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Bühne in der Finanzkrise

Das "prime time theater" im Berliner Problembezirk Wedding hat im zehnten Jahr seines Bestehens mit Finanzsorgen zu kämpfen. Dabei ist das Haus erfolgreich, die Vorstellungen fast immer voll, wie wohl auch heute, zur Premiere des Kiez-Remakes von "Harry & Sally".

Von Katrin Kühne | 29.08.2013
    Es herrscht Wohnzimmeratmosphäre im Weddinger "prime time theater" in Berlin, trotz der 230 Plätze. Man kommt "in Rotte", in großen Gruppen oder im Familienverband. Man kennt sich und man kennt sein Serienstück. "Gutes Wedding, schlechtes Wedding" läuft bereits in der 85. Folge. Zugpferd ist Theaterleiter und Schauspieler Oliver Tautorat:

    " - 'So, ick hab ein Jewinnspiel vorbereitet. Wer wa schon öfters hier und hat noch nie M&M jewonnen? - Iche!' (Lachen)"

    Das "Gewinnspiel" am Anfang ist Ritual. Unter dem lachwilligen Publikum sind immer auch Gäste aus dem angrenzenden Szenebezirk Prenzlauer Berg, der gern ob seiner schwäbischen Zuwanderer auf die Schippe genommen wird, wie in der jetzigen Folge "Schnupperwöchle".

    "Also mein Name isch Uwe Gammerdinger. Sie dürfe mich ganz gern das Üwele nennen. (Lachen) Genau, also ich komme eigentlich aus dem Schwabeland, wohne aber seit geraumer Zeit im Prenzlauer Würtem-Berg (Lachen).

    Daniel Zimmermann spielt das Üwele schon durch mehrere Folgen. Über 200 Figuren hat Schauspielerin und Autorin Constanze Behrends bereits für "GWSW" geschrieben. Das Theater feiert im Dezember sein Zehnjähriges.

    "Ich habe das Theater damals ungefähr ein Dreivierteljahr nach Abschluss meiner Ausbildung gegründet, zusammen mit dem Oliver, der auch hier spielt. Und für mich war damals der Hauptgrund, dass ich alles anders machen wollte, als ich es auf der Schauspielschule gelernt hatte, auch eine ganz andere Vorstellung von Humor hatte, und deshalb gab es eben diese geniale Idee mit der Vermischung aus einem Fernsehformat mit dem echten Leben vor der Haustür, mit dem, was im Wedding passiert."

    Der alte ehemals Westberliner Arbeiterbezirk hat durch den Zuzug von Migranten einen grundlegenden Strukturwandel erfahren und gilt unter Lokalpolitikern als Problemkiez. Der aus dem Bayerischen zugewanderte Halbgrieche Oliver Tautorat wohnt gern hier. Aber die finanziellen Sorgen des Theaterleiters werden immer drückender, trotz drastischer Sponsorenwerbung am eigenen nackten Körper, wie auf Plakaten in der Stadt zu sehen. Das "prime time theater" muss auch bei zumeist 95-prozentiger Auslastung - eine Zahl, von der staatliche Bühnen nur träumen können - hart kämpfen:

    "Wenn ich davon ausgehe, dass wir dieses Tempo, alle fünf Wochen eine neue Produktion zu machen, bis Sonntag zu spielen, vier Tage weiter zu proben und dann wieder die nächste Premiere, dass dieser Rhythmus auf lange Zeit nicht mehr haltbar ist, dann reden wir davon, dass wir 150.000 Euro im Jahr institutionelle Förderung brauchen, damit wir weitermachen können."

    Denn die moderaten Eintrittspreise von 15 beziehungsweise 17 Euro sowie 18 tariflich bezahlte Angestellte können ansonsten nicht gehalten werden.

    Von der permanenten Selbstausbeutung der "prime time"-Gründer Oliver Tautorat und Constanze Behrends ganz zu schweigen, die bis zu fünf Jobs gleichzeitig im Theater gemacht haben.

    Subventionen erhält das Haus bis heute nicht.

    Dennoch findet - "Think positive!" - heute Abend die Premiere von einem Stück außer der Reihe statt: "Harry und Sally" spielt nicht im Hollywood-Dreamland der 1990er, sondern im Wedding zwischen 2000 und 2012. Constanze Behrends und Philipp Lang spielen die Hauptrollen.

    "'N gesichtsloser Mann reißt dir die Kleider vom Leib und nichts weiter, das ist deine sexuelle Fantasie, seit du zwölf bist? - Naja, es variiert schon 'n bisschen. Ich hab' verschiedene Kleider an. - Ahhhhh." !

    Info
    "Harry & Sally" im Wedding - heute Abend ist die Premiere im Berliner prime time theater. Morgen, sowie am 10. Und 18. September sind weitere Vorstellungen und am Samstag die Folge 85 von "Gutes Wedding Schlechtes Wedding" – da gibt es allerdings nur noch Restkarten an der Abendkasse.