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Bürgeroper in Dortmund
Musikalisches Chaos

Verdis "Aida", Rossinis "Barbier von Sevilla" und mittendrin der "MusiCircus": Die Oper Dortmund ist mit zwei Premieren und einem Performance Projekt in die neue Saison gestartet. Über 800 Menschen folgten dabei dem Aufruf der Oper und musizierten in der Dortmunder Innenstadt.

Von Ida Hermes |
    MusiCircus in Dortmund
    Alle miteinander und durcheinander: "MusiCircus" in Dortmund (Theater Dortmund/Anke Sundermeier)
    So ein Lärm! Er kommt aus allen Richtungen. Lalülala, tatütata, dazu Chorgesang, Posaunenchor und wildes Getrommel. Eine Frau steht einsam in der Mitte von diesem Chaos, hebt die Arme, blickt konzentriert. Dann holt sie weit aus. Wie ein Boden-Lotse am Flughafen beginnt sie, zu dirigieren, aber kein Orchester und kein Flugzeug, sondern fünf Straßenkehrmaschinen. Sie setzen sich in Bewegung: Große orangene Putzinsekten, die mit ihren borstigen Fühlern über den Steinboden schrappen.
    Chöre, Blechblas-Ensembles, Steel-Pans
    "Es gibt nichts Geschriebenes, gar nichts, keine geschriebene Note, keinen Text, gar nichts, sondern es heißt nur: Es werden Leute geladen, die willens sind, zur gleichen Zeit am gleichen Ort zu spielen", erklärt Regisseurin Sigune von Osten. Sie liebt das musikalische Chaos. Ein Chaos, in dem alles zufällig, doch eben nichts willkürlich geschieht. "MusiCircus" heißt das Konzept, für das am Samstagnachmittag über 840 Musikerinnen und Musiker die Dortmunder Innenstadt fluteten. Eine Idee von John Cage, dem Pionier der Happening-Bewegung in den Vereinigten Staaten der 1960er Jahre. Seine These: "Everything we do is music", alles was wir tun, ist Musik.
    Der Dortmunder Friedensplatz ist umstellt. Von kleinen und großen Ensembles, die dicht an dicht alle ihr eigenes Ding machen. Vor dem Rathaus feiert eine Samba-Kombo mit federbunten Hüten, daneben lassen sich koreanische Frauen in traditionellen Kleidern nicht aus der Ruhe bringen. Wie im Ritual schlagen sie Hölzer auf ihre Buks, die großen, zweifelligen Fasstrommeln ihrer Heimat. So geht es rund um den Platz: Chöre, Blechblas-Ensembles, Steel-Pans, Tanzgruppen aus unterschiedlichen Kulturen. Schaulustige bekommen Flyer und Anstecknadeln der Oper Dortmund in die Hand gedrückt, dann kann sich jeder frei über den Platz bewegen.
    Menschen mit der Oper in Berührung bringen
    "In Dortmund muss man sich schon die Frage stellen, angesichts eines existierenden, aber numerisch kleinen Kulturbürgertums, wie führt man dieses Haus in die Zukunft? Und dafür ist es ganz wichtig, dass man jenseits des bisherigen Publikums neues Publikum gewinnt und die Oper mehr in die Stadtgesellschaft öffnet", sagt Heribert Germeshausen, der neue Intendant der Oper Dortmund. Zum Antritt seiner ersten Saison hat Germeshausen ein ganzes Eröffnungswochenende veranstaltet. Ein "Tryptichon", wie er es nennt, aus den Premieren von Verdis "Aida" und Rossinis "Barbier von Sevilla" am Freitag und Sonntag, mittendrin der "MusiCircus".
    Auf das Performance Projekt setzt Intendant Heribert Germeshausen an diesem Wochenende besonders. "MusiCircus" soll der Auftakt zu einer Reihe von "Bürgeropern" sein, die jedes Jahr Dortmunderinnen und Dortmunder zum gemeinsamen Musizieren zusammenbringen sollen. "Hier spielen ja jetzt Ensembles, die mit der Oper gar nix am Hut haben. Viele. Und dadurch kommen jetzt Menschen mit der Oper in Berührung, die sonst gar nicht in die Oper gehen würden."
    MusiCircus in Dortmund
    MusiCircus in Dortmund (Theater Dortmund/Anke Sundermeier )
    Sigune von Osten und ihr "MusiCircus" haben sich in Bewegung gesetzt: Durch den Stadtgarten auf den Opernvorplatz, dann ins Opernhaus hinein. Auf allen Stockwerken wird musiziert, auf jeder Treppe, sogar auf dem Dach. Das horizontale Chaos hat sich in die Vertikale gestreckt. Und das Ensemble ist gewachsen: Ein Akkordeon-Orchester spielt einen Medley von Udo Jürgens größten Hits, während die Tänzerinnen und Tänzer vom Kinderballett durch das Foyer hüpfen.
    "Energetisierend. Und turbulent. Man weiß nicht, was man beiträgt und ob das irgendwie ankommt oder ob es verloren geht. Ich denke mir, jeder sucht so, jede Musik sucht so ihre Wege durch die kleinen Lücken, die dann noch Platz haben zwischen den vielen Menschen und den anderen Musiken."
    Freikarten für alle Mitwirkenden
    Das Theater Dortmund ist nun selbst zum Theater geworden. Laien und Profimusikerinnen musizieren, tanzen, improvisieren in jedem Winkel, nebeneinander und miteinander. Doch auch Publikum und Presse gehören heute mit zur Vorstellung, Stimmengewirr und Kamerablitze mit zur Musik.
    Der "MusiCircus" endet im Opernhaus, und Intendant Heribert Germeshausen hofft, dass das nicht das einzige Mal sein wird, dass die Mitwirkenden der Bürgeroper dieses Haus betreten. Jeder, der am musikalischen Chaos mitgewirkt hat, bekommt zwei Freikarten: Für eine Premiere und eine Generalprobe. Vielleicht kommen sie ja wirklich.