Woyzeck rennt - damit der Hauptmann, den er rasiert, Grund hat zur Klage, er wirke immer so gehetzt. Später, als Woyzeck erst seine ungetreue Geliebte Marie und dann sich selbst umgebracht hat, übernimmt eilfertig sein Stubenkamerad Andres den Rasier-Job- und der Hauptmann ergeht sich wie ein Automat in genau den gleichen Allgemeinheiten über die vergehende Zeit.
Doch dieser Andres ist nicht bei Büchner, sondern bei seinem Bearbeiter, dem amerikanischen Autor Neil LaBute, und dem Regisseur der Züricher Woyzeck-Aufführung, Wilfried Minks, in die Schule gegangen: Er beendet die Rasur, indem er dem Doktor das Rasiermesser an die Kehle setzt und seinen Kopf grob zur Seite stößt. Kein Mord, nein, das (noch) nicht. Aber eine deutliche Drohung. Will sagen: Woyzeck ist kein Einzelfall. Wenn schon Fall, dann einer für die Psychiatrie und ein lehrstückhaftes Fall-Beispiel über die Entstehung von Gewalt.
Ja, die Zuschauer sollen was lernen in Zürich. Welch ein Glücksfall, dass dieses letzte Stück des früh verstorbenen Georg Büchner Fragment geblieben ist, geradezu eine Einladung zur Bearbeitung und Ergänzung. LaBute hat, mag sein zum besseren Verständnis seines amerikanischen Publikums, mit erklärenden Einschüben und Ergänzungen nicht gespart, vor allem Reflexionen aus Büchners Briefen, seinem Revolutionsstück "Dantons Tod" und aus "Leonce und Lena". Gedanken über Revolution, Gewalt und Humanität, für die Woyzeck selbst gerade keine Sprache hatte. Nun muss er Sätze äußern, die der Figur fremd bleiben, schreibt sie in eine Kladde, liest sie vor - schwer zu integrierende Sprachhülsen.
Aber das ist leider nicht das einzige Sprachproblem dieser Aufführung. LaBute hat den Text für seine Bearbeitung natürlich übersetzt und in ein Stück für den amerikanischen Markt verwandelt. Frank Heibert hat nun bei der Rückübersetzung ins Deutsche Büchners Woyzeck-Originaltext sorgfältig vermieden und stattdessen eine ziemlich platte neudeutsche Sprache gewählt, nicht frei von Ungeschicklichkeiten und Gestelztheiten.
Die Verluste sind beträchtlich. Denn der Nachdichter will überall da Eindeutigkeit herstellen, wo Büchner Fragezeichen gesetzt, auf Zwischentöne geachtet und Zwischenräume gelassen hat. So steht nun am Anfang und fast am Ende der Aufführung Büchners Märchen - als Zeigefinger für die Zuschauer. Aus dem "arm Kind" ist ein "Bub" geworden, und auch der Regisseur lässt keinen Zweifel daran, dass Woyzeck dieser großgewordene Bub ist. Der Mond darf nicht mehr "wie ein blutig Eisen" aussehen, sondern, mit Blick auf das Messer in seiner Hand, spricht Woyzeck bedeutungsschwer von "Blut auf Eisen"". Und Marie ist dem neuen Text folgend eine Hure statt eine sehr ärmlich lebende, von dem von Job zu Job hastenden Woyzeck emotional und sexuell vernachlässigte junge Frau mit Kind.
Nur so ist zu verstehen, dass sich der Tambourmajor wie die Karikatur eines brutalen Vorstadtstenz' ohne jede Aura aufführen muss. Die beklagenswerte Mischung aus bedeutungslastigen Eindeutigkeiten und Zeige-Theater führt zu einer lückenlosen Beweiskette für Woyzecks in Gewalt mündende psychische Dekomposition. Und auf dem Jahrmarkt turnt sich eine Tuchartistin an den zwei Lappen der aufgeschlitzten Trikolore empor, wird abgeschossen und stürzt hinunter. Dieses Symbol signalisiert das Ende der Gaudi.
Gewiss, Wilfried Minks sind sehr schöne Bilder gelungen auf der schmalen Korridorspielfläche mit rotem Brechtvorhang, den in die Hinterwand eingelassenen Aufzugstühlen und dem auf Schienen nach hinten fahrbaren Zuschauerpodest. Wer konnte auch ahnen, dass man just über dem Wasserbecken sitzt, an dem Woyzeck Marie ersticht, bevor er sich selbst dort ertränkt. Ja, ja, so zeigt uns der Regisseur, dass wir alle Komplizen dieses Mordes sind. Was freilich der um politische Einsicht bemühten Aufführung fehlt, sind die gemischten, oft ganz und gar widersprüchlichen Gefühle. Man sieht und versteht - emotionslos, bleibt unbeteiligt. Das ist nicht den Darstellern, schon gar nicht Samuel Weiss als Woyzeck anzulasten, der das klinische Bild einer fortschreitenden Störung, nicht aber die ihn verstörenden Gefühlswirren zeigen darf. Das ist leider nur die Kehrseite einer die Personen- und Sprachregie vernachlässigenden Bildregie.
Doch dieser Andres ist nicht bei Büchner, sondern bei seinem Bearbeiter, dem amerikanischen Autor Neil LaBute, und dem Regisseur der Züricher Woyzeck-Aufführung, Wilfried Minks, in die Schule gegangen: Er beendet die Rasur, indem er dem Doktor das Rasiermesser an die Kehle setzt und seinen Kopf grob zur Seite stößt. Kein Mord, nein, das (noch) nicht. Aber eine deutliche Drohung. Will sagen: Woyzeck ist kein Einzelfall. Wenn schon Fall, dann einer für die Psychiatrie und ein lehrstückhaftes Fall-Beispiel über die Entstehung von Gewalt.
Ja, die Zuschauer sollen was lernen in Zürich. Welch ein Glücksfall, dass dieses letzte Stück des früh verstorbenen Georg Büchner Fragment geblieben ist, geradezu eine Einladung zur Bearbeitung und Ergänzung. LaBute hat, mag sein zum besseren Verständnis seines amerikanischen Publikums, mit erklärenden Einschüben und Ergänzungen nicht gespart, vor allem Reflexionen aus Büchners Briefen, seinem Revolutionsstück "Dantons Tod" und aus "Leonce und Lena". Gedanken über Revolution, Gewalt und Humanität, für die Woyzeck selbst gerade keine Sprache hatte. Nun muss er Sätze äußern, die der Figur fremd bleiben, schreibt sie in eine Kladde, liest sie vor - schwer zu integrierende Sprachhülsen.
Aber das ist leider nicht das einzige Sprachproblem dieser Aufführung. LaBute hat den Text für seine Bearbeitung natürlich übersetzt und in ein Stück für den amerikanischen Markt verwandelt. Frank Heibert hat nun bei der Rückübersetzung ins Deutsche Büchners Woyzeck-Originaltext sorgfältig vermieden und stattdessen eine ziemlich platte neudeutsche Sprache gewählt, nicht frei von Ungeschicklichkeiten und Gestelztheiten.
Die Verluste sind beträchtlich. Denn der Nachdichter will überall da Eindeutigkeit herstellen, wo Büchner Fragezeichen gesetzt, auf Zwischentöne geachtet und Zwischenräume gelassen hat. So steht nun am Anfang und fast am Ende der Aufführung Büchners Märchen - als Zeigefinger für die Zuschauer. Aus dem "arm Kind" ist ein "Bub" geworden, und auch der Regisseur lässt keinen Zweifel daran, dass Woyzeck dieser großgewordene Bub ist. Der Mond darf nicht mehr "wie ein blutig Eisen" aussehen, sondern, mit Blick auf das Messer in seiner Hand, spricht Woyzeck bedeutungsschwer von "Blut auf Eisen"". Und Marie ist dem neuen Text folgend eine Hure statt eine sehr ärmlich lebende, von dem von Job zu Job hastenden Woyzeck emotional und sexuell vernachlässigte junge Frau mit Kind.
Nur so ist zu verstehen, dass sich der Tambourmajor wie die Karikatur eines brutalen Vorstadtstenz' ohne jede Aura aufführen muss. Die beklagenswerte Mischung aus bedeutungslastigen Eindeutigkeiten und Zeige-Theater führt zu einer lückenlosen Beweiskette für Woyzecks in Gewalt mündende psychische Dekomposition. Und auf dem Jahrmarkt turnt sich eine Tuchartistin an den zwei Lappen der aufgeschlitzten Trikolore empor, wird abgeschossen und stürzt hinunter. Dieses Symbol signalisiert das Ende der Gaudi.
Gewiss, Wilfried Minks sind sehr schöne Bilder gelungen auf der schmalen Korridorspielfläche mit rotem Brechtvorhang, den in die Hinterwand eingelassenen Aufzugstühlen und dem auf Schienen nach hinten fahrbaren Zuschauerpodest. Wer konnte auch ahnen, dass man just über dem Wasserbecken sitzt, an dem Woyzeck Marie ersticht, bevor er sich selbst dort ertränkt. Ja, ja, so zeigt uns der Regisseur, dass wir alle Komplizen dieses Mordes sind. Was freilich der um politische Einsicht bemühten Aufführung fehlt, sind die gemischten, oft ganz und gar widersprüchlichen Gefühle. Man sieht und versteht - emotionslos, bleibt unbeteiligt. Das ist nicht den Darstellern, schon gar nicht Samuel Weiss als Woyzeck anzulasten, der das klinische Bild einer fortschreitenden Störung, nicht aber die ihn verstörenden Gefühlswirren zeigen darf. Das ist leider nur die Kehrseite einer die Personen- und Sprachregie vernachlässigenden Bildregie.