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Bürger sehen die Risiken, Experten die Chancen

Cottbus unweit der deutsch-polnischen Grenze, eine beliebte Kantine in der Innenstadt. Sie gehört zum Energieunternehmen Envia, aber es kommen auch Mitarbeiter anderer Betriebe der Stadt hierhin. Draußen scheint die Sonne, und die Stimmung ist gut, die Gespräche lebhaft. Doch der Reporter hat heute keinen leichten Job.

Jan Pallokat |
    Osterweiterung? Ne, also damit habe ich mich nicht auch noch auseinandergesetzt.

    Rund 20 Versuche, kein Wort zur Osterweiterung: Der Osten schweigt. Ein Tabu? Kann schon sein, sagt Helga Bunke, Bezirkschefin der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di.

    Es ist ein sensibles Thema. Viele Leute trauen sich darüber nicht so recht zu reden, weil das gleich einen Touch von Ausländerfeindlichkeit bekommt. Deshalb muss es legitim sein, darüber zu reden, ohne jemanden gleich abzustempeln.

    Zwar sind seit der Wende die polnischen Löhne deutlich gestiegen, und auch der Sloty hat im Verhältnis zur DM bzw. Euro zwischenzeitlich kräftig zugelegt. Aber der Lohnabstand zwischen Ostdeutschland und Westpolen beträgt im Schnitt noch immer 1:3, mit von Branche zu Branche allerdings unterschiedlicher Spanne. So können viel gesuchte Ingenieure auch in Polen stattliche Löhne verlangen, ähnlich sah es zwischenzeitlich auch bei Computerspezialisten aus.

    Ganz anders in der Landwirtschaft. Nach Auskunft der polnischen Botschaft in Berlin liegt der Durchschnittslohn in der polnischen Landwirtschaft bei umgerechnet rund 100 Euro im Monat. Kein Wunder, dass auch dieses Jahr wieder 1500 polnische Saisonarbeiter die Rücken krumm gemacht haben bei der Spargel- oder Gurkenernte in der Lausitz: Für 3 Euro 83 die Stunde, gemessen an der Kaufkraft daheim ein ansehnliches Gehalt. Um Lausitzer zu diesen Löhnen zur Arbeit zu bewegen, muss das Arbeitsamt Cottbus noch etwas drauf legen.

    Viele in der deutschen Grenzregion haben vor allem diese Form der Niedriglohnbeschäftigung vor Augen, wenn sie an die östlichen Nachbarländer denken. Im Zuge der Osterweiterung fürchten daher nicht wenige einen verschärften Unterbietungswettbewerb in der Lausitz – und nicht nur dort. Norbert Glante, SPD-Europaparlamentarier aus Brandenburg, registriert Sorgen, die Osterweiterung gefährde den eigenen Arbeitsplatz, auch anderswo im Lande Brandenburg.

    Wenn man vor Ort ist: Schwedt, Guben, Frankfurt an dr Oder. Dann ist das erstaunlich: Östlich von Berlin werden diese Ängste relativ schnell größer. Weiter westlich, ob ich mit Schülern oder anderen rede, ist das Problem nicht so deutlich da. Bei 50 Kilometern ist da schon ein Unterschied zu erkennen.

    Eine Umfrage, die die Europa-Universität Frankfurt/Oder unter Jugendlichen beidseits der Oder durchführte, brachte eine geteiltes Bild ans Licht. Während die meisten polnischen Jugendlichen mit der EU-Osterweiterung größere Reise- und Einkaufsmöglichkeiten sowie mehr freundschaftliche Kontakte verbanden, brachten Jugendliche am deutschen Oderufer eher einen Anstieg von Kriminalität und Vorurteilen mit der Erweiterung in Verbindung – und einen Anstieg der Arbeitslosigkeit.

    Dabei soll die Osterweiterung im Gegenteil die Lebensverhältnisse annähern, und so auch armutsbedingter Kriminalität die Basis nehmen. Doch der Weg dorthin ist weit: Werden sich zwischenzeitlich doch viele Polen oder Tschechen aufmachen nach Westen? Ist etwas dran an den Ängsten gerade in der Grenzregion?

    Die Forschung tut sich schwer mit exakten Prognosen. Zu viele Variablen bestimmen die Entscheidung, in der Ferne das Glück zu suchen. Der Lohnabstand ist dabei nur eine Größe. Allein, darin herrscht Einigkeit, reicht er nicht aus, Heimat, Freunde und womöglich Familie zu verlassen für den Job im Ausland. Erst wenn es daheim auf längere Sicht keine Perspektive gibt, brechen die Menschen in großer Zahl auf, so die Aussage des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Europa fürchtet sich vor einem Phantom, urteilt dort der Ökonom Sandor Richter.

    Laut einer Studie der Weltbank etwa würde sich nach der vollen Öffnung der Grenzen EU-weit die Zahl der Arbeitssuchenden um 1,1 Prozent erhöhen, in Deutschland um 3,5 Prozent.

    Das Ifo-Institut dagegen modellierte die bislang stärkste Wanderungsbewegung: Bereits drei Jahre nach Öffnung der Arbeitsmärkte würden demnach bis zu eine Millionen Menschen aus den Beitrittsstaaten in Deutschland leben. Die Münchner warnen dabei vor einer Einwanderungswelle hinein in die üppigen deutschen Sozialsysteme.

    Prognosen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW zufolge etwa ist nur von knapp zwei Millionen Menschen aus Osteuropa in Deutschland aus zu gehen, die sich im Verlauf von 15 Jahren nach der Osterweiterung bei voller Freizügigkeit in Deutschland niederlassen und arbeiten würden.

    In manchen südosteuropäischen Staaten, die freilich nicht zur ersten Erweiterungsrunde gehören werden, hat die Suche nach dem Auslandsjob für jüngere Familienmitglieder fast schon Tradition. In Polen sei das anders, sagt Danuta Dominika-Woznak, Chefin der Handelsabteilung an der polnischen Botschaft in Berlin.

    Es gibt eine erhebliche Arbeitslosigkeit in Ostpolen, so gut wie keine Arbeitslosigkeit in Warschau. Trotzdem brechen die Menschen in Ostpolen nicht auf. Die Mobilität ist nicht so riesig schon innerhalb Polens, deshalb wird es keine große Westwanderung geben.

    Ob und in welchem Maße also nach der Grenzöffnung Nachbarn aus Osteuropa gen Westen aufbrechen, ist also schwer zu bestimmen. Allerdings: Dass der Zug der Arbeitssuchenden dann ausgerechnet den deutschen Osten ansteuert, hält Klaus Zimmermann, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, für abwegig.

    Denn in Brandenburg gibt es nichts, wohin man wandern könnte um zu arbeiten. Das ist eher für Bayern ein Problem. Aber wenn man pendelt, kann man auch weiter rein pendeln: Das sehe ich nicht so regional.

    Um Ängsten vor Wanderarbeitern vor allem in grenznahen Regionen zu begegnen, setzten Berlin und Wien in Brüssel durch, ein Sicherheitsnetz gegen massenhafte Arbeitskräftewanderung aufzuspannen. Im Rahmen von Übergangsfristen ermöglicht die EU-Kommission Staaten der Alt-EU, ihren Arbeitsmarkt bis zu sieben Jahre nach Erweiterung der Union gegen Zuwanderer aus den Beitrittsstaaten abzuschotten. Ökonomen wie Rüdiger Pohl aus Halle halten nichts von solchen Fristen.

    Mancher Handwerker wird sich bei solchen Schutzregeln überhaupt erst überlegen, seinen Betrieb nach Polen zu verlagern. Es gibt kein ökonomisches Argument für diese Frist. Außer wenn sie glauben, es wird eine Völkerwanderung geben.

    Letztlich werde das Problem durch die Sieben-Jahres-Frist nur verschoben, nicht aufgehoben. Andere Ökonomen weisen daraufhin, dass die vereinbarten Regeln den einzelnen EU-Staaten freistellen, auch vor Ablauf der Sieben-Jahres-Frist, frühestens nach zwei Jahren, ihre Arbeitsmärkte gänzlich zu öffnen. Schweden beispielsweise hat bereits angekündigt, dies zu tun. Und so könnten dringend benötigte Fachkräfte aus Polen oder Tschechien eben dorthin zuwandern – zum Schaden der Standorte wie Deutschland, die dann von diesem Zustrom nicht profitierten.

    Die Übergangsregeln spalten die deutsche Wirtschaft: Während etwa die Bauindustrie noch längere und umfassendere Schutzfristen im Dienstleistungsektor fordert, setzt sich der Bundesverband der Deutschen Industrie für eine beschleunigte Freigabe ein. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hält sich zurück in dieser Frage: DGB-Vorstand Heinz Putzhammer:

    Die Gewerkschaften sind insgesamt pro Erweiterung eingestellt. Die Mitglieder wissen, dass die Chancen der Erweiterung, Ausdehnung der Märkte, durchaus standhalten können, mit dem was an Bedrohung auf sie zukommt. Es ist klar: Arbeitskräfte werden in Deutschland in den nächsten Jahren knapper werden. Das erleichtert aber auch die Probleme der Erweiterung, weil es dann nicht das große Problem sein wird, angesichts vieler Millionen deutscher Arbeitsloser auch noch die Zuwanderung aus dem Osten verkraften zu müssen.

    Wenn in den nächsten Jahren Arbeitskräfte in Deutschland aufgrund der Überalterung der Gesellschaft zunehmend knapper werden, würde Zuwanderung leichter zu verkraften sein, prophezeit der DGB-Vorstand. Erledigt sich das Problem also von selbst? EU-Erweiterungskommissar Günther Verheugen wird nicht müde, seine Prognosen zu wiederholen

    Die EU-Erweiterung löst einen Wachstumsschub aus, der am Ende mehr Jobs schafft.

    Viele vermuten deshalb, auch Deutschland werde seinen Arbeitsmarkt und Dienstleistungsmarkt letztlich vor Ablauf der Sieben-Jahres-Frist öffnen, sobald klar ist: Die große Wanderung und Verdrängung bleibt aus.

    Anders als das Ringen um Schutzfristen vermuten lässt, ist der gemeinsame Markt schon heute auf vielen Feldern längst Realität. Alle Beitrittskandidaten orientieren sich längst am künftigen gemeinsamen Markt. Mit Abstand wichtigster Handelspartner aller Beitrittskandidaten ist bereits die EU. Das gilt sowohl bei Export wie Importen, und selbst für entferntere und einst ganz auf die Sowjetunion ausgerichteten Staaten wie die baltischen Länder.

    Vor allem als Zulieferer haben Unternehmen aus dem Ostteil des Kontinents sich längst eine Stellung erobert. Den Verbrauchern fällt dies bislang nur selten auf, weil bei den Endprodukten eher selten ein "Made in Poland" auf den Waren steht.

    Die Osterweiterung ist in der Praxis schon weitgehend vollzogen, spitzt der Hallenser Ökonom Rüdiger Pohl zu. Er warnt davor, vom formellen Abschluss der Erweiterung noch große Wachstumsimpulse zu erwarten.

    Die großen Investitionen sind längst geschehen, wer jetzt kommt, kommt 15 Jahre zu spät.

    Aus Sicht deutscher Unternehmen, die sich bereits mit osteuropäischen Anbietern messen müssen, könnte sich der Konkurrenzdruck mit dem Vollzug der Osterweiterung sogar vermindern. Denn dann werden auch Unternehmen aus Polen oder Tschechien nach und nach EU-Standards etwa beim Arbeits- oder Umweltschutz einhalten müssen. Der für die Beitrittsverhandlungen maßgebliche Katalog, der aquis communitaire, ist voller solcher Regelungen – so voll, das die Regierungen in den Beitrittsstaaten eine Fülle von Übergangsregeln herausgehandelt haben, um die heimischen Unternehmen nicht zu überfordern.

    Ostdeutsche Unternehmen zum Beispiel haben mit Weststandards, mit Ausschreibungsregeln und anderen Vorgaben Erfahrungen schon gesammelt: Ein nicht zu unterschätzender Vorteil gegenüber den Neulingen aus dem Osten. Dagmar Boving, Europa-Expertin beim Deutschen Industrie und Handelskammer Tag:

    Es gab eine Umfrage unter deutschen Unternehmen, wie sie die Osterweiterung sehen: Überwiegend als Chance.

    Dennoch bleibt der Lohnkostenvorteil auf absehbare Zeit ein großer Standortvorteil der osteuropäischen Konkurrenz. Allerdings schmolz dieser Vorteil schon in den letzten Jahren mit dem steigenden Lebensstandard dahin: Bereits jetzt sind die osteuropäischen Staaten keine klassischen Billiglohnländer mehr.

    Bestes Beispiel ist die Textilwirtschaft: Nachdem sie ihre Produktion zunächst nach Tschechien oder Lettland ausgelagert hatte, floh die Branche vor einem zunehmenden Vorschriftsdickicht und steigenden Löhnen bereits weiter nach Asien, wo Arbeitskraft noch billiger und Schutzrechte noch löchriger sind.

    Volkswirte erwarten nach dem Vorbild früherer EU-Erweiterungen auch in Osteuropa eine weitere Angleichung der Lohnverhältnisse. Allerdings: Der Abstand von Löhnen und Leistungskraft bei dieser Erweiterungsrunde ist teilweise weit größer als bei der Süderweiterung der EU. In manchen Ländern müssten die Menschen, um auf das Pro-Kopf-Sozialprodukt des EU-Durchschnitts zu kommen, sechs bis sieben Mal so viele Waren und Dienstleistungen produzieren wie bisher.

    Rechnet man allerdings das im Osten des Kontinents ebenfalls deutlich geringere Preisniveau heraus, so erreichen etwa die baltischen Staaten bereits ein gutes Drittel des EU-Niveaus, Polen, Tschechien und Ungarn stehen noch etwas besser da. Und vergleicht man die EU-Neulinge mit Griechenland, dem ärmsten Land der alten EU, dann können die Neulinge in vielen Punkten durchaus mithalten.

    Doch Vergleichsmaßstab für Warschau und Budapest ist nicht Athen, sondern Berlin oder London. Auf Dauer werden sich die neuen EU-Länder nicht mit der Rolle des preiswerten Zulieferers begnügen, prognostiziert Rüdiger Pohl, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle.

    Die werden versuchen, gleiche Wirtschaftsstrukturen aufzubauen. Sie werden auch Autos produzieren, und das ist auch wünschenswert: In ganz Europa wird es Wettbewerb über Qualität geben. Das ist ein generationsübergreifende Aufgabe. Die osteuropäischen Länder müssen nur die Nerven behalten.

    Klaus Zimmermann, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, rät deutschen Unternehmen, sich in dieser Zwischenzeit zweibeinig aufzustellen: Mit einem Standort in Deutschland, einem in Polen. So könnten die Vorteile beider Standorte vereint werden.

    Fallbeispiel Bechstein: Der Pianoproduzent übernahm seinerzeit die sächsische Pianofortefabrik und produziert bis heute in Seifhennersdorf, nur anderthalb Kilometer von der derzeitigen EU-Ostgrenze entfernt. Zahlreiche Zulieferer aus Tschechien und Polen arbeiten mit dem deutschen Instrumentenbauer bereits zusammen. Nach der EU-Osterweiterung wäre es also ein Klacks, einfach hinüber zu gehen. Doch Bechstein Chef Karl Schulze weist derartige Absichten von sich.

    Wir könnten unser Werk auf Räder stellen und rübergehen. Der Lohnvorteil ist aber nur ein kleines Segment. Wir haben etwas technologisch Führendes aufgebaut, das ist zukunftsweisend und setzt uns in die Lage, Hochlohnland-Löhne auch zu zahlen. Deswegen bleiben wir hier. Wir werden aber unsere Zuliefererbeziehungen ausbauen. Uns wächst doch ein Wachstumsmarkt zu. Man könnte dort neue Produktionslinien etablieren, neue Märkte erobern.

    Fachleute aus Tschechien nach Deutschland holen will er auch nicht, beteuert Schulze. Das sei auch heute schon möglich - im Rahmen von Grenzgängerregelungen. Schulze sieht den Beitritt der osteuropäischen Länder als Chance – als eine Verjüngungskur für sein Unternehmen, aber auch für die ganze deutsche Wirtschaft.

    Neues Blut, neue Ideen. Mehr-Absatz in die Länder wird auch kommen, denn das sind aus unserer Sicht – es geht ja um Instrumentenbau - Kulturländer. Dort sind auch Kreativität und Ideen vorhanden, das müssen wir bündeln.

    Relativ kostengünstige Vorproduktion in den Beitrittsstaaten plus Know-How und Technologie in den alten EU-Staaten plus Stabilität und Sicherheit eines gemeinsamen Wachstums- und Währungsraums: Für Klavierbauer Schulze liegt in der Osterweiterung eine Chance, den Standort Europa fit zu machen für eine neue Runde im weltweiten Standortwettbewerb.

    Wie man es auch dreht und wendet: Ob man also Angst hat vor Zuwanderung aus dem Osten oder Hoffnungen mit der Erweiterung verbindet: von zentraler Rolle ist bei beiden Fragen, wie sich die neuen EU-Länder wirtschaftlich entwickeln. Stürzen ihre Volkswirtschaften ab, dann kommt es sicher zu starker Zuwanderung in die Alt-EU, und dann sind auch Bechstein-Schulzes Träume vom Wachstumsschub schnell ausgeträumt.

    Sind die großen Hoffnungen, die sich etwa auch an den osteuropäischen Börsen widerspiegeln, vielleicht zu hochgesteckt? Kommt nach dem formalen Vollzug der Erweiterung die große Enttäuschung?

    Auch in dieser Frage, der nach der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung der Reformstaaten Osteuropas nach dem EU-Beitritt, sind Experten unsicher. Rüdiger Pohl zum Beispiel, Ökonom am Institut für Wirtschaftsforschung in Halle, glaubt, die Beitrittsländer würden die Kosten des Beitritts unterschätzen. Schließlich sind sie gezwungen, ihre Straßen, Kläranlagen oder Mastbetriebe mit Milliardenaufwand auf EU-Standard zu hieven – nicht alles wird aus EU-Mitteln bezahlt werden, und nicht in allen Fragen hat die EU-Kommission Übergangsfristen gewährt.

    In Polen etwa werden Privatisierungen, Umstrukturierungen und der Abbau von Überkapazitäten etwa beim Stahl, wie sie die EU-Kommission von Polen fordert, noch viele Arbeitsplätze kosten. Niemand weiß, ob der durch den Beitritt erhoffte Boom in Polen genügend Alternativ-Jobs generiert.

    Weiterhin bereiten Korruption und Schwächen der Verwaltung in den Beitrittsstaaten Sorgen. Der Hallenser Ökonom Pohl, die Probleme Ostdeutschlands vor Augen, warnt davor, dass viele Betriebe in den Beitrittsstaaten nur unzureichend vorbereitet sind auf Regelwerk und Vorschriftsdickicht der EU, auf Ausschreibungsregeln, auf die geballte Marktmacht westlicher Konzerne.

    Die Gefahr ist da. Es wird nicht gleich alles funktionieren. Da aber müssen Ungarn und Polen selbst sehen, wie sie sich vorbereiten. Denn es gibt keine Alternative zu den EU-Regeln: Das hieße außen vor bleiben mit eigenen Regeln, die auch nicht funktionieren.

    Die osteuropäischen Staaten haben sich in den letzten Jahren einer Rosskur von Reformen unterzogen. Die Menschen in der alten EU dagegen verharrten lange im Glauben, für sie müsse sich nichts ändern. Inzwischen wächst auch in Berlin und Paris die Einsicht, dass auch hier schmerzliche Einschnitte nicht mehr zu umgehen sind. Ökonomen hoffen, dass der Reformdruck in den alten EU-Staaten durch die Osterweiterung noch wächst.

    Angesichts der vielen ökonomischen Unsicherheiten, die mit der Osterweiterung verbunden sind, verwundert es, dass noch keine Populisten auftreten, die im großen Stil dagegen mobil machen – zumal das, was alle im Rahmen der Erweiterung gewinnen können, nicht sofort und unmittelbar einsichtig ist und mit Arbeit und schmerzhaften Einschnitten verbunden ist.

    Doch gärt es vielleicht schon unter der Oberfläche? In Umfragen äußern sich neben den Franzosen ausgerechnet Deutsche und Österreicher relativ skeptisch zur Erweiterung– obwohl doch ihre Länder, geht alles gut, am meisten von ihr profitieren würden. Und sogar in manchen Beitrittsstaaten selbst müssen Regierungen unerwartet viel Überzeugungsarbeit leisten, um wackelnde Mehrheiten für das Projekt zu stabilisieren.

    Noch einmal zurück nach Cottbus, in die Lausitz-Hauptstadt, in der niemand so recht über Ängste und Hoffnungen rund um die Osterweiterung reden will. Vor der beliebten Kantine in der Innenstadt finden sich nach einigem Warten doch endlich zwei Männer, die ihre Meinung sagen – und dabei keineswegs nur Ängste artikulieren.

    Könnte natürlich sein, dass östlich der Grenze investiert wird in einer Größenordnung, dass auch unser Arbeitsmarkt davon profitiert. Ich sehe das eigentlich als Vorteil an. Es muss bloß sachte und vernünftig gemacht werden und nicht "holterdiepolter" wie die deutsche Einheit.

    Ist sie nun also gut oder schlecht für die Lausitz, die Erweiterung? Sowohl als auch, glaubt nun ein weiterer Mann vor der Kantine in Cottbus. Es werde Verliererbranchen geben, aber auch Gewinner. Und wer weiß, vielleicht gehört dazu sogar der eigene Betrieb, der Stromhändler Envia.

    Für das Unternehmen könnte es ne Gewinnerbranche werden, für machen Arbeiter vielleicht ne Verliererbranche. Wenn unser Betrieb auf die Idee kommt, sich auch polnische Arbeitskräfte zu leisten als Fremdarbeiter, wird es auch in unseren Reihen Verlierer geben, sage ich mal. – (andere Stimme) Aber für Euren Betrieb ist ganz klar ne Gewinnerbranche.

    Blühende Landschaften als Folge der EU-Osterweiterung erwartet niemand in Cottbus. Aber die Erweiterung nur auf polnische Billigarbeiter zu reduzieren, ist vielen dann doch zu einfach.

    Es müsste bloß die Bevölkerung besser aufgeklärt sein. Vor allem über die Risiken. Da müssten die Politiker mal rausrücken, die schweigen mir zuviel.

    Sie könnten dann auch glaubhafter von den Chancen erzählen. Die zum Beispiel im Erlernen der polnischen Sprache liegen. Im Arbeitsamt Cottbus registriert der Direktor zunehmende Nachfrage nach Fachkräften mit Polnischkenntnissen. Die örtlichen Sprachschulen aber registrieren bislang kaum Interesse an der Sprache des Nachbarlandes.