kulturpolitik, Volker Braun Loblieder auf die sozialistische Heimat abzugewinnen; er ließ sich, so groß der Druck auch gewesen sein mußte, auch von den Kalten Kriegern der DDR nicht vereinnahmen. Volker Braun war zu keinem Zeitpunkt seines bisherigen Lebens das, was man vorschnell systemkritisch oder - im Gegensatz dazu -. systemkonform nennt.

Hajo Steinert |
    Am Anfang war Volker Braun vor allem eins: Antifaschist. Das hängt mit seinem persönlichen Leben zusammen. Als seine Geburtsstadt Dresden am 13./14. Februar 1945 bombardiert wurde, war Volker Braun noch keine sechs Jahre alt. Sein Vater ist in den letzten Kriegstagen gefallen. Der Antifaschismus, in der DDR fürderhin zur staatstragenden Ideologie ausgerufen, war für ihn aufgrund dieser frühen Erlebnisse eine Selbstverständlichkeit. Die Entwicklung des realen Sozialismus dagegen war es aus seiner Perspektive nicht. Volker Braun bemühte sich nach dem Abitur vergeblich um einen Studienplatz. Er arbeitete stattdessen in einer Druckerei, im Tiefbau und als Maschinist - dann erst studierte er Philosophie, ging er als Dramaturg zum Berliner Ensemble - "Greif zur Feder, Kumpel!" hieß die kernige literarische Mode in den sechziger Jahren. Auf dem "Bitterfelder Weg" - so hieß die prolet-kultische Parole - drückte sich Volker Braun höchstens ganz am Anfang seiner literarischen Biografie herum, in gekrümmter Haltung.

    Selbst die von den Zensurbehörden der DDR veranlaßten Verhinderungen von Publikationen und auch nicht die Aktivitäten der Staatssicherheit konnten Volker Braun um seine Utopie bringen. Utopie hieß für ihn - daran kann auch die nachträgliche Lektüre nicht rütteln - Utopie hieß für ihn Sozialismus. Utopie - das hieß indes auch für Volker Braun wörtlich übersetzt: Im Nirgendwo. Ganz gleich also, ob im Westen oder im Osten - wer seine Werke als Belegstücke für das Scheitern des Sozialismus lesen wollte, übersah, daß Volker Braun seine Hoffnung, es würde sich in der DDR eines Tages vieles zum besseren wenden, nicht aufgab. Sein Glaube, Literatur als vorrangiges Erkenntnismittel im Sinne einer Veränderung der gesellschaftlichen Wirklichkeit einzusetzen, blieb ungebrochen. Trotz zunehmend resignativer Töne. Volker Braun kritisierte die DDR sozusagen von links aus. Dialektik - das spricht aus jedem seiner Bücher - ist für ihn nicht nur eine philosophische, sondern darüber hinaus auch eine moralisch-verbindliche Angelegenheit.

    Volker Braun stellte im Unterschied zu Sarah Kirsch oder Günter Kunert keinen Ausreiseantrag; er wurde nicht aus der DDR hinausgeworfen wie Wolf Biermann, Volker Braun wurde gelitten. Je länger er seine Utopie heraufbeschwor, desto intensiver litt er an den realen Verhältnissen in der DDR. Und als dann die DDR unterging, gehörte er beileibe nicht zu denen, die - ähnlich wie der Schriftsteller Wolfgang Hilbig - mit fliegenden Fahnen die deutsche Einheit begrüßt hätten. Volker Braun ist, was das Zusammenwachsen der ehemals zwei deutschen Staaten betrifft, bis heute der große Skeptiker geblieben. Die DDR ist für ihn kein geschlossenes Kapitel der deutschen Geschichte, die DDR ist für ihn nach wie vor eine offene Wunde. Man muß seine Bücher nur lesen. Im Gegensatz zu seinen früheren, vor Anspielungsreichtum nur so strotzenden, dabei aber bisweilen etwas verquält-intellektuellen Veröffentlichungen, hat sich mit der Zeit allerdings ein ihm eigener Humor eingestellt, dem man eine gewissen Gelassenheit nicht absprechen kann. Seine immense literarische Bildung kommt Volker Brauns Texten entgegen. Für den Leser sind sie alles andere als leicht zu verzehrende Brocken. Wie er sich schon in seinen ersten Theaterstücken an seinem Vorbild Bertold Brecht aufrieb! Dies gehört, darin Heiner Müller vergleichbar, zum spannendsten, was im ‘dramatischen’ Leben der DDR in den sechziger und siebziger Jahren geschrieben wurde. Wie schwer man sich in der DDR allerdings mit Volker Brauns Stücken tat, zeigt zum Beispiel die als Dokumentarstück getarnte Auseinandersetzung mit der realen DDR "Lenins Tod". 1970 entstanden, wurde es in der DDR erst 1988 uraufgeführt. "Lenins Tod" ist eines der wichtigsten deutschen Theaterstücke, die den Machtwechsel von Lenin zu Stalin auf die Bühne brachten. Die Auseinandersetzung mit dem Stalinismus blieb in der DDR lange ein Tabu.

    Oder der "Hinze-Kunze-Roman (1985), neben der "Unvollendeten Geschichte" (1975) die bis heute wichtigste Prosa-Arbeit Volker Brauns. Im "Hinze-Kunze-Roman", der erst mit vier Jahren Verzögerung in der DDR erscheinen konnte und von der dortigen Kritik aus ideologischen Gründen abgelehnt wurde, schildert er, ganz in der satirischen Tradition Brechts, aber auch an Hegels Dialektik geschult, ein Herr-Knecht-Verhältnis, wie es eines in der DDR eigentlich nicht geben durfte. In der "Unvollendeten Geschichte" erzählt Braun von einer jungen Funktionärstochter, deren Vertrauen in Staat und Familie erschüttert wird, als die Eltern wie auch die Staatssicherheit sie bedrängen, sich von ihrem Freund zu trennen, der angeblich ein potentieller Republikflüchtling sei. Wie sehr dieser Stoff Volker Braun bewegte, zeigt sich darin, daß er das Ende der Geschichte 1997 neu schrieb. Er sprach seiner weiblichen Hauptfigur ein Maß an Selbstbehauptung zu, das sie in den siebziger Jahren nicht hatte, nicht haben konnte.

    Von seinen Gedichtbänden sei hier nur an das "Training des aufrechten Gangs" (1979) erinnert, dem seinerzeit vierten Gedichtband Volker Brauns, und an "Langsamer knirschender Morgen" (1987). Die jeweils entschiedene Entlarvung von versteinerten Verhältnissen in der DDR wird fundiert oder kaschiert - je nach Standpunkt des Kritikers - durch formale und motivische Anleihen bei Dichtern der Klassik, Hölderlin vor allem. Die Antike ist Volker Braun mindestens so nah - und doch so fern - wie das Aufbaupathos der frühen Jahre in der DDR. Aber nicht alles dreht sich bei Volker Braun um die DDR. Seine zivilisartionskritischen Texte und philosophischen Reflektionen, in freier Form, Collagetechnik oder in antikes Versmaß gegossen - sie sind Denkmäler jenseits der immergleichen deutschen Thematik. Die Lyrik ist es vor allem, die Volker Braun, zu einem herausragenden Dichter unserer Zeit machen. Was Heiner Müller für die Geschichte des deutschen Dramas, ist Volker Braun für die Geschichte der Lyrik. Der Büchner-Preis an Volker Braun - es war an der Zeit. Und es wäre noch schöner, wenn dieser Dichter nicht nur achtungsvoll in deutschen Feuilletons rezipiert wird, sondern auch von Buchkäufern gelesen.