Archiv


Bummeln im Bachelor

Bildung soll immer schneller gehen: Abitur nach zwölf Jahren, Bachelor-Abschluss nach drei und bloß keine Ablenkungen. Die private Zeppelin-University Friedrichshafen stemmt sich diesem Trend entgegen: Wer möchte, kann dort ein so genanntes Bummelstipendium beantragen. Ein Semester lang verabschiedet sich ein Student vom regulären Lehrbetrieb, um eine Art Forschungsarbeit über ein von ihm gewähltes Thema zu schreiben.

Von Thomas Wagner |
    Julia Schmid studiert Wirtschaftswissenschaften an der Zeppelin-University in Friedrichshafen. Und sie hat "gebummelt" - ein Semester lang:

    "Was sage ich zum Bummelsemester? Also ich kann es eigentlich nicht als Bummelsemester beschreiben, weil ich das eigentlich als eine der härtesten Studienzeiten erlebt habe. Sich mit einem Thema nahezu 24 Stunden über fünf Monate hinweg zu beschäftigen, war eine absolute Herausforderung. Weil es wirklich Zeiten gab, wo ich das Thema weder sehen noch hören noch riechen konnte."

    Ein Semester lang hat sich Julia Schmid aus dem regulären Vorlesungsbetrieb ausgeklinkt - und in einer großen Stuttgarter Anwaltskanzlei an einem außergewöhnlichen Thema geforscht. Es ging um Öffentlichkeitsarbeit großer Familienunternehmen. Juli Schmid stammt selbst aus einem solchen Familienunternehmen; entstanden ist eine ausführliche Forschungsarbeit, die zwar keinen Einfluss auf die Abschlussnote hat, aber:

    "Für mich war es zunächst einmal auch ein Vorlauf auf die Bachelor-Arbeit. Aber vor allem war es für mich ganz wichtig zu sehen: Kann ich auf Dauer mit einem Thema arbeiten, auf lange Zeit? Und es ist eine absolute Erprobung, ob man für die Wissenschaft geeignet ist."

    Ein Semester dranhängen - das ist entgegen der landläufig vorherrschenden Meinung nach Ansicht von Juli Schmid bei der späteren Jobsuche kein Nachteil, sondern eher ein Vorteil:

    "Ich bin der Meinung, dass man heute keinen Arbeitsplatz bekommt, weil man besonders gute Noten geschrieben hat, sondern ich glaube, dass es um die Persönlichkeit geht. Und für mich war das Forschungssemester ganz wichtig, um meine Persönlichkeit weiter auszubilden und hatte so die Möglichkeit, mit sehr viel Familienunternehmern in Kontakt zu kommen, mit sehr viel Organisationen in Kontakt zu kommen - mich hat das ein großes Stück vorangebracht."

    All dies sei unentbehrliches Handwerkszeug für die späteren Anforderungen im Beruf - Handwerkszeug, das das reguläre Bachelor-Studium nicht vermitteln kann.

    "Den Bachelor in drei Jahren finde ich viel zu kurz. In drei Jahren das ganze Wissen in einen hinein zu pumpen - gerade an einer Universität wie der Zeppelin-University, wo man interdisziplinär lernen soll und lernen darf, finde ich es ganz wichtig, dass man sich auch die Zeit nehmen darf, um sich ganz spezifisch sich mit einem Thema auseinanderzusetzen."

    In der Themenwahl sind die Studierenden aber weitgehend frei: Manche kümmern sich im Bummelsemester um die Finanzmarktkrise, andere, um ein weiteres Beispiel zu nennen, um das "Spiel im Wandel der Medienepochen." Für ihr Bummelsemester werden die Studierenden der Zeppelin-University für ein Semester freigestellt. Geld als Unterstützung bekommen sie zwar nicht. Dennoch spricht Tim Göbel vom Präsidium der Zeppelin-University von einem "Bummelstipendium". Denn immerhin erhalten die Bummelstudenten

    "drei Dinge eigentlich: Also den Erlass der Studiengebühren. Also man zahlt keine Gebühren in diesem Semester. Zweitens: Man kann die Infrastruktur natürlich weiter nutzen. Man kann die Bibliothek nutzen, man kann die Wissenschaftler nutzen. Und das Dritte halte ich für das Wesentliche: ein betreuender Professor, der einem relativ intensiv zur Seite steht, mit dem man richtig zusammenarbeiten kann - und da kommt auch diese alte Idee auf, die die Universität früher ausgezeichnet hat: Da ging es darum, so Meister-Schüler-Verhältnisse herzustellen. Also dass man sagt, der Lernenden und der Lehrende arbeiten wirklich intensiv zusammen. Und wo findet das heute in Bologna-Zeiten wirklich noch statt?"

    Angst davor, dass die Zeppelin-University im Vergleich zu der Dauer eines Studiums an anderen Hochschulen in den Statistiken nach hinten rutscht, hat Tim Göbel nicht:

    "Erst einmal muss man sagen, liegt die durchschnittliche Dauer von Bachelor-Studiengängen in Deutschland bei 8,3 Semestern. Das ist deutlich mehr als die sechs Semester, die die Bildungspolitik sich ausgedacht hat. Und von daher: Wenn wir von sechs auf sieben gehen, sind wir trotzdem noch unterdurchschnittlich. Und auf der anderen Seite muss man sagen: Es geht um Qualität - und es geht nicht um Geschwindigkeit."

    Und Stichwort Qualität: Bei den ersten Forschungsarbeiten, die in den Bummelsemestern entstanden sind, lassen sich erstaunliche Ergebnisse nachlesen. So hat sich Andreas Rapp mit den staatlichen Rettungspaketen in der Finanzmarktkrise beschäftigt. Im internationalen Vergleich erteilt er dabei dem deutschen Hilfspaket keine guten Noten:

    "Eines der Ergebnisse war, dass das deutsche Paket im Vergleich das schlechteste war. Es war fakultativ aufgestellt im Vergleich zu den Paketen in UK und in Amerika - fakultativ in dem Sinne, dass in Amerika und in England die Banken implizit dazu gezwungen wurden, die Staatshilfe anzunehmen und in Deutschland die Sache offen gelassen wurde. Die deutschen Banken wurden damit in eine Position gerückt, die in gewisser Weise stigmatisierend war."