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Bürger bauen für die Kommune

Das niederrheinische Willich braucht dringend eine neue Schulmensa. Und um die zu finanzieren, leiht sich Willich als erste Kommune in Nordrhein-Westfalen Geld bei den eigenen Bürgern. Bei denen scheint die Idee sogar ganz gut anzukommen.

Von Nina Magoley |
    Große Pause an der Willi-Graf-Realschule in Willich. Nicht mehr lange, dann wird dieser Schulhof um eine Pausenattraktion reicher sein: Schon im Januar sollen die Bagger anrücken, dann geht es los mit dem Bau einer neuen Schulmensa. 1,7 Millionen Euro soll sie kosten. Geld, das die Stadt eigentlich nicht hat – und sich nun bei ihren Bürgern leihen will. Mindestens 5.000 Euro muss ein Anleger bieten, dafür winken ihm 3,6 Prozent Zinsen – über eine Laufzeit von 20 Jahren. Eine der Ersten, die zusagten, ist Barbara Hartings:

    "Für mich stellt das ne große Solidarität dar, mit anderen Bürgern der Stadt Willich dafür zu sorgen, dass so ein Projekt neu durchgeführt wird und die Stadt sich eben nicht bei Banken das Geld leihen muss und noch mehr Schulden machen müsste. "

    Geboren und aufgewachsen in Willich, leiht die Unternehmerin ihrer Heimatstadt nun einen fünfstelligen Betrag. Auch der 13-jährige Sohn Tom ist mit seinen Ersparnissen dabei.

    "Ich hatte ne große Kommunion, da sind ganz viele Leute hingekommen. Und dann hab ich halt ne Menge Geld gesammelt und gespart und gespart. Und jetzt ist es halt so, das Restgeld legen meine Eltern drauf, was mir noch fehlt. Und somit kriege ich auch meinen Zinssatz da raus. Das hat eigentlich schon was, weil, man weiß ja, man hat da was mit aufgebaut, was auch für lange Zeiten hält."

    Genau dieses "Wir Gefühl" ist es, was sich Bürgermeister Josef Heyes von der Idee erhofft. Denn das Geld für die neue Schulmensa hätte er sich auch in Form eines Kommunalkredits leihen können - durchaus üblich für Städte mit klammer Kasse. Über eine kürzere Laufzeit als die jetzt verabredeten 20 Jahre wäre das sogar günstiger gewesen - zumal sich auch für Kommunalkredite die Zinssätze zurzeit auf einem historischen Tiefpunkt befinden. Doch in Willich geht es nicht nur um das Geld:

    "Wenn wir als Stadt gebaut haben, dann heißt es 'die haben sich wieder was geleistet'. Jedoch wenn diese Form angeboten wird, dass sich Bürger beteiligen können, da ist eine Identifikation: Man wirft mit ein Auge drauf, man identifiziert sich, man sagt auch den Kindern 'achtet mal drauf, dass das sauber ist', man achtet auf Vandalismus."

    Gerade das Projekt Schulmensa scheint dem Bürgermeister besonders geeignet, um die Identifikation seiner Willicher mit ihrem Heimatort zu stärken.

    "Wenn der Großvater oder die Eltern dann das Kind oder den Enkel abholen von der Schule, und dann fällt der Blick da drauf: 'Das ist unsere Mensa'. Ich denke, das ist das "Wir Gefühl" auch als Stadt, sich damit zu identifizieren, auch als Familie."

    Ganz neu ist die Idee eines Bürgerkredits nicht. So hatte die schleswig-holsteinische Stadt Quickborn im Sommer 2009 bereits begonnen, sich für ein Bauprojekt Geld von ihren Bürgern zu leihen. Vier Millionen Euro waren dort innerhalb von zwei Tagen zusammengekommen. Doch dann schritt die Bundesanstalt für Finanzaufsicht ein. Eine Stadt, so die Begründung der Absage, könne keine Geldgeschäfte machen wie eine Bank. In Willich hat man daraus eine Lehre gezogen. Dort verwaltet nun eine ortsansässige Bank das Leih-Geschäft, zahlt Zinsen und Tilgung an die Bürger aus. Zehn Anleger hätten bereits in der ersten Woche ihr Geld eingezahlt, sagt Bürgermeister Heyes. Vom Großvater, der seinem Enkel das Taschengeld garantieren wolle, bis zu Sportvereinen, die mit 50.000 Euro dabei sind.

    "Vereine, die sagen, wir haben ein gewisses Potenzial, wo wir den Verein über Jahre mitfinanzieren wollen. Die Tilgung und Verzinsung werden ja monatlich ausgezahlt. Und das ist, vor allem um Betriebskosten und laufende Kosten des Vereins zu tragen, deshalb sind sogar Vereine dabei, was mich natürlich sehr freut."

    Auch andere Städte liebäugeln offenbar bereits mit der Möglichkeit, Geld bei ihren Bürgern zu leihen. Beim Städte- und Gemeindebund NRW hält man die Idee durchaus für zukunftsfähig, sagt Finanzreferent Andreas Wohland:

    "Die Kommunen müssen vor allem vor dem Hintergrund des demografischen Wandels schauen, dass sie Einwohnerzahlen halten oder möglichst attraktiv sind für die Bürgerinnen und Bürger. Und da ist natürlich wichtig, dass man eine Art Wir-Gefühl schafft vor Ort, um auch noch weiche Standortfaktoren bieten zu können, die andere Städte vielleicht nicht in dem Umfang bieten. Da treten die Kommunen in einen starken Wettbewerb untereinander um Bürgerinnen und Bürger. Da könnte natürlich so eine Maßnahme zu einem positiven Gefühl des Lebens vor Ort beitragen."

    Eine Lösung bei wirklich klammen Kassen sei der Bürgerkredit allerdings nicht, warnt der Experte. Ab einer bestimmten Höhe der Verschuldung darf eine Kommune gar keine Ausgaben mehr machen und keinen Kredit mehr aufnehmen – auch wenn das Geld von den Einwohnern selbst kommt. Für die Anleger dagegen sei der Bürgerkredit bei Zinsen, wie sie jetzt in Willich gezahlt werden, nicht nur attraktiv, sondern vor allem: sicher:

    "Die Kommunen sind von der Gemeindeordnung vor einer Insolvenz geschützt, das heißt, ein Ausfallrisiko für die Bürger und Bürgerinnen besteht eigentlich nicht. Die Kommunen werden dann zu stützen sein vom Land und vom Bund. Ich gehe davon aus, dass es eine sichere Geldanlage ist. Die Bürgerinnen und Bürger bekommen das Geld auf jeden Fall zurück."

    Und die Willi-Graef-Realschule mithilfe der Bürger eine neue Mensa.