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Bulgarische Auszubildende in Deggendorf

In manchen Gegenden Deutschlands macht sich der Geburtenrückgang bei der Ausbildungsplatzvergabe bemerkbar. Viele Lehrstellen bleiben unbesetzt und die Wirtschaft leidet unter Fachkräftenachwuchs. Um dem gegenzuwirken, hat die bayerische Stadt Deggendorf nun bulgarische Lehrlinge eingestellt.

Von Harald Mitterer | 29.08.2011
    "Jetzt polieren wir Gläser, nimm dir mal eins raus."

    Die ersten Handgriffe sitzen: Petja und Cremona, die beiden bulgarischen Lehrlinge, polieren die Rotweingläser auf Hochglanz. Und ihr deutscher Chef kontrolliert:

    "Ja, perfekt. Hast du gut gemacht."

    Schwarzes Dirndl, weiße Bluse, gelbe Schürze. Auch in ihrer neuen Arbeitskleidung machen die beiden 19 Jahre alten angehenden Hotelfachfrauen aus Bulgarien eine gute Figur. Noch sind die beiden ein wenig schüchtern und unsicher. In den nächsten Wochen wollen sie vor allem ihre Deutschkenntnisse verbessern, ab September geht es in die Berufsschule:

    "Wir freuen uns, dass wir in Deutschland sind, es gefällt uns sehr. Wir möchten im Tourismus arbeiten, das ist eine große Chance für uns in Deutschland zu lernen und zu arbeiten."
    Ihr neuer Chef, Peter Krauß, Geschäftsführer des Vier Sterne Hotels Reblingerhof im Bayerischen Wald ist froh, dass er mit den beiden Bulgarinnen die freien Lehrstellen besetzten kann. Junge Menschen in der Gegend um gut 30.000 Einwohner zählende Stadt Deggendorf sind knapp, immer mehr Lehrstellen bleiben unbesetzt. Und das gefährdet die Existenz vieler vor allem kleinerer Betriebe, sagt Deggendorfs Landrat Christian Bernreiter:

    "Die Schere geht auseinander. Wenn man Auszubildende und freie Stellen ansieht, dann haben wir heuer leider schon eine negative Differenz von 350 Stellen. Also jeder Deutsche könnte versorgt werden und dann sind immer noch 350 Stellen frei. Da müssen wir viele Dinge anpacken, um dem Trend entgegenzuwirken."

    Deshalb hat sich der Landrat zusammen mit Vertretern der Agentur für Arbeit und Unternehmern auf den Weg nach Bulgarien gemacht, um in einem ersten Schritt 20 junge Menschen anzuwerben, die bereit sind, in Niederbayern eine Lehrstelle anzutreten. Das Ziel der Reise: Die viertgrößte bulgarische Stadt Burgas an der Schwarzmeerküste mit knapp einer Viertel Million Einwohnern.

    "Wir haben uns da in einer öffentlichen Einrichtung getroffen, da waren 70 Leute da. Viele Jugendliche mit Eltern, also da steht alles dahinter, die setzen natürlich auch große Hoffnungen in diese Ausbildung und das hat man sich wohl überlegt. Da ist großes Interesse dahinter und vor allem große Motivation."
    Inzwischen haben die ersten Lehrlinge aus Bulgarien ihre Ausbildung in Niederbayern angetreten. Köche, Maurer, Straßenbauer und Bäcker. Und eben Hotelfachfrauen wie Petja und Cremona. Die gute Luft und die schöne Landschaft waren nicht ausschlaggebend dafür, dass sie den großen Schritt von der viertgrößten bulgarischen Stadt Burgas in den beschaulichen Bayerischen Wald gewagt haben:
    "Hier verdient man mehr als in Bulgarien. Der Unterschied ist groß, sehr groß. In Bulgarien verdienen die Leute nicht so gut und die Möglichkeit hier ist groß."
    Die beiden jungen Frauen, sagt Deggendorf Landrat Christian Bernreiter, verdienen hier in der Ausbildung mehr als mancher Arbeiter in Bulgarien:

    "Man muss wissen, dass in Bulgarien das Lohnniveau sehr gering ist. Wir haben uns da selbst überzeugt, ein durchschnittlicher Arbeiter hat 300 bis 350 Euro im Monat, der Liter Dieselkraftstoff kostet aber auch 1,10 Euro, also da kann man nicht oft tanken."

    Ausgerechnet ein CSU-Politiker betreibt in Niederbayern aktive Zuwanderungspolitik und bekommt dafür nicht nur Zustimmung. Böse Briefe und E-Mails hat der Deggendorfer Landrat bekommen. Mit dem Tenor: Er soll sich doch erstmal um die einheimischen Kinder kümmern, die keine Lehrstelle haben. Doch für keinen der in Bulgarien angebotenen Ausbildungsplätze sei in Deutschland ein Bewerber zu finden gewesen, kontert der CSU Politiker:

    "Für all diese Berufe, die wir in diesem Jahr anbieten, ist eine so genannten Vorrangprüfung durchgeführt worden. Sie können es ja bei uns in den Tageszeitungen lesen, die Stellen können nicht besetzt werden, habe auch im vergangenen Jahr schon nicht besetzt werden können, und drum geht es jetzt schon um die Existenzsicherung für viele kleinere Betriebe in diesen Berufen. Deshalb haben wir uns auf den Weg gemacht und schauen, dass wir das auf diese Art und Weise vielleicht ein bisschen lindern können."

    Damit die bulgarischen Lehrlinge auch nach ihrer Ausbildung als Fachkräfte in Niederbayern bleiben, hilft ihnen Anneliese Hellauer vom Landratsamt beim Eingewöhnen.

    "Es geht mir darum, dass die auch Land und Leute kennen lernen. Wir hatten zum Beispiel schon eine Stadtbesichtigung in Deggendorf, wir haben schon ein bayerisches Lokal besucht, also bayerisches Essen."

    Und auch ihren Bayerisch-Crashkurs haben Petja und Cremona schon hinter sich gebracht auf dem Deggendorfer Volksfest:

    "Es war sehr gut, das gefällt uns. Wir haben Weißbier getrunken - typisch für Bayern . Schnitzel und Pommes, sehr lustig."