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"Bulimie-Lernen, das kann nicht der Kern sein"

Ein großes Ziel der rot-grünen Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen ist die Abschaffung der Studiengebühren. Die Wissenschaftsministerin Svenja Schulze verspricht den Hochschulrektoren im Ausgleich dafür einen Vertrag über Kompensationen - und glaubt, das NRW-Parlament mitziehen wird.

Svenja Schulze im Gespräch mit Elif Senel |
    Elif Senel: Über 100 Tage steht jetzt die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen. Und zu der gehört auch SPD-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze. Und in ihrer neuen Funktion war sie in diesen Tagen im Land unterwegs und hat sich einige Hochschulstandorte persönlich angeschaut. Heute endet ihre Tour an der Universität Duisburg-Essen. Und über ihre Eindrücke möchte ich jetzt mit ihr sprechen! Schönen guten Tag, Frau Schulze!

    Svenja Schulze: Ja, guten Tag, ich grüße Sie!

    Senel: Nach Ihrer Tour, was wollen Sie jetzt als Erstes anpacken, was ist Ihnen aufgefallen?

    Schulze: Mir ist noch mal deutlich geworden, wie wichtig die Abschaffung der Studiengebühren ist. Das ist an ganz vielen Stellen deutlich geworden gerade vonseiten der Studierenden, dass sie erwarten, dass wir die Studiengebühren jetzt auch wirklich abschaffen. Und die Freude auf das erste Wintersemester ohne Studiengebühren im nächsten Jahr, die ist schon groß!

    Senel: War diese Freude auch bei den Rektoren der Universitäten zu spüren? Immerhin müssen die auf eine ganze Menge Geld direkterweise verzichten, auch wenn es Ausgleichszahlungen geben soll.

    Schulze: Die müssen ja nicht auf Geld verzichten. Den Rektoren ist wichtig, dass wir wirklich die Mittel kompensieren. Und wir haben ja zugesagt, dass wir die 249 Millionen Euro, die bisher über die Studiengebühren eingenommen wurden, auch wirklich ersetzen. Und das ist für die Rektoren wichtig, dass das Geld auch wirklich ersetzt wird. Das sagen wir zu.

    Senel: Wie wollen Sie das schaffen? Immerhin ist es eine ganze Menge Geld, in Hessen war es ganz ähnlich, dort wurden die Gebühren auch abgeschafft und Ersatzzahlungen angekündigt. Die wurden aber nach und nach dann wieder verkleinert und reduziert.

    Schulze: Ja, das hessische Modell ist nicht unseres. Wir wollen wirklich die Studiengebühren kompensieren und werden dieses Geld nicht aus dem anderen Etat dann eben herausnehmen. Wir wollen mit den Hochschulen ein Budget vereinbaren für die nächsten Jahre, damit überhaupt nicht erst dieser Verdacht aufkommt, dass wir da irgendwo was abziehen werden. Wir werden mit den Hochschulen einen Vertrag darüber schließen, wie das Budget denn eben aussieht. Diese Regierung – und das ist der zentrale Unterschied zu Hessen –, die legt einen ganz großen Schwerpunkt auf den Bereich der Bildung. Die Ministerpräsidentin war selber mal Wissenschaftsministerin, die Vize ist die Bildungsministerin, also das ist der zentrale Schwerpunkt dieser Regierung.

    Senel: Tatsächlich, der zentrale Schwerpunkt – aber auch eine Krux, denn die Linke, die möchte ganz gerne die Studiengebühren jetzt sofort abschaffen, Sie sagen Wintersemester 2011/12. Wie wollen Sie das durchkriegen? Immerhin, die Linke – Sie sind in einer Minderheitsregierung –, von der, von den Stimmen sind Sie abhängig. Und momentan stellt die sich sogar quer beim Nachtragshaushalt.

    Schulze: Ja, aber es gibt eine gesamtgesellschaftliche Mehrheit für die Abschaffung der Studiengebühren. Und ich bin davon überzeugt, dass diese Mehrheit sich auch im Parlament widerspiegeln wird. Das Parlament berät jetzt dieses Gesetz. Wir werden damit im Februar nächsten Jahres wahrscheinlich dann fertig sein, dann hat das Sommersemester schon begonnen. Das heißt, wir werden das nicht erreichen können, die Einschreibungen laufen da schon los. Deswegen können wir seriös nur das Wintersemester nächsten Jahres als erstes studiengebührenfreies ...

    Senel: ... eine andere große Baustelle ist natürlich die Reform des Bachelor-Master-Studiums. Ihr Vorgänger Andreas Pinkwart hatte auch schon angesetzt, Entschlackung der Studiengänge, Anwesenheitspflichten überprüfen. Das waren so die Ziele, die er sich gesetzt hat. Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?

    Schulze: Ich glaube, dass man noch mal in einen intensiven Dialog einsteigen muss mit den Studierenden und mit den Hochschulleitungen und sich das noch mal ein bisschen genauer angucken muss. Ich bin davon überzeugt, dass man da noch vieles an den Hochschulen erleichtern kann, dass man jetzt noch mal nachsteuern kann, vor allen Dingen mit dem Blick eben auf die Studierbarkeit. Da werden wir im nächsten Jahr noch mal so eine Art Statuskonferenz machen, gucken, wie ist das eigentlich mit den Zielen von Bologna gewesen und was ist jetzt daraus geworden. Und dann gehe ich davon aus, dass wir doch da das Studium so gut auf den Weg kriegen, dass es auch wieder studierbarer ist.

    Senel: Wie soll diese Statuskonferenz aussehen, also wer soll da alles dabei sein?

    Schulze: Alle, die an der Hochschule beteiligt sind. Also die Studierenden, der Mittelbau, die Professorinnen und Professoren, die Leitung, mit denen wollen wir alle gemeinsam in einen Dialog eintreten.

    Senel: Haben Sie da schon genauere Vorstellungen, was Sie da fokussieren wollen? Sie haben jetzt gerade von der Studierbarkeit im Allgemeinen gesprochen.

    Schulze: Das wird wohl auch das Zentrale sein, die Studierbarkeit. Jedenfalls das ist das, wo die größten Probleme zu sein scheinen, jedenfalls bei dem, was bei mir gerade ankommt. Also, eine Studentin hat mir in einer Diskussionsrunde ein schönes Bild gegeben: Sie hat gesagt, sie empfindet das nur noch als Bulimie-Lernen. Sie lernt auf Prüfungen hin und frisst das alles in sich hinein und sondert es dann zum richtigen Zeitpunkt ab. Das ist nicht das, was wir wollen. Bulimie-Lernen, das kann nicht der Kern sein.

    Senel: Bulimie könnte auch ein Stichwort für die Universitäten sein: Die wollen eigentlich mehr Studierende haben, aber es gibt nicht genug Studienplätze. Gleichzeitig gibt es einen großen Fachkräftemangel. Wo wollen Sie da die Hebel ansetzen?

    Schulze: Ja, wir schaffen 90.000 Studienplätze für den doppelten Abiturjahrgang jetzt noch mal neu in Nordrhein-Westfalen. Das ist eine Riesenleistung, die von den Hochschulen da gebracht wird. Damit wollen wir eben diesen Berg, der jetzt auf uns zukommt durch den doppelten Abiturjahrgang, abflachen. Ich bin davon überzeugt, dass diejenigen, die wollen, die werden Studienplätze in Nordrhein-Westfalen bekommen, wir bauen da jetzt enorm viel auf.

    Senel: Wenn Sie sich jetzt Ihre ideale Hochschullandschaft in Nordrhein-Westfalen aussuchen könnten und vorstellen, wie müsste die aussehen?

    Schulze: Meine ideale Landschaft ist eigentlich das, was wir hier schon haben: Wir haben eine enorme Breite, wir haben die dichteste Forschungslandschaft Europas. Wir haben die dichteste Bildungslandschaft hier. Wir haben 37 Hochschulen in Nordrhein-Westfalen, das ist eine wirkliche Menge. Und aus dieser Breite, da heraus entsteht Exzellenz, daraus entstehen Spitzen. Die müssen noch stärker deutlich werden. Wir haben ganz hervorragende Lehre hier und ganz hervorragende Forschung, die muss auch noch international und auch national stärker wahrgenommen werden.

    Senel: Sagt NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze, die heute ihre Hochschultour durch Nordrhein-Westfalen beendet hat. Die schwankende Tonqualität bitten wir zu entschuldigen. Danke schön!