"Wir haben unseren Spruch: Es sind nicht die Zuckertüten, die immer größer werden, sondern unsere Kinder werden immer früher eingeschult. Und hier sieht man auf dem Foto: Der kleine Fünfjährige mit der Riesentüte schwitzt und kommt nicht voran und dann der große Siebenjährige, stark, mit Ranzen und Schultüte.
Stephanie Auras-Lehmann und Beatrice Peschel beantworten die noch immer täglich auf ihrer Facebook Seite eingehenden Fragen besorgter Eltern. Vor zwei Jahren gründeten diese Mütter mit vier weiteren Frauen aus Finsterwalde in Brandenburg die Bürgerinitiative "Stoppt die Früheinschulung". Sie sammelten 35.000 Unterschriften und wollten so die Landesregierung dazu bringen, den jetzigen Einschulungsstichtag vom 30. September auf den 30. Juni vorzuverlegen. Sie kamen damit nicht durch. Doch die Frauen wollen weiter aufklären und helfen.
Beatrice Peschel hat ihre Tochter ganz bewusst zurückstellen lassen. Die Kleine hätte nach der jetzigen Regel im letzten Sommer eingeschult werden sollen. Mit fünf Jahren:
"Bei uns war es so, dass sie jede Nacht zu uns kam und sie nicht alleine irgendwo hingegangen ist. Sie war so zurückhaltend und schüchtern. Wir haben sie in dem Jahr auch im Schwimm-Verein angemeldet. Und sie geht jetzt auch allein in die Gruppe und zum Duschen. Sie ist mittlerweile so sozial eingebunden, dass sie jetzt auch eingeschult werden kann."
Studien bestätigen die Sicht der Eltern
Beatrice Peschel weiß, dass das eine Jahr länger in der Kita ihrer Tochter gutgetan hat. Diese Erfahrungen wünscht die Elterninitiative allen, die sogenannte "Sommerkinder" haben, deren Kinder also mit fünf Jahren eingeschult würden.
In Zeiten von höher – schneller - weiter überraschen Studien wie die der Universität München und des Zentralinstituts für kassenärztliche Versorgung. Sie zeigen, dass bei Kindern, die mit fünf Jahren eingeschult werden, häufiger ADHS diagnostiziert wird. Und: Sie bleiben eher sitzen, sie haben seltener eine gymnasiale Empfehlung.
Eine schwedische Langzeitstudie kommt zu dem Ergebnis, dass Kinder, die mit sieben Jahren eingeschult werden, in der gesamten Schulzeit besser abschneiden als die Kinder, die mit fünf in die Schule kommen. Stephanie Auras-Lehmann findet, dass dies ein starkes Argument für die Politik sei. Andere Eltern sehen das offenbar ähnlich, sagt sie:
"Dieses Jahr, also in diesem Schuljahr 2016/2017, wurden 3400 Anträge auf Rückstellung gestellt in Brandenburg. Das heißt, dass man hier eigentlich handeln müsste."
Umstellung hätte weitreichende Folgen
Doch der brandenburgische Minister für Bildung, Jugend und Sport, Günter Baaske von der SPD, will von einer Rückstufung des Stichtages auf den 30. Juni nichts wissen:
"Die Kinder müssen dann länger in der Kita bleiben. Das hat auch zur Folge, dass die Kitaplätze erhöht werden müssten, dass mehr Personal in der Kita eingestellt werden müssten und und und. Das ist nicht einfach so mit einem Federstrich getan, sondern das hat auch Folgen an allen anderen Stellen in diesem Land."
Für diese Umstellung müssten die Kommunen zehn bis zwanzig Millionen aufbringen und dagegen wehren sich die Bürgermeister, argumentiert der Minister. Gleichzeitig sei die Rückstellung in Brandenburg so geregelt, dass dem Willen der Eltern meistens nachgegangen würde:
"Das Verfahren ist in Brandenburg sehr stark vereinfacht: Die Eltern füllen ein Formblatt aus. Wir brauchen kein ärztliches Gutachten. Wir brauchen keine Stellungnahme irgendeines Facharztes."
Die Mütter der Elterninitiative bestätigen, dass es durch ihr Engagement einfach geworden sei, die Kinder später einzuschulen. Das gelte für die Orte, an denen es viele Kinder gäbe und somit die Klassen voll werden. Doch in ländlichen Gebieten sei das schwierig. Da entscheide dann eben oft der Schulleiter, der seine Schule füllen will, ob das Kind mit fünf oder mit sechs in die Schule kommt. Deswegen wünschen sich die Frauen aus Finsterwalde eine bundesweite Lösung:
"Aber eigentlich wäre es schön, wenn wir alle einen Stichtag hätten, der so zeitig wie möglich ist."