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Büffeln trotz Behinderung

Fast jeder fünfte Studierende hat laut der letzten Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks von 2006 eine gesundheitliche Schädigung, ist also chronisch krank oder behindert. Auf einer Fachtagung in Berlin diskutieren Vertreter aus Verbänden, Politik und Hochschule heute und morgen über Instrumente zur besseren Integration von behinderten Studierenden in den Hochschulalltag.

Von Jens Rosbach | 02.09.2008
    André Radtke ist sehbehindert, seit Geburt schon. Dennoch hat er vor sieben Jahren ein Studium aufgenommen - ein Studium der Verwaltungswissenschaften an der Fachhochschule Halberstadt. Und bald schon gab's Probleme. Die FH habe ihn zu wenig unterstützt, klagt der 31-Jährige. Etwa als er in den Prüfungen anstelle des Kugelschreibers einen Laptop verwenden wollte. Der Student ist auf die Tastatur angewiesen, weil die eigene Handschrift zu klein für seine kranken Augen ist.

    "Der Laptop hätte nur ein Vergrößerungsprogramm gehabt, also sämtliche Programme sind dann mit vergrößerter Schrift dargestellt und vergrößerten Bildern dargestellt. Und ... ja aber den Laptop wollten Sie halt zur Prüfung nicht zulassen. Haben mich dann ausgeschlossen und gesagt: Wenn Sie sich mit den Bedingungen hier nicht einverstanden erklären können, suchen Sie sich doch einen anderen Uni-Standort, der nicht in Sachsen-Anhalt liegt. "

    Enttäuscht wechselte der Sehgeschädigte nach Göttingen. Denn hier gibt es behindertenspezifische Arbeitsplätze und geschulte Zivildienstleistende. Allerdings muss André Radtke auch an seiner neuen Hochschule immer wieder Hürden nehmen. Zum Beispiel kann er mit seinem Blinden-Computer nur schwer Studienbescheinigen aus dem Internet ausdrucken.

    "Die Uni Göttingen war halt nicht in der Lage - und das als Elite-Uni, fand ich schon ziemlich schwach - dass das Studentensekretariat nicht mal gesagt hat: Passen Sie mal auf Herr Radtke, Anfang des Semesters schicken wir Ihnen die Unterlagen, dann ist die Sache für Sie einfacher und für uns ist es nicht viel schwerer - aber es ging nicht. Von daher ist das ein Problem, aber ist nicht zu ändern."

    Nun muss seine Frau immer alle Dokumente für ihn ausdrucken. Im Gegensatz zur Verwaltung seien die Kommilitonen aufmerksam, berichtet der Student. Allerdings nur innerhalb der Unigebäude. Draußen habe er häufig Angst.

    "Dann wird übern den Campus gefahren mit nicht unbedingt langsamer Geschwindigkeit mit dem Fahrrad - gut, muss ich halt das Risiko eingehen, dass ich wohlmöglich über ein Fahrrad falle, was in den Weg gestellt ist oder dass ich in ein Fahrrad hineinlaufe - das ist nicht ganz ungefährlich."

    Prüfungsprobleme, Bürokratieprobleme, Campusprobleme. Studierende mit einer Behinderung bzw. chronischen Krankheit brauchen zumeist länger für ihre Ausbildung als Gesunde. Ob Blinde, Taube oder Gelähmte; ob Herz-, Krebs- oder psychisch Kranke - viele müssen zwischendurch immer wieder mal pausieren. Andrea Hoops, die Vizechefin des Deutschen Studentenwerks, kennt die Statistik.

    "Von den Studierenden ohne gesundheitliche Schädigungen haben 13 Prozent ihr Studium unterbrochen, von Studierenden mit gesundheitlicher Beeinträchtigung sind es 20 Prozent. Diese Zahl deutet darauf hin, dass Studierende mit Behinderung besonderen Unterstützungsbedarf haben."

    Für die Unterstützung sind vor allem die Behindertenbeauftragten der jeweiligen Hochschulen zuständig. Wie Georg Classen von der Freien Universität Berlin. Der Pädagoge hat für diesen Job eine halbe Stelle.

    "Es gibt 'ne ganze Reihe großer Universitäten, die das auch haben. Aber die Regel ist es leider nicht. Also es ist an vielen Hochschulen so, dass ein Professor nebenbei die Betreuung der behinderten Studierenden erledigt. Und das ist dann zwangsläufig, wenn das sozusagen nur nebenbei mit erledigt wird, nicht mit so viel Kompetenz, nicht mit so viel Durchsetzungskraft verbunden."

    Der Behindertenbeauftragte berät die Studierenden vor allem über die so genannten Nachteilsausgleichs-Maßnahmen, zu denen die Hochschulen verpflichtet sind. So darf ein Behinderter Bücher länger als normal ausleihen. Oder Hausarbeiten später abgeben. Oder versäumte Prüfungen problemloser nachholen.

    "Wir haben entsprechende Regelungen, das ist ganz wichtig, in der Prüfungsordnung. Dass eben gleichwertige Leistungen in anderer Form erbracht werden können. Das könnte eben zum Beispiel dann auch sein in der mündlichen Prüfung, dass ein Hörbehinderter dann die Fragen zunächst mal schriftlich vorgelegt kriegt - oder dann schon die Prüfung mündlich durchführen, aber als Einzelprüfung durchführen, nicht in der Gruppenprüfung. Das geht bis in solche Details."

    Trotz der Nachteils-Ausgleichsmaßnahmen klagen viele behinderte Studierende über zunehmende Schwierigkeiten. Der Grund: die Einführung der Bachelor- und Master-Studiengänge. Wie können gehandicapte Studenten besser mit dem starren Turbostudium klar kommen? Das diskutieren die Experten heute und morgen auf der Tagung des Deutschen Studentenwerks.