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Bukowski-Übersetzer Carl Weissner
Der Gegen-Grass

Carl Weissner war Übersetzer und Freund des legendären Charles Bukowski. Die literarische Bedeutung Bob Dylans erkannte er früh. Nun ist mit "Aufzeichnungen über Außenseiter" ein Band mit Texten des 2012 verstorbenen Literaturvermittlers und Schriftstellers erschienen.

Von Christoph Schröder | 14.08.2020
Carl Weissner liest Texte und Briefe von Charles Bukowski im Roten Salon in der Volksbühne. Der 60-Jährige aus Mannheim war Übersetzer und war ein Freund von Bukowski.
description: Carl Weissner liest Texte und Briefe von Charles Bukowski im Roten Salon in der Volksbühne. Der 60-Jährige aus Mannheim war Übersetzer und Freund von Bukowski. (dpa / Berlin Picture Gate / Christian Schulz)
Im Sommer 1988 ist Matthias Penzel gerade einmal 22 Jahre alt. Ein Bekannter erzählt ihm, dass Carl Weissner, der berühmte Übersetzer und Freund von Charles Bukowski, der Übersetzer von Bob Dylan, Frank Zappa und anderen Gegenkultur-Ikonen, in Mannheim lebe. Und dass er, der Bekannte, dessen Telefonnummer habe. Penzel, in Mainz geboren, in Ludwigshafen aufgewachsen, ist elektrisiert. Er schlägt einer regionalen Zeitschrift vor, Weissner zu treffen. An die erste Begegnung mit Weissner erinnert Matthias Penzel sich noch gut:
"Carl Weissner, wie ich ihn erlebt habe, war vor allem ein sehr zurückhaltender Mensch. Es war sehr schwer, überhaupt ein Interview zu vereinbaren. Funktioniert hat das nur unter der von ihm gestellten Bedingung, dass ich ihn auch zu Jörg Fauser ausfrage und nicht nur zu seiner Übersetzertätigkeit. Als ich ihn dann traf vor dem Mannheimer Hauptbahnhof, war das fast wie eine Szene aus "Rohstoff"."
Der Autor Carl Weisner und seine „Aufzeichnungen über Außenseiter“
Autor Carl Weisner und seine „Aufzeichnungen über Außenseiter“ (Buchcover Andreas Reiffer Verlag / Autorenportrait picture-alliance / Erwin Elsner)
Zum Zeitpunkt des Treffens arbeitet Weissner gerade an einer Werkausgabe des ein Jahr zuvor verstorbenen Fauser. – Fauser ist auch ein fulminanter Text in "Aufzeichnungen eines Außenseiters" gewidmet, der erstmals im Jahr 2004 in der Zeitschrift "Rolling Stone" erschienen ist. In diesem Text entwirft Weissner zum einen das Charakterbild eines nach Erfahrungen süchtigen Menschen, zum anderen aber auch das Panorama einer deutschen Literaturepoche, die seit Jahrzehnten von Martin Walser, Günter Grass oder Heinrich Böll geprägt ist.
Die USA waren zunächst einmal die Befreiungsmacht
Gegen diese Dominanz des Großschriftstellertums setzt Weissner sein Interesse für das Randständige, das Wilde, das popkulturell Aufgeladene. Geboren 1940 in Karlsruhe, studierte er in Heidelberg Amerikanistik und gab dort die Zeitschrift "Klactoveedsedsteen" heraus. Der Titel ist gleichzeitig auch der Titel eines Albums des Jazzvirtuosen Charlie Parker. Herausgeber Penzel sieht hier klare Linien in Weissners Entwicklung und in seinem Verhältnis zu den USA:
"Die USA waren zunächst einmal die Befreiungsmacht. Das andere war, dass in seiner Nachbarschaft ein GI wohnte und er dann auch mit Musik in Kontakt kam, die von den GIs mitgebracht wurde, und das war eigentlich vor dem Rock’n’Roll vor allem auch Jazz."
Gerade, als sich in Deutschland die Studentenbewegung in ihrem Protest gegen den Krieg in Vietnam auch in einen zum Teil irrationalen Antiamerikanismus hineinsteigerte, ging Carl Weissner im Jahr 1966 mit einem Stipendium für zwei Jahre nach New York. Weissner ist bis zu seinem Tod ein kritischer Beobachter amerikanischer Politik nach 1945 gewesen.
Faszination für die Beat- und Underground-Literaten
Aber aus den in den USA entstandenen Texten spricht auch immer ein klares Bewusstsein dafür, dass es die Amerikaner waren, die Deutschland von den Nationalsozialisten befreit haben. Vor allem aber ist es Weissners Faszination für die Beat- und Underground-Literaten, für William S. Bourroughs und Charles Bukowski, später auch für Hunter S. Thompson, die ihn auch nach seiner Rückkehr nach Deutschland antrieb:
"So gesehen war er Exilamerikaner in Mannheim. Ich meine, wenn man was liebt, also in der Literatur, dann heißt das ja nicht, dass man sofort affirmativ jedes Buch, das auf die Welt kommt, lobhudelt."
Weissners Stil, gerade in seinen reportagehaften Erlebnistexten aus den USA, ist forciert, an seinen Vorbildern orientiert und wirkt in seiner betonten Schmissigkeit aus heutiger Sicht hin und wieder etwas angestaubt. Andererseits war er einer der ersten, der die literarischen Qualitäten des späteren Nobelpreisträgers Bob Dylan erkannte und würdigte. Dass Weissner in seiner Begeisterung für Dylan die deutsche Band "Kraftwerk" und deren stilbildendes "Autobahn"-Werk als "monumentalen Schwachsinn" abtut, ist ein epochaler Irrtum, einer von wenigen.
Der große Graue mit den gelben Zähnen
Weissner verfügt über scharfe Beschreibungsqualitäten, eine ansteckende Begeisterungsfähigkeit, über Empathie und Witz. Das zeigt sich vor allem, wenn er über Charles Bukowski schreibt: In dem 1970 erschienenen Text "Buk Sings His Ass Off" gibt er Bukowskis Reaktion auf den Vorwurf, dieser sei ein Schauspieler und Blender, als einen düsteren, tief verzweifelten Monolog wieder.
In "Der große Graue mit den gelben Zähnen" wiederum beschreibt Weissner auf hochkomische Weise Bukowskis Besuch in Deutschland im Jahr 1978. Ein Besuch, der damit beginnt, dass ein in Bukowskis Gepäck als Geschenk mitgeführtes Skateboard zu einem Eklat mit einem Zöllner am Flughafen führt. Herausgeber Matthias Penzel über die Bedeutung Weissners für die Rezeption Bukowskis:
"Es ging halt eben erst los, als Carl Weissner sich um Übersetzungen und auch um den Vertrieb in dem Sinne gekümmert hatte, dass er Verlage gefunden hat, die damals etwas anfangen konnten.
In den USA und England gibt es immer noch Leute, die Bukowski kennen, aber die, die ich dort kennen gelernt habe, sagen: "Mensch, Bukowski, Du bist aus Deutschland, dann kennst Du doch bestimmt diesen Carl Fossner oder Wossner, und dann sagen sie vielleicht sogar noch ein, zwei Zeilen aus Bukowski-Büchern." Das ist immer sehr lustig gewesen: In den komischsten Momenten an den komischsten Ecken in London oder Provincetown oder Los Angeles: Wie man dann zu Gesprächen kommt, die über meinen Freund, den Mannheimer Übersetzer Carl Weissner gingen oder sich drehten."
Bukowski als Vertreter toxischer Männlichkeit?
Dass Charles Bukowskis Romane und Gedichte heute im Licht von Sexismus-Debatten äußerst kritisch betrachtet werden, lässt Matthias Penzel relativ kalt. Er verweist darauf, dass Bukowski auch in der Gegenwart noch differenziert betrachtet wird:
"Bukowski als Vertreter toxischer Männlichkeit? Ach Gott, ja. Virginie Despentes, die Französin, die lange wilde, coole, krasse Bücher geschrieben hat, also wirklich so krass, dass in Literatursendungen im Fernsehen nicht darüber gesprochen wird, die hat vor einer Weile wie in einer Fernsehserie in drei Teilen die Geschichte erzählt von Vernon Subutex, und die hat neulich, als sie gefragt wurde nach Büchern, die sie immer wieder liest, Bukowski genannt, was zu ihrer feministischen Attitüde gar nicht passt."
Ganz sicher wird man aus Bukowskis Werk keine neuen Lesarten herausdestillieren können. Es ist abgeschlossen und zu Ende interpretiert. Aber, so Penzel:
"Er schreibt halt trotzdem in einer Art und Weise, die einen zu Tränen rührt und wahnsinnig lustig ist und man küsst und haut sich wie in einer Familie."
"Aufzeichnungen über Außenseiter" ist ein anregender, informativer Band. Er atmet den Geist der Epoche, in der die Texte überwiegend entstanden sind. Manche davon sind möglicherweise nur von historischem Interesse. Doch aus jedem einzelnen Beitrag spricht die Entschlossenheit eines Mannes, dessen Ziel es war, Wildheit und Entgrenzung in die saturierte Literatur der Bundesrepublik hineinzuschleusen.
Carl Weissner: "Aufzeichnungen über Außenseiter"
Herausgegeben von Matthias Penzel.
Edition Kopfkiosk im Verlag Andreas Reiffer, Meine, 244 Seiten, 15 Euro.