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Bündnis-Symbolik in Osteuropa
Kleines Stück im westlichen Sicherheitspuzzle

Die USA zeigen in den östlichen Nato-Ländern waffenstrotzende Präsenz und richten sich offenbar auf länger anhaltende Spannungen mit Russland ein - doch in der Ukraine selbst halten sich die US-Amerikaner zurück. Für noch mehr Abschreckung muss Europa selbst sorgen. Deutschland ist dabei besonders gefragt.

Von Marcus Pindur | 20.06.2015
    Eine Flagge der Nato.
    Russland sieht die Nato weiterhin als Bedrohung an (picture alliance/dpa/Daniel Naupold)
    Die Stationierung schweren Gerätes in den östlichen Nato-Ländern hat für die USA mehrere Vorteile: Es spart Zeit und Geld. Amerikanische Truppen können rotierend einfliegen, um mit den osteuropäischen Verbündeten zu trainieren. Ausrüstung für insgesamt eine Brigade, also 5000 Mann soll in den baltischen Staaten, in Polen, Rumänien und Bulgarien stationiert werden. Die Länder an der russischen Peripherie haben bereits seit Längerem auf stärkere Nato- und vor allem amerikanische Präsenz gedrängt. Weil die US-Präsenz jedoch keine dauerhafte sein wird, werden die Bedingungen des Nato-Russland-Vertrages von 1997 damit immer noch eingehalten, obwohl dieser Vertrag praktisch mittlerweile als tot gelten kann.
    Bei der Einlagerung amerikanischer Waffen geht es nicht nur um Praktikabilität. Während die Maßnahmen des westlichen Bündnisses im vergangenen Jahr, darunter Luftraumpatrouillen und gemeinsame Manöver, zunächst befristet eingeführt wurden, richtet sich die Obama-Administration jetzt offensichtlich auf eine längere Konfrontation mit Putins Russland ein.
    Vizepräsident Biden ist der Mann Obamas für die Ukraine-Krise und ihr gesamtes sicherheitspolitisches Umfeld. Vor zwei Wochen machte Biden bereits in einer Rede bei der Brookings-Institution, einem Washingtoner Thinktank, klar, dass der Umgang mit dieser Krise auf Jahre prägen würde, wie die Verteidigungsbereitschaft der Nato von Freund und Feind wahrgenommen wird.
    "Das ist nicht einfach nur ein entfernter Konflikt zwischen zwei Nachbarn, die sich um ein Stück Land streiten. Es geht um sehr viel mehr. Es geht um das Recht der Staaten am Rande Europas, ihre eigene Zukunft zu wählen. Es geht um die Zukunft der Nato, um kollektive Selbstverteidigung, um Geschlossenheit und um Stärke, die notwendig sind, auch in Zukunft Aggressionen abzuschrecken."
    Militärische Zurückhaltung in der Ukraine
    Doch in der Ukraine selbst halten sich die USA militärisch zurück. Die Obama-Administration hat sich lediglich zur Entsendung von Militärberatern und sogenannter nicht-letaler Ausrüstung wie Schutzwesten, Funkgeräten und Drohnen durchringen können. Obama hält sich zwar die Möglichkeit von Waffenlieferungen offen, doch er verfolgt in der Ukraine bislang eine ähnliche Linie wie die Bundesregierung: militärische Zurückhaltung, anhaltende, und wenn nötig weiter eskalierende Wirtschaftssanktionen.
    Der Druck innerhalb der Nato war jedoch stark gestiegen, besonders vonseiten der baltischen Staaten. Die konventionelle militärische Abschreckung sei einfach nicht gewährleistet, hatten baltische Politiker in einem gemeinsamen Schreiben an die Nato erklärt.
    Eine auf mehrere Länder verteilte amerikanische Brigade stellt militärisch keine wesentliche Bedrohung für Russland dar, hat aber die sogenannte Stolperdraht-Funktion, wirkt also abschreckend, meint der Politikwissenschaftler Mark Galeotti von der New York University. Er ist Spezialist für die russischen Streitkräfte und Geheimdienste.
    "Das ist etwas, was ich "Heavy Metal"-Diplomatie nennen würde. Es ist ja nicht so, dass die Nato Russland angreifen will, und es ist auch sehr unwahrscheinlich, dass Russland die Nato angreift. Wir zeigen aber damit den Russen, dass es uns ernst ist: Es ist uns ernst damit, die baltischen Staaten zu verteidigen. Wenn ihr dort eindringt, dann hat das sehr viel ernstere Konsequenzen für euch als in der Ukraine."
    Man kann vermuten, dass ein Zusammenhang besteht zwischen den Meldungen über eine neuerliche russische Offensive in der Ostukraine mit Stoßrichtung Mariupol und der Bekanntgabe des Schrittes der Obama-Administration.
    Reichen 250 A1-Abrams Kampfpanzer als Abschreckung?
    Die in Frage stehende Ausrüstung würde insgesamt aus 1200 Fahrzeugen bestehen, darunter 250 A1-Abrams Kampfpanzern, mehreren hundert Bradley-Schützenpanzern und gepanzerten Haubitzen. Das ist nicht unwesentlich, aber da die Ausrüstung auf mindestens sechs Standorte verteilt würde, wäre ihre militärische Wirkung begrenzt. Würde das reichen, um Putin dauerhaft abzuschrecken? Mark Galeotti meint, ja.
    "Putin neigt zwar dazu, seine Grenzen bis ans Äußerste auszureizen, aber er ist kein Dummkopf, und die Leute um ihn herum auch nicht. Es ist ein gewaltiger Unterschied zwischen der Invasion eines Landes, das uns zwar nahesteht, aber nicht Mitglied der Nato ist, und der Invasion der Baltischen Staaten, die Nato-Mitglieder sind. Würden wir sie nicht verteidigen, dann wäre die Nato als Bündnis in der Tat tot."
    Die Verstärkung der Nato-Ostflanke durch die Ausrüstung für 5000 US-Soldaten ist nur ein kleines Stück im westlichen Sicherheitspuzzle. Diese Form der US-Präsenz spielt eine ähnliche Rolle wie die der amerikanischen Berlin-Brigade bis zum Mauerfall. Sie hat auf potenzielle Gegner eine abschreckende Wirkung, weil sie sicherstellt, dass im Falle eines Angriffs die USA von vornherein in den Konflikt einbezogen wären. Und sie hat eine politisch-psychologische Funktion, weil sie den betroffenen Ländern und Bevölkerungen signalisiert, dass sie unter dem Schutzschirm der Nato stehen. Viel mehr wird von den Amerikanern nicht kommen – es sei denn, die Lage würde eskalieren. Wenn die Europäer ein weiteres Plus an konventioneller Abschreckung haben wollen, dann müssen sie selbst dafür sorgen. Deutschland ist dabei besonders gefragt.