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Büffeln im Bombentrichter

Einige deutsche Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg hatten die Möglichkeit zu studieren. Die Historikerin Laura Hannemann hat mehr als hundert Studienorte hinter Stacheldraht aufgespürt, unter anderem in den USA, Frankreich, Großbritannien und Australien.

Von Andrea Lueg |
    Wenn man an die Kriegsgefangenenlager im Zweiten Weltkrieg denkt, dann sicher nicht im Zusammenhang mit Bildung oder Studium. Und dennoch haben Gefangene unter schwierigen Bedingungen in sogenannten Lagerunis studiert.

    Oft gab es nur Klopapier und Bleistiftstummel für Aufzeichnungen und kaum Studienliteratur, zumindest zu Anfang. Doch der Wissensdurst war ungeheuer. Dieses Kapitel der Bildungsgeschichte ist in Vergessenheit geraten. Die Historikerin Laura Hannemann hat es für ihre Doktorarbeit nun wieder ausgegraben.

    "Ich war während des Krieges die längste Zeit, nämlich fast sechs Jahre in Australien. Und zwar als Kriegsgefangener."

    Fritz Kieffer ist heute ein Mann von Ende 80, ein wacher Geist, der an der Zeit des Zweiten Weltkrieges und auch der Kriegsgefangenschaft nichts zu beschönigen findet. Dennoch empfindet der Mainzer die Tatsache, dass er in einem Lager im südlichen Australien landete, als Glücksfall. Zum einen war die Behandlung und Verpflegung gut. Zum anderen legte er hier den Grundstein für seine spätere Karriere. Und das kam so:

    "Es kamen dann nach einiger Zeit Zivilinternierte zu uns, darunter ein Juraprofessor mit seinem Assistenten Dr. Georg Erler, der in Südafrika als Zivilinternierter festgehalten worden war."

    Überhaupt stellte sich heraus, dass die etwa 1500 deutschen Kriegsgefangenen im Lager eine illustre Gesellschaft mit ganz unterschiedlichen Begabungen und Kenntnissen waren.

    "Diese Mischung hatte natürlich zur Folge, dass die verschiedenen Begabungen aktiv wurden und so bildete sich in unserem Lager eine Bildungseinrichtung, die von den Australiern voll unterstützt wurde. Diese Bildungseinrichtung hatte das Ziel, Abschlüsse, die in Deutschland gelten würden, zu vermitteln. Also zum Beispiel unser juristischer Lehrgang war ausgerichtet auf das erste Staatsexamen."

    Solche Lageruniversitäten waren keineswegs eine Seltenheit, hat die Historikerin Laura Hannemann herausgefunden. Sie sind nur in Vergessenheit geraten. Für ihre Doktorarbeit hat sie mehr als hundert Studienorte hinter Stacheldraht aufgespürt, in den USA, Frankreich, Großbritannien, Australien, Kanada und auch in Deutschland. Studiert wurde auf ganz unterschiedlichen Niveaus, je nach den Möglichkeiten und den Lehrenden, die es in einem Lager gab.

    "Es gibt Universitäten, wo auch Examina oder Promotionen abgeschlossen worden sind, die dann zum Beispiel schon vor der Kriegsgefangenschaft angefangen worden sind an deutschen Universitäten und dann dort einfach vollendet worden sind."

    Die Kriegsgefangenen organisierten ihre Studien komplett selbst, wandten sich aber bald ans Rote Kreuz, die humanitäre Organisation, die direkten Zugang zu den Lagern hatte. In den Anfragen ging es vor allem um Bücher, Kontakt zu Universitäten, um die sogenannte Fernimmatrikulation, die Anerkennung von Prüfungen, die in Gefangenschaft abgehalten wurden. Die zuständigen Institutionen in Deutschland, Reichserziehungsministerium, Wehrmacht, die Universitäten setzten sich zusammen und überlegten, was zu tun sei. Britische und amerikanische Kriegsgefangene hatten natürlich die gleichen Bedürfnisse geäußert. Hannemann:

    "Es war im Prinzip in aller Interesse, die Kriegsgefangenen ruhig zu halten, also für eine Gewahrsamsmacht, dass die einfach beschäftigt sind und friedlich sind und nicht aufrührerische Pläne schmieden."

    Was man sich für Nazideutschland kaum vorstellen kann: Es kam auf Grundlage der Genfer Konvention zu bilateralen Abkommen, die die Studien im Lager auch in Deutschland ermöglichten. Allerdings nicht für alle Gefangenen, erklärt Hannemann:

    "Bei allem, was ich bisher sehen kann, muss man sagen, dass die Kriegsgefangenen in Deutschland halt genau in der gleichen Abstufung, in der sie in der ideologischen Hierarchie angesiedelt waren, die Möglichkeit hatten, Studien zu betreiben. Das heißt Russen auf gar keinen Fall, auch überhaupt osteuropäische Kriegsgefangene eher weniger, aber zum Beispiel amerikanische und britische Kriegsgefangene wurden in der Regel schon stark unterstützt und hatten in der Regel relativ gute Bedingungen in den Kriegsgefangenenlagern."

    Improvisationstalent gehörte zu den wichtigsten Studienvoraussetzungen im Lager.

    "Es gab Lageruniversitäten, die in Bombentrichtern entstanden sind, da hat man einfach den Krater genutzt als Vorlesungssaal, man hat Toilettenpapier benutzt zum Schreiben, man hat Bücher selber kreiert, als man noch gar keine hatte, indem man einfach, wie man das aus den alten Kinderspielen kennt, einer fängt an zu schreiben, alles was er weiß zu einem Thema und gibt das dann weiter und das wird dann ergänzt und einer schreibt das dann ins Reine, also viel erst mal aus dem Gedächtnis erarbeitet und erst mal gesammelt, um selber Schriftstücke herzustellen, die dann zum Lernen reichen."

    Alle Leistungen wurden akribisch dokumentiert. Und nach der Rückkehr der Kriegsgefangenen von regulären Hochschullehrern begutachtet. Für die Juristen machte das überwiegend Walter Hallstein, später Staatssekretär im Auswärtigen Amt, der selber in einer Lageruni unterrichtet hatte.

    Fritz Kieffer schaffte fast sein komplettes Jurastudium im Lager. Weil er Englisch konnte, bot man ihm bald nach dem Krieg ein Fulbright-Stipendium in den USA. Später machte er sich einen Namen als Jurist unter anderem in der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei. Für die Großzügigkeit der Australier empfindet er heute noch große Dankbarkeit.