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Bürger und Bundespräsident

Joachim Gauck will in seinem Amt als Bundespräsident auch Bürger bleiben. Denn bürgerliche Tugenden seien für ihn die Gewährträger für Freiheit und Demokratie, so Gauck bei seinem Besuch in Baden-Württemberg.

Von Michael Brandt |
    Der Abend im Evangelischen Stift in Tübingen. Eingeladen sind 130 Tübinger Bürger, um mit Bundespräsident Joachim Gauck ins Gespräch zu kommen. Denn Bürger und bürgerliche Tugenden, so der Mann, der seit 26 Tagen das höchste Staatsamt bekleidet, sind für ihn die Gewährträger für Freiheit und Demokratie:

    "Ich möchte einmal aus dem Amt scheiden in dem Bewusstsein, dass es mir gelungen ist, in dem Amt ein Bürger geblieben zu sein und vielleicht bürgerschaftliche Tugenden noch mehr gelernt zu haben. Und ich glaube, dass hier, in diesem gesegneten Teil Deutschlands, ganz besondere Kraft gewachsen ist aus der Bürgerschaft heraus."

    Gestartet war der Besuch am Morgen im baden-württembergischen Staatsministerium. Landepolizeiorchester, das gesamte Kabinett und der Ministerpräsident begrüßten den Bundespräsidenten. Kretschmann erklärte, dass Grün-Rot in Baden-Württemberg für eine nachhaltige Politik einsteht – und …

    "… daher hoffe ich, dass Ihr Besuch, Herr Bundespräsident, in Baden-Württemberg auch einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt."

    Und der Herr Bundespräsident replizierte artig:

    "Ich freue mich unglaublich. Für mich ist es etwas ganz besonderes, hier in Baden-Württemberg zu sein. In diesem Bundesland sehe ich Zukunft."

    Auch wenig später im Landtag stimmte Gauck das Motiv an, das den ganzen Tag über wieder zu hören war: Er mag Baden-Württemberg, weil das Engagement in der Zivilgesellschaft oder in den Vereinen oder Bürgerinitiativen größer sei als anderswo.

    "Sie sind abgeordnete Bürger in diesem Land, das mir gerade wegen seiner Bürger, seines Bürgersinns und seiner Bürgerleistung imponiert."

    Es gibt keine Freiheit ohne Verantwortung, sagte Gauck wenig später, um dann seine Lobeshymne auf den Südwesten fortzusetzen. Als Kind habe er für eine Automarke aus Baden-Württemberg geschwärmt, als Student für Dichter und Denker aus Baden und Württemberg, sehr viel später dann für den Geist der Bürgerbeteiligung, der hier herrscht.
    Unterdessen bereiteten sich 30 Kilometer weiter mehr als 1000 Schüler der Geschwister-Scholl-Schule in Tübingen auf den wichtigsten Besuch in der 40-jährigen Geschichte der Schule vor. Der Bundespräsident besucht eine der Schulen, die zum nächsten Schuljahr Gemeinschaftsschule werden sollen und die damit einen Leuchtturm der neuen baden-württembergischen Schulpolitik ist. Und die Schule bebte vor Freude, so Rektorin Erika Braungart-Friedrichs:

    "Seit drei Wochen gaucken wir. Es ist alles ganz toll, wir sind aufgeregt und wir freuen uns ganz arg."

    Joachim Gauck wurde also herzlich empfangen und er fühlte sich sichtbar wohl in der Umgebung der Kinder. Seine Sicherheitsleute brachte er fast zur Verzweiflung, als er immer wieder Hände schüttelte. Im Nachhinein sprach er von

    "wunderbaren offenen und herzlichen Kindern. So viel Herzlichkeit auf einmal, das könnte ausreichen fürs ganze Jahr."

    Entsprechend herzlich beantwortete er dann auch Fragen, die ihm Schüler stellten. Erstens:

    "Wie haben Sie Ihre Schulzeit in Erinnerung?"

    " Ich möchte nicht alles erzählen, dazu sind einfach zu viele Lehrer hier."

    Frage Nummer Zwei zielte dann auf das zweite Motiv, das diesen Besuch bestimmte und für das die Person Joachim Gauck steht: auf die Freiheit. Eine Schülerin fragte, was man heute von den Namensgebern ihrer Schule, den Geschwistern Scholl, lernen könnte. Die Geschwister Scholl, so der ehemalige Pfarrer Gauck, seien bereit gewesen, für Werte, die ihnen heilig und wichtig sind, alles zu geben, sogar ihr Leben.

    "Das ist so weit weg von unserem normalen Leben, dass man es gar nicht genug würdigen kann. Deshalb hat eure Schule einen der schönsten Namen, den Schulen haben können."

    Die Schüler jedenfalls waren von dem Bundespräsidenten genauso begeistert wie der Präsident von ihnen, aber sie formulierten es - natürlich - so:

    " Cool, weil er auch so offen über alle gesprochen hat."
    "Auch gut."
    "Also ich fand ihn sehr sympathisch und dass er relativ bürgernah war. Er hat gesagt, dass wir den schönsten Schulnamen haben, und das bestätigt mich dann auch, dass ich hier auf der Schule war und hier meine Schulzeit verbracht habe."
    "Ja, war gut, weil er total sympathisch rüberkommt."

    Noch dauert der Bürgerempfang im Evangelischen Stift in Tübingen an. Eine der Bürgerinnen, die mit Joachim Gauck sprachen, war Inge Jens, die Frau des Schriftstellers Walter Jens. Und wie sich herausstellte, ist vermutlich sie die Tübingerin, die Gauck am längsten kennt. Ihr Treffen im Jahr 1987, als ihr Mann einen Vortrag in Rostock hielt, bestätigt das, was Gauck zuvor berichtet hatte.
    Sie machte mit ihrem Mann einen Spaziergang in der Nähe der Kirche Sankt Peter und dann sah sie den heutigen Bundespräsidenten, zumindest einen Teil von ihm:

    "Einige Trabbis standen am Straßenrand und unter einem sah ich, dass jemand drunterlag, wobei ich nur die Beine sah. Dieser enge Raum ließ unsere Schritte ziemlich hallen und der Mann kroch unter seinem Trabbi hervor, um zu sehen, wer denn da einen solchen Krach macht. Er kannte meinen Mann, stellte sich vor, und es war Herr Gauck, wie sich nachher herausstellte."