Wolfgang Labuhn: Herr Bullerjahn, als SPD-Spitzenkandidat in Sachsen-Anhalt zählen Sie zu jener Politiker-Garde, die Matthias Platzeck, Ihr Parteichef, als klipp und klar sozialisierte Ostdeutsche beschreiben würde. Nun sind Sie zehn Jahre jünger als Matthias Platzeck, was man unter anderem daran erkennen kann, dass Sie bekennender Motorrad- und Hardrock-Fan sind - angeblich. Welcher Musiktitel fällt Ihnen spontan zur Lage der SPD in Sachsen-Anhalt ein?
Jens Bullerjahn: Ja, also wenn ich jetzt mal so auf die Schnelle überlegen darf, dann würde mir von Pink Floyd "The Wall" einfallen. Der Versuch, Mauern niederzubrechen, die da aufgebaut wurden oder die man sich selbst aufgebaut hat, das ist vielleicht kein schlechter Vergleich. Das Gute an Hardrock-Musik ist ja, dass sie beständig ist und dass sie zum Teil sehr ehrlich auf den Hörer zugeht, ohne Schnörkel und das auch überlebt, mehr als drei Monate.
Labuhn: Was bedrückt Sie jetzt am meisten, wenn Sie im Wahlkampf kreuz und quer durch Sachsen-Anhalt reisen und Ihr Bundesland sehen?
Bullerjahn: Ja, mich bedrückt eigentlich, dass wir im Wahlkampf es nicht schaffen, uns über wichtige Dinge der Leute zu unterhalten. Was interessiert die Leute? Arbeit, Bevölkerungsentwicklung und Bildung. Und die CDU redet nur über Böhmer. Und das bedrückt mich schon ein bisschen, weil wir es jetzt auch merken, dass viele Leute gar nicht so richtig mitkriegen, dass Wahlkampf ist. Und ich denke, Wahlkampf ist ja die beste Zeit, um Konzepte zu vergleichen, sich darstellen zu können. Aber das ist ja irgendwie überhaupt nicht Ziel der CDU. Selbst im Landtag hat ja Herr Böhmer die Regierungserklärung zu allem möglichen verwandt, aber nicht, um über das Land zu reden. Es ist schwierig, weil die Leute sagen: Gut, wenn ihr nicht auf uns zu kommt, dann interessiert uns das nicht weiter. Und das schafft man als Partei alleine nicht. Trotzdem werden wir dran bleiben und gucken, dass wir die CDU stellen.
Labuhn: Was sind in Ihren Augen im Moment die größten Probleme dieses Bundeslandes?
Bullerjahn: Ja, mit der Bevölkerungsentwicklung klar zu kommen, überhaupt den Leuten klar zu machen, dass da etwas passiert, was viele politische Bereiche beeinflussen wird. Die Arbeit - wir haben ja eine sehr unterschiedliche Entwicklung der Standorte, der Räume Sachsen-Anhalts. Das prägt. Da fällt es auch schwer, so viele Dinge, die sich positiv entwickelt haben, immer wieder auch mit den Leuten zu bereden,
weil man am Ende früher oder später bei jeder Veranstaltung bei dem Thema Arbeitslosigkeit landet.
Labuhn: Die SPD, Herr Bullerjahn, hatte ja in Sachsen-Anhalt schon in den Jahren 1994 bis 2002 die Chance, die großen Probleme in Angriff zu nehmen, was aber nicht gelang. Und das Ergebnis war vor vier Jahren eine verheerende Wahlniederlage. Welche Antworten hätte denn die SPD im Falle ihres Wahlsieges heute?
Bullerjahn: Also erstens, dass wir realistischer ran gehen. Ich selber, das will ich auch klar bekennen, habe in den acht Jahren ja auch Verantwortung getragen im Parlament als Geschäftsführer der Fraktion. Und so manche Prozesse haben wir eben nicht klar erkannt und haben auch so manches falsch gemacht, auch sicherlich manches zu schlecht verkauft. Reinhard Höppner war trotzdem ein sehr guter Ministerpräsident und ich denke, wir haben das Land trotzdem voran bringen können. Jede Regierung in Sachsen-Anhalt hat Dinge entwickelt, aber auch Fehler gemacht. Wir sind heute, glaube ich, geschlossener denn je. Die Partei war damals sehr gespalten, war sehr im Streit mit sich selbst. Und das ist auch heute anders. Insofern haben wir diesen Dreiklang - klaren Inhalt, gute Person und Geschlossenheit. Und das ist, glaube ich, ein anderer Ausgangspunkt als vor vier Jahren.
Labuhn: Sie haben vor knapp zwei Jahren Schlagzeilen gemacht, als Sie Ihre Analyse "Sachsen-Anhalt 2020" vorstellten. Das war eine ziemlich realistische Bestandsaufnahme etwa der demografischen Entwicklung dieses Bundeslandes. Sie haben auf den Bevölkerungsschwund und die Überalterung hingewiesen. Sie haben auch Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt wie einen rigiden Sparkurs des Landes in der Haushaltspolitik. Sie haben ein Plädoyer für Studiengebühren abgegeben, was nicht überall gut angekommen ist und Sie haben - vielleicht am radikalsten - mittel- bis langfristig den Zusammenschluss der Bundesländer Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen bis zum Jahre 2020 angeregt. Ist das nach wie vor Ihre rote Linie in der Politik?
Bullerjahn: Ja. Erstens - das war ja, glaube ich, ein Markenzeichen dieses Papiers, dass wir anhand von vier ganz wichtigen Annahmen den Prozess beschrieben haben, wie er sich entwickeln könnte, wenn man politisch nichts dagegen setzt. Also der nachhaltige Verlust weiterer Bevölkerungsteile, Bevölkerungsgruppen, also bezogen aufs Alter und auch von der Anzahl her, das klare Eingeständnis, dass das Wirtschaftswachstum relativ gering bleiben wird, wenn man nichts anderes macht. Daraus folgt dann, dass die Entwicklung der Wirtschaft nicht so voran gehen wird, wie sich manche das vorstellen, sondern viel dezentraler, also punktuell, und dass ich erstmals durchgerechnet habe, dass wir in den öffentlichen Haushalten ungefähr ein Drittel in Zukunft weniger haben werden. Das hat zum Nachdenken geführt. Ich habe dann damals aber - muss ich hier ehrlich zugestehen - nicht ahnend, was das für eine öffentliche Debatte nach sich zieht, mich an zehn Thesen versucht, wobei fast alle Bestand haben. Eine einzige hat jetzt im Wahlprogramm keine Unterstützung gefunden. Das war die Einführung der Studiengebühren. Da hat die Partei klar gesagt: Das sehen wir so nicht. Übrigens habe ich mich da nicht nur von der Mehrheit, sondern auch vom Inhalt überzeugen lassen. Wenn man es wirklich ernst meint mit Bildungspolitik, also von ganz klein - Vorschule - bis ganz groß - Hochschule -, mehr Bildungsqualität für alle, lebenslanges Lernen, und das unabhängig vom Geldbeutel - da sind Studiengebühren natürlich kontraproduktiv. Ich wiederum habe aber dann dem Parteitag gesagt, da müssen wir aber schauen, wo wir das Geld dann dafür bekommen, denn wir können nur das machen, was wirklich durchzufinanzieren ist. Daraus gibt es jetzt einen gesellschaftlichen Prozess aus dieser Diskussion um 2020, weitere Papiere. Und daraus entstand dann sehr nachdrücklich dann auch unser Wahlprogramm und unser Sofortprogramm, das wir in diesen Tagen vorgestellt haben.
Labuhn: Sie haben jetzt auch konkrete Vorschläge gemacht wie die so genannte "Magdeburger Alternative". Vielleicht können Sie das auch einmal beschreiben.
Bullerjahn: Klar ist, dass wir, gerade als SPD, dafür eintreten, dass man von Arbeit leben können muss. Und das geht nicht, indem wir hier eine Niedriglohnstrategie fahren. Es ist übrigens auch nachgewiesen worden, dass diejenigen, die unser Land verlassen, nicht deswegen weggehen, weil sie arbeitslos sind, sondern weil sie meistens gut ausgebildet und weiblich sind und sich deswegen hier weg bewegen, weil sie hier keine Perspektive sehen, keine materielle wie auch keine in der Entwicklung. Und deswegen sind Mindestlöhne für uns eine ganz wichtige Festlegung. Aber es muss kombiniert werden mit der Diskussion um die Entlastung der Arbeit, gerade im Niedriglohnbereich. Den wird es geben. Wenn es denn stimmt, dass in Zukunft 50 Prozent der deutschen Arbeitsplätze hochqualifizierte sind, aber 20 Prozent dann im geringqualifizierten Bereich sich wiederfinden werden, dann müssen wir es schaffen, da auch die Arbeitgeber wie auch die Arbeitnehmer zu entlasten und unterstützend zu wirken. Und da gibt es einen Vorschlag der "Magdeburger Alternative", das sind zwei Professoren von der Universität, die gesagt haben, dann soll der Staat die Sozialkosten übernehmen. Das wird für ihn trotzdem billiger, weil die Menschen aus der Arbeitslosigkeit herauskommen, als wenn er sich sozusagen nur über ALGII und andere Zuweisungen dann trotzdem kümmern muss. Und es gibt eine Perspektive für die Menschen, auch ihr Leben zu entwickeln. Das sind Diskussionen, die führen wir sehr offen, genau wie die Diskussion um Länderfusion. Die habe ich ja deswegen geführt, weil ich sage: Selbst wenn wir alle Hausaufgaben machen in den nächsten 15 bis 20 Jahren, dann bleibt am Ende ein Land - ein sehr gutes Land, denke ich, was sich entwickeln wird - mit zwei Millionen Einwohnern, mit einer Struktur, wo sich Zentren weiter ausgebildet haben. Aber wer dann den europäischen Wettbewerb mit Bayern und Baden-Württemberg eingehen will, der wird mit zwei Millionen nicht allzu weit kommen. Und aus dieser Überzeugung heraus habe ich gesagt, wir müssen mehr Kooperationsbereitschaft entwickeln, im Land, zwischen den Disziplinen, zwischen den Politikfeldern, aber auch über das Land hinaus. Und dann habe ich gesagt, dann lasst uns innerhalb der drei Länder doch schauen, wo wir unsere Bildungsstruktur, unsere Fördermechanismen, unsere Raumordnung abstimmen können, um dann daraus über diese Kooperation etwas Gemeinsames zu entwickeln, dass wir dann mit 8 bis 9 Millionen Einwohnern dann wirklich im Sinne von Stärken zusammenlegen, Stärken entwickeln, dann uns auch mit den großen Wirtschaftsräumen messen können in 15 bis 20 Jahren, dass wir also nicht in der zweiten Liga an der Spitze stehen, sondern dass wir in die erste Liga nachher reinkommen.
Labuhn: Das wäre ein langfristiges Ziel, um im binnendeutschen Vergleich bestehen zu können. Kurzfristig aber muss es wohl um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gehen. Sie haben als Beispiel für einen Ansatz die so genannte "Magdeburger Alternative" genannt. Das wären staatliche Lohnsubventionen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Ein anderes Thema ist der Mindestlohn, den Sie gerade angesprochen haben. Sie plädieren also für einen nationalen gesetzlichen Mindestlohn?
Bullerjahn: Die Branchen, die auch ein entsprechend hohes Einkommen sich gegenseitig geben können, also Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die das auch mit sich selbst austarieren können, die brauchen und führen die Debatte ja nicht um den Mindestlohn. Aber klar ist auch, es wird Branchen geben, die aufgrund der Tarifsituation, der Einkommenssituation, sich in bestimmten Bereichen immer bewegen wird wie die oft zitierte Friseuse oder auch in haushaltsnahen Dienstleistungen - gerade im Bereich der Dienstleistung wird das sein. Es muss doch möglich sein, gerade in diesem Jahrhundert jetzt, einen Wert festzulegen, unter dem es wirklich keinem mehr zugemutet werden soll, von diesem Geld leben zu können - ob er nun Arbeit hat oder nicht. Wir haben ja durch Harz IV sowieso schon Diskussionen. Andere Parteien gehen da anders ran. Die sagen, lasst uns über einen ganz konkreten Betrag nachdenken und dann darauf aufbauen. Also, ich will das System nicht von oben nach unten drücken, sondern von unten nach oben aufbauen. Und dann muss man, wenn diese Branche es nicht schafft, auch selbst im Gespräch miteinander einen bestimmten Betrag zu überspringen, auch gesetzlich den Mindestlohn festlegen, auf dem sich alles aufbaut.
Labuhn: Wie hoch sollte der sein?
Bullerjahn: Ja, da werde ich mich jetzt natürlich überhaupt nicht festlegen. Ich finde Diskussionen, wo sich dann immer alle irgendwie vorschnell erklären und dann immer nur in der Diskussion aufpassen, wie sie entweder das bestätigen, was sie vorher gesagt haben, oder wie sie davon wegkommen können, diese Diskussionen finde ich wenig zielführend. Dass diese oberhalb von Harz IV liegen müssen, ist doch völlig klar. Dass sie aber nicht 1500 oder 1600 Euro sein können, ist auch klar. Also, da werden einige die Stirn runzeln. Es gibt ja so Bereiche um die sechs Euro, manche sagen sieben Euro. Es zeigen ja auch andere Länder auf, dass es geht und dass man trotzdem, trotz Mindestlohn, auch immer Abweichungen davon hat. Und wir sollten diese Diskussion nicht so ideologiebeladen führen.
Labuhn: Dennoch, man kann ja ausrechnen, wie viel man zum Leben braucht im Monat und den Mindestlohn darauf abstellen. Also, Sie sagen, mindestens sechs Euro, vielleicht ein bisschen mehr.
Bullerjahn: Ja, auch da werden Sie aber sicherlich hinschauen müssen, in welcher Region lebt jemand. Also, jemand, der bei uns in der Altmark, Anhalt oder, wo ich herkomme, Mansfelder Land lebt, der hat sicherlich andere Kosten, als jemand, der in Bayern oder im Zentrum um München meinetwegen lebt. Ich hoffe ja nicht, dass jemand vorhat, die Raumordnung so zu ändern, dass die, die es sich nicht leisten können, in die strukturschwächeren Räume ziehen und die anderen dann nur noch in den Zentren wohnen. Man muss da schon genau hinschauen. Aber es gibt ja durchdachte Modelle, die sich um die sechs, sieben Euro bewegen. Und ich denke, auf dieser Ebene wird man diskutieren. Wo man nachher genau liegt, das wird man miteinander bereden. Ich bin aber dafür, dass man aber dann in einer relativ überschaubaren Zeit dann auch zu Beschlüssen kommt.
Labuhn: Das, was Sie gerade beschrieben haben, muss nun im Wahlkampf an die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes gebracht werden. Wie versuchen Sie das?
Bullerjahn: Na ja, ich habe da einen Vor- oder Nachteil, dass ich dieses Projekt Sachsen-Anhalt 2020 ja entwickelt habe, als noch gar nicht daran zu denken war, dass es Wahlkampf gibt und ich auch noch nicht Spitzenkandidat war. Seitdem reise ich rum, spreche ganz viel - wir haben über 150 Veranstaltungen im Land gehabt, die sich mit diesem Thema befasst haben. Ich mache im Wahlkampf nichts anderes. Was sich ein bisschen geändert hat, ist, dass ich weniger Analyse betreibe sondern ganz klar dann zu den Erfordernissen dann komme und auch kommen muss, das erwarten die Leute dann auch. Da gibt mir aber sozusagen die Erfahrung recht, dass es sich lohnt, sich dann mit den konkreten Sachverhalten von Räumen und Strukturen zu beschäftigen. Leider erlebe ich bei der CDU, dass sie diese ganzen kritischen Diskussionen, die sie eigentlich vorher gut fanden - Herr Böhmer hat das ja auch unterstützt und beschwert sich darüber, dass die eigene Partei so was nicht macht -, dass das jetzt im Wahlkampf bei der CDU ausgeblendet wird. Man suggeriert den Leuten, das könne alles so bleiben und an jeder Stelle dieses Landes könne man diese Gleichheit bewahren - Klammer auf: die es gar nicht gibt, Klammer zu. Wir machen hier vielleicht etwas untypischen Wahlkampf , wo ich aber sage: Egal, wer da nachher regiert, die Probleme werden bleiben. Also muss jeder nachdenken, ob er im Wahlkampf den Leuten sozusagen ernsthaft und verantwortlich das verschweigen kann, was hier in den nächsten fünf bis zehn Jahren passieren wird. Bisher hat es der SPD geholfen, nach innen sich zu bündeln, sich zu stabilisieren und nach außen, dass sie wieder verantwortlich und auch spürbar von Multiplikatoren nachgefragt wird, auch von viel mehr Wählern. Jetzt liegt es an uns, das auch noch mehr zuzuspitzen und dafür auch Stimmen zu kriegen.
Labuhn: Aber anscheinend scheint sich der 'Weiter-so'-Kurs des Amtsverteidigers Wolfgang Böhmer ja für die CDU auszuzahlen, denn in den Umfragen geht sie nach oben.
Bullerjahn: Das ist richtig. Dieses 'Weiter so' mag vielleicht sogar für den Wahlkampf eine gute Strategie sein. Aber auch in Anlehnung an den Bundestagswahlkampf sollte jede Partei überlegen, ob sie nicht ein gewisses Maß an Offenheit und Klarheit dann dem Wähler gegenüber aufzeigen muss. Also, diese Böhmer-Manie, die jetzt hier so herrscht bei der CDU, nach dem Motto: Wir haben den und da kuscheln wir uns alle dahinter und reden ja nicht über Inhalte - das kann Politik nicht ersetzen. Das mag vielleicht Stimmen bringen. Ich hoffe noch drauf und ich glaube daran und ich arbeite da hart dafür, dass wir da noch aufholen werden und der Anspruch, Erster zu werden, ist da. Die Wähler entscheiden sich nun mal in den letzten Wochen, und wir haben auch etwas anzubieten.
Labuhn: Mit welcher Partei würden Sie eine Regierung bilden, wenn die SPD stärkste Kraft wird?
Bullerjahn: Da haben wir als Partei, auch in Erfahrung der acht Jahre Tolerierung, im Dezember klare Kante gezeigt. Wir wollen, und das wird bis zum Wahlabend so bleiben, daran arbeiten und auch darum kämpfen und streiten mit den vielen, vielen Wahlkämpfern, dass wir stärkste Fraktion werden und dass wir dann aber aufgrund der Problemlagen und aufgrund auch der Dinge, die man dann mit breiter Mehrheit angehen muss, auf die CDU zugehen mit der klaren Absicht, mit ihr dann auch eine Mehrheit zusammen zu bringen, die die Probleme angeht und konkret dann auch löst.
Labuhn: Das heißt, eine große Koalition wie auf Bundesebene?
Bullerjahn: Das hängt dann auch von der CDU ab. Also, die CDU muss natürlich auch sagen, ja, wir sind bereit, das und das und das aus eurem Programm auch mit zu machen. Da gibt es ganz klare Unterschiede. Da muss es Kompromisse, aber auch ehrliche Kompromisse geben. Und ich habe auch gesagt, ich möchte eine Regierung führen, die im Bundesrat aktiv sich mit einbringt, nachdem sie diskutiert vorher, aber dann, wenn es entschieden wird, sich nicht immer auf irgend eine Klausel zurückziehen muss, die da lautet: Na ja, jetzt enthalten wir uns dann eben. Da hatte, glaube ich, die SPD in Sachsen-Anhalt, auch ich selber, glaube ich, als Spitzenkandidat, eine große Vorarbeit geleistet. Die Wähler, das merke ich jetzt auch bei vielen Gesprächen, wissen, was wir damit meinen. Und das ermöglicht uns auch, uns jetzt viel stärker mit Inhalten auseinander zu setzen.
Labuhn: In jüngeren Jahren waren Sie damals als SPD-Fraktionsgeschäftsführer ganz entscheidend daran beteiligt, mit der PDS, wie sie damals hieß, das sogenannte "Magdeburger Modell" auszuhandeln, also die Tolerierung der SPD-geführten Minderheitsregierung unter Ministerpräsident Höppner durch die PDS. Würde sich auch ein SPD-Ministerpräsident Bullerjahn - ein entsprechendes Wahlergebnis natürlich vorausgesetzt - auf diese Weise zu einer Kooperation mit der PDS bereit finden können?
Bullerjahn: Also, das Thema Tolerierung ist so was von weg, das hat selbst die CDU schon im Land gesagt. Also, das war zu seiner Zeit eine Möglichkeit, Politik zu gestalten. Ich hätte mir damals gewünscht, dass die SPD um das Jahr 2000 die Frage zuspitzt, welche Koalition wollen wir wirklich machen? Da gab es viele in der Partei, die hätten auch eine PDS-Koalition unterstützt, so wie es Mecklenburg dann auch gemacht hat und andere. Reinhard Höppner hat sich damals anders entschieden. Es gab gute Gründe für ihn, das so zu machen. Wir haben dann am Ende dieser Wahlperiode eine Wahlniederlage erlitten wie selten welche. Und das wirkt noch nach, auch bei diesen ganzen Diskussionen um Inhalte und auch um Koalitionen. Und deswegen ist die SPD da offen, klar. So was wird es nicht geben. Es gibt jetzt den klaren Anspruch, gewinnen zu wollen aufgrund inhaltlicher Entwicklung, aufgrund dessen, dass man glaubt, dass der andere das nicht so kann. Und dann gibt es auch Präferenzen für Mehrheiten. Und die werden durch eine ganz breite Mehrheit getragen. Wir haben ja nach dieser öffentlichen Diskussion einen Parteitag gehabt, und da bin ich mit sehr großer Mehrheit, fast 100 Prozent, gewählt worden, so dass es mir recht gab im Nachhinein, dass wir vorher uns klar positioniert hatten.
Labuhn: Also auf keinen Fall eine rot-rote Koalition in Magdeburg?
Bullerjahn: Ich werde an dieser Stelle nichts weiter hinzufügen, weil ich glaube, da ist alles gesagt. Wissen Sie, die SPD wird natürlich bei dem Thema immer besonders getrieben, was mich also auch ein bisschen überrascht, denn die CDU kann ja alle paar Tage sagen, also wir sind so heiß und innig mit der FDP verwoben, wir wollen es weiter machen - obwohl die Umfragen es überhaupt nicht hergeben - und manche in der CDU, da wird dann immer so schön mit Rollenspielen gearbeitet, sagen dann, na ja, wenn es nicht reicht, dann gehen wir auch zur SPD. Und da muss sich jetzt die SPD nicht weiter verrückt machen. Die SPD wird eingedenk ihrer vorherigen Äußerung für alle Fälle nach der Wahl auch eine ganz ehrliche Antwort finden, wie sie denn mit diesem oder jenem Ergebnis umgeht.
Labuhn: Was sagen Sie denn zum neuen Schulterschluss der Gewerkschaften, immerhin ein traditioneller Bündnispartner der SPD, mit der Linkspartei/PDS?
Bullerjahn: Ich kann nur jeden Gewerkschafter mal bitten, genau so ernsthaft die Konzepte der einzelnen Parteien zu überprüfen, wie man sich dann öffentlich mit ihnen präsentiert. Und da sage ich mal, man kennt ja die PDS ein bisschen. Gerade die PDS auf Bundesebene ist für mich da kein verlässlicher Partner. Die Konzepte, die da aufgeschrieben werden, gehen überhaupt nicht. Wenn man jetzt über das, was jetzt durch Mehrwertsteuer von Staats wegen eingenommen wird, wenn man darüber hinaus mehr in die Bildung investieren würde, mehr in die Infrastruktur, mehr auch in die Familienpolitik, dann wird das nicht ohne Erhöhung von Steuern gehen. Das steht jetzt in dieser Wahlperiode gar nicht an. Es wird eine Debatte sein in der nächsten und übernächsten Wahlperiode. Das ist ja dieses skandinavische Modell, mehr Steuern einzunehmen und dafür die Arbeitskosten zu entlasten und dadurch auch mehr Ausgaben für die Bildung. Die PDS sagt, wir brauchen nur Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Spitzensteuersatz, dann werden alle Probleme von alleine verschwinden. Unter dem Strich rechne ich zusammen: Es geht nicht auf. Und es wird gesellschaftlich auch nicht akzeptiert werden. Und da hoffe ich nur und das nehme ich auch stark an, dass das auch die Strategen bei den Gewerkschaften wissen in Berlin.
Labuhn: Ihr politisches Vorbild, die Große Koalition aus Union und SPD, die regiert jetzt auf Bundesebene in Berlin seit genau 104 Tagen. Wie bewerten Sie die bisherige Arbeit?
Bullerjahn: Also, das mit dem Vorbild würde ich mal so nicht stehen lassen wollen. Es gibt dann irgendwann Zwänge, wenn man%e zusammenrechnet. Und die ergeben dann manchmal bestimmte Konstellationen. Ich bin mit der Arbeit ganz zufrieden, und nicht, weil man das jetzt vielleicht erwartet, sondern ich weiß, wie es ist, wenn aufgrund von Wahlergebnissen sich völlig neue Konstellationen zusammenraufen müssen, wenn gerade wie in der SPD fast alle in neuen Funktionen arbeiten, wenn die Erwartungshaltung riesengroß ist und wenn der Berg an Problemen nicht kleiner wird. Und da sage ich mal, man kann ja über die Form reden, ob so manches Thema so hätte eingeführt werden müssen in die öffentliche Debatte. Man kann lange drüber streiten. Oder ob man es nicht anders hätte machen können, dass Frau Merkel also neben der Auslandsreise vielleicht auch das ein oder andere innenpolitische Thema hätte auch anfassen müssen. Das kann man alles machen. Aber ich weiß aus guter Erfahrung - ich bin nun seit fast 13 Jahren Fraktionschef und Geschäftsführer, also kenne ja viele der handelnden Personen und die Mechanismen auch - die Perspektive in der Bundespolitik ist gerichtet auf die nächste Bundestagswahl. Und ich denke mal, da werden wir noch mal abwarten. Ich denke, dass die SPD sich bis zum Ende dieses Jahres personell innerlich so gut aufgestellt haben wird, dass die Reibungsverluste minimiert wurden, dass auch alle an allen Ecken und Kanten, wo sie für die SPD auch wirken, dann da auch ihren Job machen, dass auch klar sein wird, wer sozusagen die Partei in die nächste Bundestagswahl führt, so dass diese Anfangsschwierigkeiten, die ja da sind, die will ich gar nicht wegdiskutiere, aber wahrscheinlich hätte es ohne sie gar nicht gehen können, dass die dann minimiert sind und die Partei auch einen anderen Eindruck nach außen vermittelt.
Labuhn: Es hat ja in der SPD-Führung schon ganz schön geknistert wegen mangelnder Abstimmung, wie es hieß, zwischen Bundesarbeitsminister und Vizekanzler Franz Müntefering und Parteichef Matthias Platzeck, vor allem beim Thema Rente mit 67. Ist eigentlich aus Ihrer Sicht die SPD den Belastungen gewachsen, die jetzt ja erst recht auf sie zukommen, etwa beim Thema "Reform des Gesundheitswesens"?
Bullerjahn: Also, ich denke, man soll die SPD und die handelnden Personen weiß Gott nicht unterschätzen. Franz Müntefering hat ja nun schon an vielen Baustellen gearbeitet und hat an vorderster Front schon viele Debatten erlebt. Und wer, wie die SPD im vorigen Jahr, von allen für alles verantwortlich gemacht wurde - ich denke nur an die Debatten Agenda 2010, da waren ja Medien und alle anderen Parteien im Sommer auf der einen Seite des Tisches und die SPD stand angeblich in der Ecke und war immer schuld - eine solche Partei hält schon viel aus. Man muss anerkennen: Die letzten Jahre waren nicht gerade von Wahlerfolgen geprägt. Das hat etwas damit zu tun, wenn die einen fordern, nun macht mal endlich Reform, die führen meistens dazu, dass, wenn man sie dann wirklich umsetzt, man nicht nur Applaus bekommt. Man kann diese Reformen, diese Diskussionen professioneller machen. Man kann sie anders einführen. Man muss nicht die Rente mit 67 am Wochenende in einem Interview an einem bestimmten Punkt aufbrechen, wo kaum einer eine Chance hat, mit zu diskutieren. Das weiß auch der Franz Müntefering. Dazu kenne ich ihn zu lange. Und wir haben jetzt im Wahlkampf die Gelegenheit und ich freue mich darüber, dass alle hier sind, gerade mit Peter Struck und Franz Müntefering und Matthias Platzeck, die ich ja alle drei sehr gut kenne, dass man da mal versucht, wieder zu werben, Mensch, macht's doch anders, also nicht wegducken, nicht verschweigen, aber vielleicht miteinander reden, schauen, wie das wirkt, wenn man es einführt. Das bleibt ständige Aufgabe in der Politik. Das geht aber der Landespolitik ähnlich.
Labuhn: Als Vorsitzender des "Forums Ostdeutschland der Sozialdemokratie", Herr Bullerjahn, sind Sie sozusagen Sprecher der Ost-SPD. Worin unterscheidet sich diese 15 Jahre nach der Wiedervereinigung weiterhin von der alten SPD?
Bullerjahn: Na, ich will auch ehrlich sein: Ich war nun im Forum Ost so tief noch nicht eingebunden in den zehn Jahren vorher. Es ist eine andere Generation, glaube ich auch. Gerade gegen die wie Reinhard Höppner, Manfred Stolpe und andere, die die Wende bewusst mit vorbereitet und auch gestaltet haben in führenden Funktionen, gegen die bin ich wirklich der Quereinsteiger, der zur Wende dann über den Runden Tisch in die SPD kam und der sehr konzeptionell arbeitet, sich eher mit dem Blick nach vorne beschäftigt als mit der Frage, wie war das alles und sich eher nicht so historisch dem Ganzen nähert. Da ist, glaube ich, jetzt eine andere Generation herangewachsen. Und ich glaube, wir können jetzt auch offener mit Problemen umgehen, auch offener darüber reden und sagen, ja, so eine Entwicklung im Osten wird wahrscheinlich so und so laufen. Also lasst uns das angehen, lasst uns da auch schauen, noch dazu, weil ich einer Generation entstamme, die auch noch viele Jahrzehnte mit dafür sorgen will, dass die Generationen, die nach uns kommen, auch was davon haben und ich das auch noch einige Jahrzehnte mit gestalten kann. Und da geht man ein bisschen unverkrampfter damit um und in der Sache aber dann doch sehr rational. Ich versuche, das ein bisschen im "Forum Ost" einzubringen mit vielen anderen. Wir bündeln jetzt unsere Aktivitäten viel mehr, weil ich schon daran arbeiten möchte, dass die SPD hier im Osten die bestimmende Kraft für die Zukunft, für die nächsten Jahre wird, denn sie hat dafür etwas aufzubieten mit ihrer Bildungspolitik, mit ihrer Frage der Konzentration. Und ich will dafür sorgen, dass wir attraktiver für die Leute werden, durch Personen, durch Inhalte, dass wir mehr Zulauf bekommen, auch als Partei. Daran krankt es doch auch, dass mehr Leute rein kommen, mehr kritische Gedanken auch rein kommen, dass einfach auch diese Hürden aufgebrochen werden in der Partei. Das wünschte ich mir, dass wir da auch als buntere Truppe in der Gesellschaft einfach ein bisschen interessanter werden.
Labuhn: Sie haben mit Blick auf den Wahltag, den 26. März, erklärt, in Sachsen-Anhalt Kapitän und nicht Erster Offizier werden zu wollen. Haben Sie ein persönliches Motto für die große Fahrt?
Bullerjahn: Na, ich war bei den Minensuchern. Insofern weiß man, das ist ja so eine sehr gute Vorbildung gewesen für das Ganze, dass man sehr vorsichtig sein muss. Aber man muss auch eine gewisse Stringenz an den Tag legen. Also, ich bin jemand, der versucht, sich vorzubereiten, sich inhaltlich aufzustellen, der weiß, das geht nur im Team, aber der auch ganz klar dann, wenn es drauf ankommt, ja sagt. Und das hat mich doch in den letzten Jahren doch auch auf diesem Weg stark voran gebracht. Ich bedaure manchmal, dass Politik zu viel redet und zu wenig macht.
Jens Bullerjahn: Ja, also wenn ich jetzt mal so auf die Schnelle überlegen darf, dann würde mir von Pink Floyd "The Wall" einfallen. Der Versuch, Mauern niederzubrechen, die da aufgebaut wurden oder die man sich selbst aufgebaut hat, das ist vielleicht kein schlechter Vergleich. Das Gute an Hardrock-Musik ist ja, dass sie beständig ist und dass sie zum Teil sehr ehrlich auf den Hörer zugeht, ohne Schnörkel und das auch überlebt, mehr als drei Monate.
Labuhn: Was bedrückt Sie jetzt am meisten, wenn Sie im Wahlkampf kreuz und quer durch Sachsen-Anhalt reisen und Ihr Bundesland sehen?
Bullerjahn: Ja, mich bedrückt eigentlich, dass wir im Wahlkampf es nicht schaffen, uns über wichtige Dinge der Leute zu unterhalten. Was interessiert die Leute? Arbeit, Bevölkerungsentwicklung und Bildung. Und die CDU redet nur über Böhmer. Und das bedrückt mich schon ein bisschen, weil wir es jetzt auch merken, dass viele Leute gar nicht so richtig mitkriegen, dass Wahlkampf ist. Und ich denke, Wahlkampf ist ja die beste Zeit, um Konzepte zu vergleichen, sich darstellen zu können. Aber das ist ja irgendwie überhaupt nicht Ziel der CDU. Selbst im Landtag hat ja Herr Böhmer die Regierungserklärung zu allem möglichen verwandt, aber nicht, um über das Land zu reden. Es ist schwierig, weil die Leute sagen: Gut, wenn ihr nicht auf uns zu kommt, dann interessiert uns das nicht weiter. Und das schafft man als Partei alleine nicht. Trotzdem werden wir dran bleiben und gucken, dass wir die CDU stellen.
Labuhn: Was sind in Ihren Augen im Moment die größten Probleme dieses Bundeslandes?
Bullerjahn: Ja, mit der Bevölkerungsentwicklung klar zu kommen, überhaupt den Leuten klar zu machen, dass da etwas passiert, was viele politische Bereiche beeinflussen wird. Die Arbeit - wir haben ja eine sehr unterschiedliche Entwicklung der Standorte, der Räume Sachsen-Anhalts. Das prägt. Da fällt es auch schwer, so viele Dinge, die sich positiv entwickelt haben, immer wieder auch mit den Leuten zu bereden,
weil man am Ende früher oder später bei jeder Veranstaltung bei dem Thema Arbeitslosigkeit landet.
Labuhn: Die SPD, Herr Bullerjahn, hatte ja in Sachsen-Anhalt schon in den Jahren 1994 bis 2002 die Chance, die großen Probleme in Angriff zu nehmen, was aber nicht gelang. Und das Ergebnis war vor vier Jahren eine verheerende Wahlniederlage. Welche Antworten hätte denn die SPD im Falle ihres Wahlsieges heute?
Bullerjahn: Also erstens, dass wir realistischer ran gehen. Ich selber, das will ich auch klar bekennen, habe in den acht Jahren ja auch Verantwortung getragen im Parlament als Geschäftsführer der Fraktion. Und so manche Prozesse haben wir eben nicht klar erkannt und haben auch so manches falsch gemacht, auch sicherlich manches zu schlecht verkauft. Reinhard Höppner war trotzdem ein sehr guter Ministerpräsident und ich denke, wir haben das Land trotzdem voran bringen können. Jede Regierung in Sachsen-Anhalt hat Dinge entwickelt, aber auch Fehler gemacht. Wir sind heute, glaube ich, geschlossener denn je. Die Partei war damals sehr gespalten, war sehr im Streit mit sich selbst. Und das ist auch heute anders. Insofern haben wir diesen Dreiklang - klaren Inhalt, gute Person und Geschlossenheit. Und das ist, glaube ich, ein anderer Ausgangspunkt als vor vier Jahren.
Labuhn: Sie haben vor knapp zwei Jahren Schlagzeilen gemacht, als Sie Ihre Analyse "Sachsen-Anhalt 2020" vorstellten. Das war eine ziemlich realistische Bestandsaufnahme etwa der demografischen Entwicklung dieses Bundeslandes. Sie haben auf den Bevölkerungsschwund und die Überalterung hingewiesen. Sie haben auch Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt wie einen rigiden Sparkurs des Landes in der Haushaltspolitik. Sie haben ein Plädoyer für Studiengebühren abgegeben, was nicht überall gut angekommen ist und Sie haben - vielleicht am radikalsten - mittel- bis langfristig den Zusammenschluss der Bundesländer Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen bis zum Jahre 2020 angeregt. Ist das nach wie vor Ihre rote Linie in der Politik?
Bullerjahn: Ja. Erstens - das war ja, glaube ich, ein Markenzeichen dieses Papiers, dass wir anhand von vier ganz wichtigen Annahmen den Prozess beschrieben haben, wie er sich entwickeln könnte, wenn man politisch nichts dagegen setzt. Also der nachhaltige Verlust weiterer Bevölkerungsteile, Bevölkerungsgruppen, also bezogen aufs Alter und auch von der Anzahl her, das klare Eingeständnis, dass das Wirtschaftswachstum relativ gering bleiben wird, wenn man nichts anderes macht. Daraus folgt dann, dass die Entwicklung der Wirtschaft nicht so voran gehen wird, wie sich manche das vorstellen, sondern viel dezentraler, also punktuell, und dass ich erstmals durchgerechnet habe, dass wir in den öffentlichen Haushalten ungefähr ein Drittel in Zukunft weniger haben werden. Das hat zum Nachdenken geführt. Ich habe dann damals aber - muss ich hier ehrlich zugestehen - nicht ahnend, was das für eine öffentliche Debatte nach sich zieht, mich an zehn Thesen versucht, wobei fast alle Bestand haben. Eine einzige hat jetzt im Wahlprogramm keine Unterstützung gefunden. Das war die Einführung der Studiengebühren. Da hat die Partei klar gesagt: Das sehen wir so nicht. Übrigens habe ich mich da nicht nur von der Mehrheit, sondern auch vom Inhalt überzeugen lassen. Wenn man es wirklich ernst meint mit Bildungspolitik, also von ganz klein - Vorschule - bis ganz groß - Hochschule -, mehr Bildungsqualität für alle, lebenslanges Lernen, und das unabhängig vom Geldbeutel - da sind Studiengebühren natürlich kontraproduktiv. Ich wiederum habe aber dann dem Parteitag gesagt, da müssen wir aber schauen, wo wir das Geld dann dafür bekommen, denn wir können nur das machen, was wirklich durchzufinanzieren ist. Daraus gibt es jetzt einen gesellschaftlichen Prozess aus dieser Diskussion um 2020, weitere Papiere. Und daraus entstand dann sehr nachdrücklich dann auch unser Wahlprogramm und unser Sofortprogramm, das wir in diesen Tagen vorgestellt haben.
Labuhn: Sie haben jetzt auch konkrete Vorschläge gemacht wie die so genannte "Magdeburger Alternative". Vielleicht können Sie das auch einmal beschreiben.
Bullerjahn: Klar ist, dass wir, gerade als SPD, dafür eintreten, dass man von Arbeit leben können muss. Und das geht nicht, indem wir hier eine Niedriglohnstrategie fahren. Es ist übrigens auch nachgewiesen worden, dass diejenigen, die unser Land verlassen, nicht deswegen weggehen, weil sie arbeitslos sind, sondern weil sie meistens gut ausgebildet und weiblich sind und sich deswegen hier weg bewegen, weil sie hier keine Perspektive sehen, keine materielle wie auch keine in der Entwicklung. Und deswegen sind Mindestlöhne für uns eine ganz wichtige Festlegung. Aber es muss kombiniert werden mit der Diskussion um die Entlastung der Arbeit, gerade im Niedriglohnbereich. Den wird es geben. Wenn es denn stimmt, dass in Zukunft 50 Prozent der deutschen Arbeitsplätze hochqualifizierte sind, aber 20 Prozent dann im geringqualifizierten Bereich sich wiederfinden werden, dann müssen wir es schaffen, da auch die Arbeitgeber wie auch die Arbeitnehmer zu entlasten und unterstützend zu wirken. Und da gibt es einen Vorschlag der "Magdeburger Alternative", das sind zwei Professoren von der Universität, die gesagt haben, dann soll der Staat die Sozialkosten übernehmen. Das wird für ihn trotzdem billiger, weil die Menschen aus der Arbeitslosigkeit herauskommen, als wenn er sich sozusagen nur über ALGII und andere Zuweisungen dann trotzdem kümmern muss. Und es gibt eine Perspektive für die Menschen, auch ihr Leben zu entwickeln. Das sind Diskussionen, die führen wir sehr offen, genau wie die Diskussion um Länderfusion. Die habe ich ja deswegen geführt, weil ich sage: Selbst wenn wir alle Hausaufgaben machen in den nächsten 15 bis 20 Jahren, dann bleibt am Ende ein Land - ein sehr gutes Land, denke ich, was sich entwickeln wird - mit zwei Millionen Einwohnern, mit einer Struktur, wo sich Zentren weiter ausgebildet haben. Aber wer dann den europäischen Wettbewerb mit Bayern und Baden-Württemberg eingehen will, der wird mit zwei Millionen nicht allzu weit kommen. Und aus dieser Überzeugung heraus habe ich gesagt, wir müssen mehr Kooperationsbereitschaft entwickeln, im Land, zwischen den Disziplinen, zwischen den Politikfeldern, aber auch über das Land hinaus. Und dann habe ich gesagt, dann lasst uns innerhalb der drei Länder doch schauen, wo wir unsere Bildungsstruktur, unsere Fördermechanismen, unsere Raumordnung abstimmen können, um dann daraus über diese Kooperation etwas Gemeinsames zu entwickeln, dass wir dann mit 8 bis 9 Millionen Einwohnern dann wirklich im Sinne von Stärken zusammenlegen, Stärken entwickeln, dann uns auch mit den großen Wirtschaftsräumen messen können in 15 bis 20 Jahren, dass wir also nicht in der zweiten Liga an der Spitze stehen, sondern dass wir in die erste Liga nachher reinkommen.
Labuhn: Das wäre ein langfristiges Ziel, um im binnendeutschen Vergleich bestehen zu können. Kurzfristig aber muss es wohl um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gehen. Sie haben als Beispiel für einen Ansatz die so genannte "Magdeburger Alternative" genannt. Das wären staatliche Lohnsubventionen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Ein anderes Thema ist der Mindestlohn, den Sie gerade angesprochen haben. Sie plädieren also für einen nationalen gesetzlichen Mindestlohn?
Bullerjahn: Die Branchen, die auch ein entsprechend hohes Einkommen sich gegenseitig geben können, also Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die das auch mit sich selbst austarieren können, die brauchen und führen die Debatte ja nicht um den Mindestlohn. Aber klar ist auch, es wird Branchen geben, die aufgrund der Tarifsituation, der Einkommenssituation, sich in bestimmten Bereichen immer bewegen wird wie die oft zitierte Friseuse oder auch in haushaltsnahen Dienstleistungen - gerade im Bereich der Dienstleistung wird das sein. Es muss doch möglich sein, gerade in diesem Jahrhundert jetzt, einen Wert festzulegen, unter dem es wirklich keinem mehr zugemutet werden soll, von diesem Geld leben zu können - ob er nun Arbeit hat oder nicht. Wir haben ja durch Harz IV sowieso schon Diskussionen. Andere Parteien gehen da anders ran. Die sagen, lasst uns über einen ganz konkreten Betrag nachdenken und dann darauf aufbauen. Also, ich will das System nicht von oben nach unten drücken, sondern von unten nach oben aufbauen. Und dann muss man, wenn diese Branche es nicht schafft, auch selbst im Gespräch miteinander einen bestimmten Betrag zu überspringen, auch gesetzlich den Mindestlohn festlegen, auf dem sich alles aufbaut.
Labuhn: Wie hoch sollte der sein?
Bullerjahn: Ja, da werde ich mich jetzt natürlich überhaupt nicht festlegen. Ich finde Diskussionen, wo sich dann immer alle irgendwie vorschnell erklären und dann immer nur in der Diskussion aufpassen, wie sie entweder das bestätigen, was sie vorher gesagt haben, oder wie sie davon wegkommen können, diese Diskussionen finde ich wenig zielführend. Dass diese oberhalb von Harz IV liegen müssen, ist doch völlig klar. Dass sie aber nicht 1500 oder 1600 Euro sein können, ist auch klar. Also, da werden einige die Stirn runzeln. Es gibt ja so Bereiche um die sechs Euro, manche sagen sieben Euro. Es zeigen ja auch andere Länder auf, dass es geht und dass man trotzdem, trotz Mindestlohn, auch immer Abweichungen davon hat. Und wir sollten diese Diskussion nicht so ideologiebeladen führen.
Labuhn: Dennoch, man kann ja ausrechnen, wie viel man zum Leben braucht im Monat und den Mindestlohn darauf abstellen. Also, Sie sagen, mindestens sechs Euro, vielleicht ein bisschen mehr.
Bullerjahn: Ja, auch da werden Sie aber sicherlich hinschauen müssen, in welcher Region lebt jemand. Also, jemand, der bei uns in der Altmark, Anhalt oder, wo ich herkomme, Mansfelder Land lebt, der hat sicherlich andere Kosten, als jemand, der in Bayern oder im Zentrum um München meinetwegen lebt. Ich hoffe ja nicht, dass jemand vorhat, die Raumordnung so zu ändern, dass die, die es sich nicht leisten können, in die strukturschwächeren Räume ziehen und die anderen dann nur noch in den Zentren wohnen. Man muss da schon genau hinschauen. Aber es gibt ja durchdachte Modelle, die sich um die sechs, sieben Euro bewegen. Und ich denke, auf dieser Ebene wird man diskutieren. Wo man nachher genau liegt, das wird man miteinander bereden. Ich bin aber dafür, dass man aber dann in einer relativ überschaubaren Zeit dann auch zu Beschlüssen kommt.
Labuhn: Das, was Sie gerade beschrieben haben, muss nun im Wahlkampf an die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes gebracht werden. Wie versuchen Sie das?
Bullerjahn: Na ja, ich habe da einen Vor- oder Nachteil, dass ich dieses Projekt Sachsen-Anhalt 2020 ja entwickelt habe, als noch gar nicht daran zu denken war, dass es Wahlkampf gibt und ich auch noch nicht Spitzenkandidat war. Seitdem reise ich rum, spreche ganz viel - wir haben über 150 Veranstaltungen im Land gehabt, die sich mit diesem Thema befasst haben. Ich mache im Wahlkampf nichts anderes. Was sich ein bisschen geändert hat, ist, dass ich weniger Analyse betreibe sondern ganz klar dann zu den Erfordernissen dann komme und auch kommen muss, das erwarten die Leute dann auch. Da gibt mir aber sozusagen die Erfahrung recht, dass es sich lohnt, sich dann mit den konkreten Sachverhalten von Räumen und Strukturen zu beschäftigen. Leider erlebe ich bei der CDU, dass sie diese ganzen kritischen Diskussionen, die sie eigentlich vorher gut fanden - Herr Böhmer hat das ja auch unterstützt und beschwert sich darüber, dass die eigene Partei so was nicht macht -, dass das jetzt im Wahlkampf bei der CDU ausgeblendet wird. Man suggeriert den Leuten, das könne alles so bleiben und an jeder Stelle dieses Landes könne man diese Gleichheit bewahren - Klammer auf: die es gar nicht gibt, Klammer zu. Wir machen hier vielleicht etwas untypischen Wahlkampf , wo ich aber sage: Egal, wer da nachher regiert, die Probleme werden bleiben. Also muss jeder nachdenken, ob er im Wahlkampf den Leuten sozusagen ernsthaft und verantwortlich das verschweigen kann, was hier in den nächsten fünf bis zehn Jahren passieren wird. Bisher hat es der SPD geholfen, nach innen sich zu bündeln, sich zu stabilisieren und nach außen, dass sie wieder verantwortlich und auch spürbar von Multiplikatoren nachgefragt wird, auch von viel mehr Wählern. Jetzt liegt es an uns, das auch noch mehr zuzuspitzen und dafür auch Stimmen zu kriegen.
Labuhn: Aber anscheinend scheint sich der 'Weiter-so'-Kurs des Amtsverteidigers Wolfgang Böhmer ja für die CDU auszuzahlen, denn in den Umfragen geht sie nach oben.
Bullerjahn: Das ist richtig. Dieses 'Weiter so' mag vielleicht sogar für den Wahlkampf eine gute Strategie sein. Aber auch in Anlehnung an den Bundestagswahlkampf sollte jede Partei überlegen, ob sie nicht ein gewisses Maß an Offenheit und Klarheit dann dem Wähler gegenüber aufzeigen muss. Also, diese Böhmer-Manie, die jetzt hier so herrscht bei der CDU, nach dem Motto: Wir haben den und da kuscheln wir uns alle dahinter und reden ja nicht über Inhalte - das kann Politik nicht ersetzen. Das mag vielleicht Stimmen bringen. Ich hoffe noch drauf und ich glaube daran und ich arbeite da hart dafür, dass wir da noch aufholen werden und der Anspruch, Erster zu werden, ist da. Die Wähler entscheiden sich nun mal in den letzten Wochen, und wir haben auch etwas anzubieten.
Labuhn: Mit welcher Partei würden Sie eine Regierung bilden, wenn die SPD stärkste Kraft wird?
Bullerjahn: Da haben wir als Partei, auch in Erfahrung der acht Jahre Tolerierung, im Dezember klare Kante gezeigt. Wir wollen, und das wird bis zum Wahlabend so bleiben, daran arbeiten und auch darum kämpfen und streiten mit den vielen, vielen Wahlkämpfern, dass wir stärkste Fraktion werden und dass wir dann aber aufgrund der Problemlagen und aufgrund auch der Dinge, die man dann mit breiter Mehrheit angehen muss, auf die CDU zugehen mit der klaren Absicht, mit ihr dann auch eine Mehrheit zusammen zu bringen, die die Probleme angeht und konkret dann auch löst.
Labuhn: Das heißt, eine große Koalition wie auf Bundesebene?
Bullerjahn: Das hängt dann auch von der CDU ab. Also, die CDU muss natürlich auch sagen, ja, wir sind bereit, das und das und das aus eurem Programm auch mit zu machen. Da gibt es ganz klare Unterschiede. Da muss es Kompromisse, aber auch ehrliche Kompromisse geben. Und ich habe auch gesagt, ich möchte eine Regierung führen, die im Bundesrat aktiv sich mit einbringt, nachdem sie diskutiert vorher, aber dann, wenn es entschieden wird, sich nicht immer auf irgend eine Klausel zurückziehen muss, die da lautet: Na ja, jetzt enthalten wir uns dann eben. Da hatte, glaube ich, die SPD in Sachsen-Anhalt, auch ich selber, glaube ich, als Spitzenkandidat, eine große Vorarbeit geleistet. Die Wähler, das merke ich jetzt auch bei vielen Gesprächen, wissen, was wir damit meinen. Und das ermöglicht uns auch, uns jetzt viel stärker mit Inhalten auseinander zu setzen.
Labuhn: In jüngeren Jahren waren Sie damals als SPD-Fraktionsgeschäftsführer ganz entscheidend daran beteiligt, mit der PDS, wie sie damals hieß, das sogenannte "Magdeburger Modell" auszuhandeln, also die Tolerierung der SPD-geführten Minderheitsregierung unter Ministerpräsident Höppner durch die PDS. Würde sich auch ein SPD-Ministerpräsident Bullerjahn - ein entsprechendes Wahlergebnis natürlich vorausgesetzt - auf diese Weise zu einer Kooperation mit der PDS bereit finden können?
Bullerjahn: Also, das Thema Tolerierung ist so was von weg, das hat selbst die CDU schon im Land gesagt. Also, das war zu seiner Zeit eine Möglichkeit, Politik zu gestalten. Ich hätte mir damals gewünscht, dass die SPD um das Jahr 2000 die Frage zuspitzt, welche Koalition wollen wir wirklich machen? Da gab es viele in der Partei, die hätten auch eine PDS-Koalition unterstützt, so wie es Mecklenburg dann auch gemacht hat und andere. Reinhard Höppner hat sich damals anders entschieden. Es gab gute Gründe für ihn, das so zu machen. Wir haben dann am Ende dieser Wahlperiode eine Wahlniederlage erlitten wie selten welche. Und das wirkt noch nach, auch bei diesen ganzen Diskussionen um Inhalte und auch um Koalitionen. Und deswegen ist die SPD da offen, klar. So was wird es nicht geben. Es gibt jetzt den klaren Anspruch, gewinnen zu wollen aufgrund inhaltlicher Entwicklung, aufgrund dessen, dass man glaubt, dass der andere das nicht so kann. Und dann gibt es auch Präferenzen für Mehrheiten. Und die werden durch eine ganz breite Mehrheit getragen. Wir haben ja nach dieser öffentlichen Diskussion einen Parteitag gehabt, und da bin ich mit sehr großer Mehrheit, fast 100 Prozent, gewählt worden, so dass es mir recht gab im Nachhinein, dass wir vorher uns klar positioniert hatten.
Labuhn: Also auf keinen Fall eine rot-rote Koalition in Magdeburg?
Bullerjahn: Ich werde an dieser Stelle nichts weiter hinzufügen, weil ich glaube, da ist alles gesagt. Wissen Sie, die SPD wird natürlich bei dem Thema immer besonders getrieben, was mich also auch ein bisschen überrascht, denn die CDU kann ja alle paar Tage sagen, also wir sind so heiß und innig mit der FDP verwoben, wir wollen es weiter machen - obwohl die Umfragen es überhaupt nicht hergeben - und manche in der CDU, da wird dann immer so schön mit Rollenspielen gearbeitet, sagen dann, na ja, wenn es nicht reicht, dann gehen wir auch zur SPD. Und da muss sich jetzt die SPD nicht weiter verrückt machen. Die SPD wird eingedenk ihrer vorherigen Äußerung für alle Fälle nach der Wahl auch eine ganz ehrliche Antwort finden, wie sie denn mit diesem oder jenem Ergebnis umgeht.
Labuhn: Was sagen Sie denn zum neuen Schulterschluss der Gewerkschaften, immerhin ein traditioneller Bündnispartner der SPD, mit der Linkspartei/PDS?
Bullerjahn: Ich kann nur jeden Gewerkschafter mal bitten, genau so ernsthaft die Konzepte der einzelnen Parteien zu überprüfen, wie man sich dann öffentlich mit ihnen präsentiert. Und da sage ich mal, man kennt ja die PDS ein bisschen. Gerade die PDS auf Bundesebene ist für mich da kein verlässlicher Partner. Die Konzepte, die da aufgeschrieben werden, gehen überhaupt nicht. Wenn man jetzt über das, was jetzt durch Mehrwertsteuer von Staats wegen eingenommen wird, wenn man darüber hinaus mehr in die Bildung investieren würde, mehr in die Infrastruktur, mehr auch in die Familienpolitik, dann wird das nicht ohne Erhöhung von Steuern gehen. Das steht jetzt in dieser Wahlperiode gar nicht an. Es wird eine Debatte sein in der nächsten und übernächsten Wahlperiode. Das ist ja dieses skandinavische Modell, mehr Steuern einzunehmen und dafür die Arbeitskosten zu entlasten und dadurch auch mehr Ausgaben für die Bildung. Die PDS sagt, wir brauchen nur Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Spitzensteuersatz, dann werden alle Probleme von alleine verschwinden. Unter dem Strich rechne ich zusammen: Es geht nicht auf. Und es wird gesellschaftlich auch nicht akzeptiert werden. Und da hoffe ich nur und das nehme ich auch stark an, dass das auch die Strategen bei den Gewerkschaften wissen in Berlin.
Labuhn: Ihr politisches Vorbild, die Große Koalition aus Union und SPD, die regiert jetzt auf Bundesebene in Berlin seit genau 104 Tagen. Wie bewerten Sie die bisherige Arbeit?
Bullerjahn: Also, das mit dem Vorbild würde ich mal so nicht stehen lassen wollen. Es gibt dann irgendwann Zwänge, wenn man%e zusammenrechnet. Und die ergeben dann manchmal bestimmte Konstellationen. Ich bin mit der Arbeit ganz zufrieden, und nicht, weil man das jetzt vielleicht erwartet, sondern ich weiß, wie es ist, wenn aufgrund von Wahlergebnissen sich völlig neue Konstellationen zusammenraufen müssen, wenn gerade wie in der SPD fast alle in neuen Funktionen arbeiten, wenn die Erwartungshaltung riesengroß ist und wenn der Berg an Problemen nicht kleiner wird. Und da sage ich mal, man kann ja über die Form reden, ob so manches Thema so hätte eingeführt werden müssen in die öffentliche Debatte. Man kann lange drüber streiten. Oder ob man es nicht anders hätte machen können, dass Frau Merkel also neben der Auslandsreise vielleicht auch das ein oder andere innenpolitische Thema hätte auch anfassen müssen. Das kann man alles machen. Aber ich weiß aus guter Erfahrung - ich bin nun seit fast 13 Jahren Fraktionschef und Geschäftsführer, also kenne ja viele der handelnden Personen und die Mechanismen auch - die Perspektive in der Bundespolitik ist gerichtet auf die nächste Bundestagswahl. Und ich denke mal, da werden wir noch mal abwarten. Ich denke, dass die SPD sich bis zum Ende dieses Jahres personell innerlich so gut aufgestellt haben wird, dass die Reibungsverluste minimiert wurden, dass auch alle an allen Ecken und Kanten, wo sie für die SPD auch wirken, dann da auch ihren Job machen, dass auch klar sein wird, wer sozusagen die Partei in die nächste Bundestagswahl führt, so dass diese Anfangsschwierigkeiten, die ja da sind, die will ich gar nicht wegdiskutiere, aber wahrscheinlich hätte es ohne sie gar nicht gehen können, dass die dann minimiert sind und die Partei auch einen anderen Eindruck nach außen vermittelt.
Labuhn: Es hat ja in der SPD-Führung schon ganz schön geknistert wegen mangelnder Abstimmung, wie es hieß, zwischen Bundesarbeitsminister und Vizekanzler Franz Müntefering und Parteichef Matthias Platzeck, vor allem beim Thema Rente mit 67. Ist eigentlich aus Ihrer Sicht die SPD den Belastungen gewachsen, die jetzt ja erst recht auf sie zukommen, etwa beim Thema "Reform des Gesundheitswesens"?
Bullerjahn: Also, ich denke, man soll die SPD und die handelnden Personen weiß Gott nicht unterschätzen. Franz Müntefering hat ja nun schon an vielen Baustellen gearbeitet und hat an vorderster Front schon viele Debatten erlebt. Und wer, wie die SPD im vorigen Jahr, von allen für alles verantwortlich gemacht wurde - ich denke nur an die Debatten Agenda 2010, da waren ja Medien und alle anderen Parteien im Sommer auf der einen Seite des Tisches und die SPD stand angeblich in der Ecke und war immer schuld - eine solche Partei hält schon viel aus. Man muss anerkennen: Die letzten Jahre waren nicht gerade von Wahlerfolgen geprägt. Das hat etwas damit zu tun, wenn die einen fordern, nun macht mal endlich Reform, die führen meistens dazu, dass, wenn man sie dann wirklich umsetzt, man nicht nur Applaus bekommt. Man kann diese Reformen, diese Diskussionen professioneller machen. Man kann sie anders einführen. Man muss nicht die Rente mit 67 am Wochenende in einem Interview an einem bestimmten Punkt aufbrechen, wo kaum einer eine Chance hat, mit zu diskutieren. Das weiß auch der Franz Müntefering. Dazu kenne ich ihn zu lange. Und wir haben jetzt im Wahlkampf die Gelegenheit und ich freue mich darüber, dass alle hier sind, gerade mit Peter Struck und Franz Müntefering und Matthias Platzeck, die ich ja alle drei sehr gut kenne, dass man da mal versucht, wieder zu werben, Mensch, macht's doch anders, also nicht wegducken, nicht verschweigen, aber vielleicht miteinander reden, schauen, wie das wirkt, wenn man es einführt. Das bleibt ständige Aufgabe in der Politik. Das geht aber der Landespolitik ähnlich.
Labuhn: Als Vorsitzender des "Forums Ostdeutschland der Sozialdemokratie", Herr Bullerjahn, sind Sie sozusagen Sprecher der Ost-SPD. Worin unterscheidet sich diese 15 Jahre nach der Wiedervereinigung weiterhin von der alten SPD?
Bullerjahn: Na, ich will auch ehrlich sein: Ich war nun im Forum Ost so tief noch nicht eingebunden in den zehn Jahren vorher. Es ist eine andere Generation, glaube ich auch. Gerade gegen die wie Reinhard Höppner, Manfred Stolpe und andere, die die Wende bewusst mit vorbereitet und auch gestaltet haben in führenden Funktionen, gegen die bin ich wirklich der Quereinsteiger, der zur Wende dann über den Runden Tisch in die SPD kam und der sehr konzeptionell arbeitet, sich eher mit dem Blick nach vorne beschäftigt als mit der Frage, wie war das alles und sich eher nicht so historisch dem Ganzen nähert. Da ist, glaube ich, jetzt eine andere Generation herangewachsen. Und ich glaube, wir können jetzt auch offener mit Problemen umgehen, auch offener darüber reden und sagen, ja, so eine Entwicklung im Osten wird wahrscheinlich so und so laufen. Also lasst uns das angehen, lasst uns da auch schauen, noch dazu, weil ich einer Generation entstamme, die auch noch viele Jahrzehnte mit dafür sorgen will, dass die Generationen, die nach uns kommen, auch was davon haben und ich das auch noch einige Jahrzehnte mit gestalten kann. Und da geht man ein bisschen unverkrampfter damit um und in der Sache aber dann doch sehr rational. Ich versuche, das ein bisschen im "Forum Ost" einzubringen mit vielen anderen. Wir bündeln jetzt unsere Aktivitäten viel mehr, weil ich schon daran arbeiten möchte, dass die SPD hier im Osten die bestimmende Kraft für die Zukunft, für die nächsten Jahre wird, denn sie hat dafür etwas aufzubieten mit ihrer Bildungspolitik, mit ihrer Frage der Konzentration. Und ich will dafür sorgen, dass wir attraktiver für die Leute werden, durch Personen, durch Inhalte, dass wir mehr Zulauf bekommen, auch als Partei. Daran krankt es doch auch, dass mehr Leute rein kommen, mehr kritische Gedanken auch rein kommen, dass einfach auch diese Hürden aufgebrochen werden in der Partei. Das wünschte ich mir, dass wir da auch als buntere Truppe in der Gesellschaft einfach ein bisschen interessanter werden.
Labuhn: Sie haben mit Blick auf den Wahltag, den 26. März, erklärt, in Sachsen-Anhalt Kapitän und nicht Erster Offizier werden zu wollen. Haben Sie ein persönliches Motto für die große Fahrt?
Bullerjahn: Na, ich war bei den Minensuchern. Insofern weiß man, das ist ja so eine sehr gute Vorbildung gewesen für das Ganze, dass man sehr vorsichtig sein muss. Aber man muss auch eine gewisse Stringenz an den Tag legen. Also, ich bin jemand, der versucht, sich vorzubereiten, sich inhaltlich aufzustellen, der weiß, das geht nur im Team, aber der auch ganz klar dann, wenn es drauf ankommt, ja sagt. Und das hat mich doch in den letzten Jahren doch auch auf diesem Weg stark voran gebracht. Ich bedaure manchmal, dass Politik zu viel redet und zu wenig macht.