Dienstag, 23. April 2024

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Bürgercoaching als Kunstevent

Das Ausstellungsprojekt "Demonstrationen. Vom Werden normativer Ordnungen" widmet sich unterschiedlichen Formen der öffentlichen Artikulation von Macht, Zweifel und Protest. Mittels künstlerischen Ideen wird das Thema plastisch.

Christiane Vielhaber im Gespräch mit Katja Lückert | 23.01.2012
    Katja Lückert: "Demonstrationen. Vom Werden normativer Ordnungen" - so heißt eine Ausstellung im Frankfurter Kunstverein, die - es sei gleich gesagt, weil später noch wichtig - gefördert wird durch die Kulturstiftung des Bundes und dem Exzellenzcluster unter dem Titel "Die Herausbildung normativer Ordnungen" der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Die Wissenschaftler aus der Universität werden im Rahmen dieser Ausstellung, in der es also ums Demonstrare, ums Zeigen, von der wissenschaftlichen Beweisführung bis hin zum Massenprotest auf der Straße gehen soll auch eine ganz interessante Sache beitragen. Am nächsten Wochenende nämlich bieten sie den Bürgern in ihrem eigens für die Ausstellung eröffneten "Amt für Umbruchsbewältigung" Beratungsgespräche an - Bürgercoaching als Kunstevent gewissermaßen. - Christiane Vielhaber, das wird vermutlich ein munteres Happening. Brauchte so eine Ausstellung über Demonstrationen noch ein bisschen mehr Action?

    Christiane Vielhaber: Na ja, das Ganze hat damit zu tun, dass diese Demonstrationen von Menschen handeln, und das sind Menschen, die auf die Straße gehen. Es braucht also den menschlichen Körper dazu, es braucht die Performance, und dieses ganze Beiprogramm war für mich jetzt - ich habe, als ich die Ausstellung gesehen habe, natürlich nichts davon mitgekriegt, ...

    Lückert: Aber viel davon gehört, vermutlich.

    Vielhaber: Aber ich konnte mir vorstellen, dass das teilweise auch überraschend ist im Sinne von Flashmob oder so, dass die also ganz spontan irgendwas machen. Und dann muss man ja sich nur überlegen: was machen die Wutbürger in Stuttgart, was machen sie in Asse, also einmal Atomendlagerung oder gegen diesen Bahnhof oder was ist in der Arabellion passiert, was nehmen die Leute mit auf die Straße, wie performen sie sich. Also das ist die eine Frage.

    Die andere Frage ist, kann man dieses Thema illustrieren, und Gott sei Dank haben das die drei jungen Kollegen nicht gemacht. Sabine Witt, Britta Peters und Fanti Baum waren jeweils zuständig für die zeitgenössische Kunst, für die Performance, also das, was draußen passiert, und für die alte Kunst.

    Lückert: Das sind jetzt die Kuratoren?

    Vielhaber: Ja. Das sind die Kuratoren, die - zwei davon im Frankfurter Kunstverein - dieses Thema aufgreifen. Und ich sage Ihnen mal zwei Beispiele: Dann weiß man ganz genau, worum es geht. Sie haben einen Stich, der nach der Selbstkrönung von Napoleon 1804 entstanden ist, und sie sehen diese Prozession dieser ganzen Hofschranzen und sie sehen den Papst, der seine Tiara abnimmt, nur weil der kleine Napoleon jetzt ganz wichtig ist. Und auf der anderen Seite haben sie ein wunderbares Video von einem pakistanischen Künstler, und sie schauen ganz gebannt, was bei Videokunst selten ist. Sie schauen ganz gebannt und denken, was passiert jetzt. Sie sehen also: Da kommt eine Eskorte, es wird ein roter Teppich ausgefahren, sie sehen kleine Kinder mit weißen Kniestrümpfen und Fähnchen am Rand, sie sehen Bodyguards, die so telefonieren, und sie denken immer, was passiert jetzt, wer kommt jetzt. Das Ende vom Lied ist natürlich: Es kommt keiner, sie wissen gar nicht, für wen das gemacht ist. Es ist natürlich eine inszenierte Huldigung, und das Ganze sehen sie dann wieder zum Beispiel, als sich Karl VII. in Frankfurt auf dem Römerberg zum Kaiser krönen lässt. Also diese ganzen Bezüge ...

    Lückert: Da wollte ich gerade noch hin! Kaiserkrönungsszenen als Demonstrationen von Macht, da denkt man auch, das könnte jetzt auch in einer anderen Ausstellung vorkommen. Ist da nicht das Motto "Demonstrationen", "demonstrare" das Lateinische, ein bisschen sehr weit gefasst?

    Vielhaber: Nein. Sie haben ja vorhin selber gesagt: Was heißt Demonstrieren? - Demonstrieren heißt ja einmal vorführen, dann einmal wissenschaftlich begründen, aber es heißt eben auch, jedenfalls spätestens seit der Französischen Revolution, auf die Straße gehen und Rabatz machen, also gegen irgendwas sein. Aber Demonstrieren heißt ja nicht immer gegen irgendetwas sein.

    Es gibt dann so einen hinreißenden kleinen Film: Da haben sie zwei Künstlerinnen, die liegen im Bett und gehen jetzt alle durch, von Blair bis Bush und Castro, wer eigentlich im Bett ganz gut wäre, oder wer sexy ist.

    Lückert: Ist das jetzt wieder ein Video?

    Vielhaber: Das ist wieder ein Video. - Und das ist alles nebeneinander. Sie haben dieses Video gesehen und dann gehen sie in einen Raum, wo es um die Menschenrechte geht, und dann sehen sie zum Beispiel etwas Ästhetisches, dass man sich formal da auf die Gesetzestafel von Moses bezieht, dass also genau diese Form genommen wird. Und dieses Nebeneinander, was Demonstration sein kann, eben auch im Sinne von Menschenrechten, das ...

    Lückert: Aber kommt man damit klar, oder braucht man einen dicken Katalog?

    Vielhaber: Nein! Also den braucht man überhaupt nicht. Diese Ausstellung hat eine bestimmte Sinnlichkeit. - Noch ein letztes Beispiel: Hasenclever, der Düsseldorfer Maler, malt dann diese Lesegesellschaft, und dann sehen sie, wo die Herren da sitzen, in der Kneipe, und lesen, und das Licht der Aufklärung ist ganz, ganz schummrig und ernsthaft lesen die nicht.

    Lückert: Das ist dann ein Klassiker. - Christiane Vielhaber war das über die Ausstellung: "Demonstrationen. Vom Werden normativer Ordnungen" im Frankfurter Kunstverein.