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Bürgerkrieg im Libanon keine wirkliche Gefahr

Heinlein: Es herrsche Tauwetter im Nahen Osten. George Bush ist zufrieden. In dieser Woche große Worte aus dem Munde des US-Präsidenten. Das Ende der Tyrannei. Ein historischer Prozess. Freiheit und Demokratie, nur eine Frage der Zeit. Doch im Weißen Haus belässt man es nicht mit dieser wohlmeinenden Nahost-Rhetorik. Es gibt auch deutliche Forderungen an die Adresse Syriens. Präsident Assad müsse seine Truppen vollständig aus dem Libanon abziehen. Dieser nun scheint beeindruckt. Bis Ende Mai - so die Ankündigung aus Damaskus - würden die Soldaten das Nachbarland verlassen. Im Libanon selbst ist die Lage kurz vor den Wahlen unübersichtlich. Auf den Straßen gewaltige Proteste, sowohl der Opposition als auch von pro-syrischen Anhängern der Hisbollah. Der Kampf um die Macht hat begonnen. Darüber möchte ich sprechen mit der Leiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut, Kristen Maas, guten Morgen. Gestern die Überraschung: Der zurückgetretene pro-syrische Ministerpräsident Karame steht offenbar vor einem politischen Comeback. Ist die Zedernrevolution damit gescheitert?

    Maas: In der Tat war die Ankündigung, dass der libanesische Präsident Lahud vermutlich heute oder in den nächsten Tagen Karame erneut für die Interimsregierung als Premier vorschlagen wird, etwas überraschend. 71 der insgesamt 126 Abgeordneten des libanesischen Parlaments haben ihn aber gestern vorgeschlagen in diesen bindenden Konsultationen, die die libanesische Verfassung vorsieht und es ist zu vermuten, dass er das Amt annehmen wird. Er hat jetzt allerdings angekündigt, dass er zunächst noch Gespräche auch mit oppositionellen Abgeordneten führen will. Das Interessante gestern am Verfahren war vielleicht eher noch, dass die Opposition selber, die verschiedenen Kräfte, Abgeordneten der Oppositionsparteien, selbst keinen Kandidaten vorgeschlagen haben. Die sind in die Gespräche reingegangen mit ihrem Forderungskatalog nach vollständigem Rückzug syrischer Truppen und Geheimdienstapparate aus dem Libanon, dann weiter und wichtiger mit der Forderung der Absetzung von sieben der Führenden des libanesischen Sicherheitsapparates und mit einer vollständigen Aufklärung des Attentats auf Hariri.

    Heinlein: Was bedeutet das wahrscheinliche politische Comeback von Karame für die politische Zukunft des Landes?

    Maas: Zunächst mal haben die Oppositionellen es auch als Herausforderung und Provokation verstanden, aber ich glaube, dass sich in den nächsten Wochen zeigen wird, ob eine Übergangsregierung funktionstüchtig wird. Karame hat ja angedeutet, indem er sagt, er wolle jetzt erstmal Gespräche führen, dass er ein Kabinett zusammenstellen muss, das dann auch tragfähig ist für die Übergangszeit. Die Opposition fühlt sich dabei herausgefordert, es ist vielleicht in der nächsten Zeit die Entscheidung, ob sie diese Interimsregierung, die Karame bildet, als neutral ansehen, oder ob sie zunächst in der Parlamentsdebatte, die dann auch diesem Kabinett gegenüber das Vertrauen aussprechen, weiter für Aufruhr sorgen. Es wird im Wesentlichen dann auf die Wahlen zugehen und da wird es eine Reihe von Dialogen auch mit den Hisbollahkräften geben müssen für die Opposition.

    Heinlein: Welche Rolle haben denn die pro-syrischen Proteste in den vergangenen Tagen gespielt für die mögliche Rückkehr Karames? Gab es da so eine Art Stimmungsumschwung auf den Straßen?

    Maas: Es gab verschiedenen Interpretationen dieser gewaltigen Demonstrationen, die die Hisbollah organisiert hat. Die überwiegend schiitische Bevölkerung, die etwa 40 Prozent der Bevölkerung des Libanons ausmacht, hat einen Tag nach der großen Oppositionsdemonstration von 150.000 mindestens die doppelte Zahl von Menschen auf die Straße gebracht in einem pro-syrischen Aufmarsch. Die Opposition hat das unterschiedlich bewertet, aber man kann schon sagen, dass sich damit die Hisbollah auf Seiten der Loyalisten, der bisherigen und vielleicht zukünftigen Regierung Karames gestellt hat.

    Heinlein: Ist die Hisbollah der eigentlich entscheidende Machtfaktor im Libanon?

    Maas: Als Parteiung vielleicht nicht, aber eine entscheidende Frage von Anfang an, zumindest seit Regierungsrücktritts, ist, wo die Schiiten im Land stehen, denn das ist die größte Gruppe hier, das ist eine Riesenwählerschaft damit. Die Abgeordneten der Hisbollah haben gestern selber Karame auch als Kandidaten benannt.

    Heinlein: Ist Hisbollah eine Terrororganisation oder eine politische Partei? Wie unterscheiden sich die Ziele zwischen Hisbollah und Opposition?

    Maas: Die Opposition ist geprägt von überwiegend christlichen Gruppen, für die Hisbollah wird es wesentlich darauf ankommen, zu entscheiden, was ihr eigenes Schicksal sein wird, denn die UN-Resolution 1559 verlangt ja eindeutig eine Entwaffnung aller Milizen. Mit der Demonstration am Dienstag hat der Führer der Hisbollahpartei Nasrallah versucht, die Betonung auf den Begriff Widerstand zu legen und damit zu sagen, wir sind quasi keine Miliz. Die Frage, wo sich Hisbollah einordnen wird, ist vielleicht noch nicht völlig abschließend gelöst. Nasrallah hat auch vom nationalen Dialog mit der Opposition gesprochen, dafür allerdings Bedingungen gestellt. Die Frage für die Parteiung selber stellt sich zwischen Integration in einer politischen Landschaft und weiterem Beibehalten der regionalen Rolle als Widerstandsbewegung.

    Heinlein: Sie haben die unterschiedlichen ethnischen und religiösen Gruppen im Libanon genannt: Drusen, Christen, Sunniten, Schiiten. Wie groß ist die Gefahr, dass diese unterschiedlichen Interessen und Ansätze der unterschiedlichen ethnischen und religiösen Gruppen im Libanon zu einer Spaltung des Landes bis hin zu einem Bürgerkrieg führen könnten?

    Maas: Man hat in den letzten Wochen immer wieder davon gesprochen hierzulande, auch in der ausländischen Beobachtung. Ich glaube, dass die große Sorge, die am Anfang stand, dass nun möglicherweise gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionsgruppen ausbrechen können, dass die relativ gebannt ist. Das hat wesentlich damit zu tun, dass alle Kräfte, die oppositionellen Kräfte, die jetzt wochenlang organisiert haben, sehr stark die Straße besetzt haben, aber auch am Dienstag wesentlich die pro-syrischen Kräfte ein durchaus friedliches Bild abgegeben habe. Es hat einzelne Zwischenfälle gegeben, aber die sind sehr vereinzelt, in überwiegendem Maße muss man feststellen, dass das sehr zivile und friedliche Protestformen waren und was auf dem so genannten Märtyrerplatz in Beirut stattfindet, ist für die jungen Leute, Jungoppositionellen fast so etwas wie ein Laboratorium der Zivilgesellschaft. Dort wird über alle Konfessionsgruppen hinweg diskutiert über Bürgerschaft, über die politische Zukunft des Landes; das sind junge Leute, die sich eigentlich erstmals in dieser Form und sehr intensiv so auseinandersetzen.

    Heinlein: Die Syrer waren eine Art Ordnungsmacht im Lande. Wie wird sich denn jetzt der begonnene syrische Truppenabzug auf die Situation im Lande auswirken?

    Maas: Zunächst ist das, was zu beobachten ist, der Anfang eines Rückzugs zunächst Umgruppierung in die Bekaa-Ebene. Die ersten 6.000 Soldaten sind in Bewegung, die Stellungen im Norden und um Beirut herum werden dann umgehend von der libanesischen Armee besetzt. Ich glaube, dass die Argumentation, dass Syrien hier als Schutzmacht vor einem drohenden Bürgerkrieg bewahrt, das müssen die Libanesen in den kommenden Wochen und Monaten beweisen, dass es nicht mehr nötig ist.