Archiv


Bundesgrenzschutz soll Bundeswehr entlasten

Rolf Clement: Herr Minister, in dieser Woche haben die Misshandlungen von Soldaten Schlagzeilen gemacht. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, die Bundeswehr hat Maßnahmen ergriffen. Sie haben gesagt, dass Soldaten, die andere misshandeln, in der Bundeswehr nichts zu suchen haben. Aber dennoch: Hat hier die Innere Führung versagt? Sind die Mechanismen, nach denen solche Befehle gar nicht erst gegeben werden und vor allen Dingen ausgeführt werden dürfen, nach denen auch das besondere Abhängigkeitsverhältnis in der Armee ausgeglichen wird - hat das keine ausreichende Verbreitung mehr in der Bundeswehr?

Moderation: Rolf Clement |
    Peter Struck: Doch. Es gibt gar keinen Zweifel daran, dass auch die Ausbilder, die Soldaten misshandelt haben, genau wussten, welche Rechte sie haben und welche Ausbildungsmaßnahmen sie nicht durchführen dürfen. Sie haben, aus welchen Motiven heraus auch immer, diese Pflichten verletzt und deshalb auch die rechtlichen Konsequenzen, die erforderlich sind, zu tragen. Ich habe nur den Eindruck, dass da im Bereich der Rekruten viel eher hätte Alarm geschlagen werden müssen und den Vorgesetzten dann eindeutig klar in die Arme hätte gegriffen werden müssen. Denn so etwas darf man nicht machen in der Bundeswehr, und man muss sich das auch nicht gefallen lassen.

    Clement: Wie kann man den Grundwehrdienstleistenden so etwas nahe bringen? Die sind sechs Wochen bei der Bundeswehr - ich weiß aus eigener Erfahrung: Da hat man noch großen Respekt vor jedem, der was auf den Schulterklappen hat.

    Struck: Ja, aber sie bekommen von uns auch schon, wenn sie in die Armee eintreten, wenn sie kommen, entsprechende Unterlagen ausgehändigt - wo man sich beschweren kann, dass man einen rechtswidrigen Befehl nicht zu befolgen braucht, dass man sich unter Umständen auch beim Wehrbeauftragten des Bundestages beschweren kann. Sie wissen um ihre Rechte. Dass es da gewisse Gruppenzwänge gibt, dass man sich nicht traut am Anfang und nicht auffallen will, das kann ich alles nachvollziehen. Aber ich kann nur die jungen Rekruten ermutigen, die jungen Soldaten ermutigen, von diesem Recht auch Gebrauch zu machen. Wenn sie das nicht tun, dann erfahren wir von solchen Vorgängen nichts und können sie auch nicht unterbinden..

    Clement: Sie lassen nun die Auswirkungen von Auslandseinsätzen auf das Klima und die Ausbildung untersuchen. Haben Sie Anhaltspunkte dafür, dass da ein Problem liegt?

    Struck: Das könnte ein Problem sein, weil manche der Ausbilder, die im Auslandseinsatz waren, ja auch darauf vorbereitet worden sind in ihrer eigenen Ausbildung für diesen Einsatz, beispielsweise in Afghanistan und auf dem Balkan, dass sie als Geisel genommen werden können. Wir müssen die Soldaten darauf vorbereiten, denn es ist ein nicht unrealistisches Szenario. Und dass sie dann mit dieser Erkenntnis, mit dieser Erfahrung zurückkommen und sagen: "Das müssen wir auch unseren Wehrpflichtigen beibringen" - wofür es überhaupt keinen Grund gibt, denn es ist völlig richtig, dass Wehrpflichtige ja gar nicht in den Auslandseinsatz geschickt werden. Ich habe auch die Vermutung, dass sich jetzt in den nächsten Tagen noch eine Reihe von weiteren Soldaten melden werden, denen ähnliches widerfahren ist oder widerfahren sein könnte. Ich erwarte schon die Hinweise darauf, wo noch weiterer Handlungsbedarf ist, denn ich will hier Ordnung schaffen. Ich will hier Sauberkeit in der Bundeswehr, und das kann ich wirklich nur dann erreichen, wenn mir auch alles gemeldet wird.

    Clement: Wo ist denn die Grenze zwischen einsatznaher Ausbildung und dem, worüber wir jetzt diskutiert haben?

    Struck: Einsatznahe Ausbildung ist nur erforderlich für diejenigen, die wirklich in den Auslandseinsatz gehen. Und wir tun das in Hammelburg im Gefechtsübungszentrum des Heeres und anderswo. Da wird geübt, wie man mit Demonstranten umgeht, wie man sich in einer Geiselnahmesituation verhalten soll. Das betrifft dann wirklich alle die, Herr Clement, die nur in den Auslandseinsatz gehen. Das muss ein normaler Grundwehrdienstleistender nicht lernen und er soll es auch nicht lernen.

    Clement: Nun diskutiert man auch über Wehrstruktur - Wehrpflicht, Berufsarmee. Man sagt immer, ein Argument für die Wehrpflicht sei es, dass man dort die 'Rambos' - sage ich mal -, also die, von denen man annimmt, dass sie sich so verhalten, wie es einige in Coesfeld getan haben, dass man die nicht bekommt. Nun ist Coesfeld passiert. Ist das eher ein Argument für die Berufsarmee - nach dem Motto: 'Wir haben sie ja doch alle drin'?

    Struck: Nein, auf keinen Fall. Ich bin aus vielen anderen Gründen ja gegen eine solche Berufsarmee. Aber ich glaube schon, dass, wenn Rekruten, die jungen Wehrpflichtigen, wirklich von ihrem Recht Gebrauch machen, wenn sie mutig sind, Zivilcourage zeigen auch gegenüber einem Vorgesetzten, der seine Pflichten verletzt, das auf jeden Fall ein Argument für die Beibehaltung der Wehrpflicht ist, denn in einem solchen Fall wird ein Hauptfeldwebel, der in diesen Ausbildungsgängen wirklich weit über die Grenze hinaus geht, sich auch nicht trauen, das weiter zu machen - wenn er uns gemeldet wird und wir dem nachgehen.

    Clement: Herr Minister, die Transformation der Bundeswehr ist das große Thema in diesen Monaten, in diesen Jahren. Wie weit sind Sie?

    Struck: Wir sind auf einem sehr guten Wege, wie man so schön sagt. Wir haben in Konsequenz der Arbeit, die ich begonnen habe, als ich Verteidigungsminister wurde, jetzt eine wichtige Etappe erreicht, nämlich die Stationierungsentscheidungen getroffen. Wir werden im März die Vorschläge haben der Teilstreitkräfte, wie die einzelnen Umzüge und Schließungen der Standorte erfolgen werden, in welchem Zeitraum. Und das, was die Bundeswehr jetzt zu leisten hat im militärischen Bereich, ist Umstrukturierung auf Eingreiftruppen, Stabilisierungstruppen und Unterstützungstruppen, so dass wir unsere Zielstrukturen im Jahr 2010 mit Sicherheit erreichen werden.

    Clement: Es wird Ihnen vorgehalten, dass Sie den Heimatschutz dabei vernachlässigen. Muss da nachgesteuert werden?

    Struck: Nein, da muss nicht nachgesteuert werden. Ich habe gar keinen Zweifel daran, dass unser Land, wenn es angegriffen würde, auch so verteidigt werden kann, dass sich dieser Angriff nicht lohnt. Im Übrigen: Abgesehen davon, dass ich niemanden sehe, der uns angreifen will oder angreifen wird in den nächsten Jahren, halte ich es nach wie vor für eine Selbstverständlichkeit, dass in einem solchen Fall natürlich die Eingreifkräfte, wenn sie dann irgendwo in der Welt gerade sind oder die Stabilisierungskräfte wo anders sind, zurückkommen werden, um unser Land zu verteidigen. Wir haben nach wie vor immer noch vorgesehen, über 147.000 Soldaten, die als so genannte Unterstützungstruppe im Land bleiben und unser Land auch verteidigen werden, wenn es angegriffen wird.

    Clement: Sie haben durch die Stationierungsentscheidung naturgemäß größere Einheiten bilden müssen, Sie haben aus der Fläche herausgehen müssen. Die Wehrpflicht wird diskutiert. Das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Bundeswehr könne dadurch gelockert werden. Nun kommt auch noch, dass Sie nicht mehr so viel Reservisten einberufen wollen wie früher.

    Struck: Ja, ich habe entschieden, dass ab sofort wiederum ein anderes Verfahren bei der Einberufung von Reservisten gelten soll. Das ist wegen der Änderung eines Gesetzes, das nach sich gezogen hat, dass wir so genannte T 3 - Gemusterte nicht mehr einziehen jetzt zum Wehrdienst, auch übertragen worden auf Reservisten. Also, es sollen sich alle überprüfen lassen, die T 3 gemustert waren, ob sie noch weiter eine Reserveübung machen sollen. Das halte ich für Unsinn, denn das sind ehemalige Soldaten, die Dienst getan haben, die bereit sind, als Reservisten weiterhin für ihr Land zu arbeiten als Reserveoffiziere oder -unteroffiziere. Deshalb habe ich diese Maßnahme gestoppt. Also wir werden dabei bleiben, dass alle, die bereit sind jetzt und die entsprechenden Altersklassen haben, auch weiterhin zu Reserveübungen herangezogen werden.

    Clement: 'T 3' heißt?

    Struck: T 3 heißt, dass sie nur mit bestimmten gesundheitlichen Einschränkungen überhaupt für die Bundeswehr noch brauchbar sind.

    Clement: In dieser Woche ist nun - das gehört auch zur Transformation - der Verteidigungshaushalt verabschiedet worden. Sie sagen, das Ende der Fahnenstange ist sozusagen erreicht. Wenn man sich das mal anguckt und nebeneinander legt: Das ist ja nun eine Bundeswehrplanung, die sehr stark unter dem finanzpolitischen Diktat stand. Wenn Sie die Aufgaben beschreiben und aufschreiben würden, was Sie brauchen: Kämen Sie dann wirklich mit dem Etat hin?

    Struck: Ja, ich komme hin, allerdings knapp. Ich benutze ein Wort von Hans Eichel, der das auf den Gesamthaushalt immer anwendet: Das ist alles auf Kante genäht. Wir kommen aber trotzdem mit unseren internationalen Verpflichtungen hin, wir werden die Auslandseinsätze weiter bewältigen, auch finanziell bewältigen - auch zusätzlich, wie jetzt zum Beispiel diese kleine Maßnahme im Sudan. Und wir haben auch im Bereich der Beschaffungen die Beschaffungen nach wie vor in unserer Liste - sie werden durchgeführt -, die wir für die Auslandseinsätze vor allen Dingen brauchen.

    Clement: Was halten Sie von den Klagen, die man teilweise aus Bosnien hört - das ist ja ein Einsatz, der ein bisschen aus dem öffentlichen Bewusstsein herausgekommen ist -, dass dort nicht mehr die Ausrüstung so optimal ist, wie sie sein müsste, um für entsprechende Krisensituationen gewappnet zu sein?

    Struck: Mir sind solche Vorstellungen noch nicht bekannt geworden. Ich werde auch in Kürze wieder nach Bosnien-Herzegowina fahren, nachdem die Europäische Union das Mandat übernommen hat in der vergangenen Woche. Aber es gilt grundsätzlich, dass für jeden Auslandseinsatz, auch für einen, der - in Anführungszeichen - "nicht so gefährlich" ist wie andere, das zur Verfügung gestellt werden muss, das man braucht, um seine Aufgaben im Auslandseinsatz erfüllen zu können. Das betrifft vor allem gepanzerte Fahrzeuge, Transportfahrzeuge, persönliche Schutz der Soldaten in der Ausrüstung ist absolut erforderlich. Und wenn es dort Mängel gibt, werden wir sie abstellen.

    Clement: Und dafür, sagen Sie, ist immer genug Geld vorhanden?

    Struck: Das Geld ist immer vorhanden. Wir haben einen sogenannten 'einsatzbedingten Sofortbedarf' in unserem Haushalt etatisiert, aus dem dann solche zusätzlichen Maßnahmen finanziert werden.

    Clement: Die Stationierungsplanung haben Sie schon angesprochen. Die Bundeswehr macht keine Strukturpolitik, sagen Sie. Trotzdem, geben Sie Hinweise oder haben Sie Ideen, wie man Kommunen helfen kann, das auszugleichen? Wo wollen Sie die kanalisieren? Sie haben mal von einer Konferenz gesprochen, die Sie einberufen wollen.

    Struck: Also, Ideen dazu habe ich schon, weil ich natürlich verstehen kann, dass ein Bürgermeister einer Gemeinde, in der die Bundeswehr wirklich strukturbildend war, weil es eine kleine Gemeinde war und ein großer Bundeswehrstandort - da könnte ich einige nennen - um Hilfe bittet. Er weiß - der Bürgermeister -, dass er von mir keinen Euro bekommen kann, auch nicht von dem Bundesfinanzminister. Er weiß aber, dass vor einigen Jahren der Anteil der Länder an der Mehrwertsteuer erhöht worden ist zum Zweck der Konversion im Zusammenhang mit Standortschließungen damals schon. Wir versuchen auch zu helfen, was Mittel aus dem europäischen Bereich angeht, aus der EU. Und ich bin sehr dafür, dass wir Konversionsarbeitskreise installieren auf der jeweiligen Landesebene, an denen dann auch der Bund beteiligt sein soll - also das Finanzministerium, das Verteidigungsministerium - mit der Zielrichtung, dass möglichst schnell die Gemeinden entscheiden können sollen, ob sie ein solches von uns freizumachenden Grundstück übernehmen, auch vielleicht zu günstigeren Konditionen als auf dem Markt zum Marktpreis, und dann damit entsprechend auch weitere Investitionen anreizen können.

    Clement: So ein Programm würde der Finanzminister mitmachen?

    Struck: Ja, wir sind da noch in einer Diskussion. Ich will da nicht verschweigen, dass ich mit dem Finanzminister dazu eine unterschiedliche Auffassung habe. Ich bin der Auffassung, um es einmal krass zu sagen, dass es für den Bund immer noch günstiger ist, ein Grundstück, das er frei macht, weil er es nicht mehr braucht, für einen Euro einer Gemeinde zu verkaufen und sie dann zu verpflichten, wenn sie es weiterverkauft an einen Dritten, den Gewinn mit uns zu teilen. Das ist, glaube ich, eine bessere Lösung, als zu warten, bis man einen Investor findet, der einen Marktpreis bezahlt. Ich spare dadurch als Verteidigungsminister Betriebskosten für ein Grundstück, das ich nicht mehr brauche. Wir müssen ja aufpassen, dass nicht alles vergammelt, wenn wir rausgehen. Und für die Gemeinden gibt es dann entsprechend auch schnellere Planungssicherheit. Da haben wir noch Diskussionsbedarf, auch im Haushaltsausschuss des Bundestages.

    Clement: Herr Minister, ein anderes Thema. Die NATO hat beschlossen, dem Irak zu helfen bei der Ausbildung von Soldaten, von Polizisten. Die Bundeswehr hat auch schon Ausrüstungsgegenstände dafür zur Verfügung gestellt. Aber es gibt immer mal wieder Klagen, dass das nicht so richtig in Gang kommt.

    Struck: Das ist wahr. Wir haben überhaupt noch kein richtiges Ausbildungskontingent der NATO im Irak, obwohl sich viele Staaten dazu verpflichtet haben. Wir haben unsere eigene Verpflichtung erfüllt. Da kommen wir sicher gleich darauf zu sprechen. Aber es fehlt doch wirklich an Ausbildern aus anderen NATO-Staaten im Irak selbst. Und man kann zwar markige Beschlüsse fassen in Istanbul auf dem NATO-Gipfel, aber da muss man sich auch dran halten. Das gilt übrigens auch in anderen Bereichen für Afghanistan. Wir haben erklärt, wir gehen nicht in den Irak, sondern wir wollen in den benachbarten Vereinigten Arabischen Emiraten ausbilden. Unsere Soldaten sind schon da. Die LKWs, auf denen ausgebildet wird, sind auch schon da, und wir beginnen diese Ausbildung und werden vor Weihnachten damit zu Ende sein.

    Clement: Dann kommen die Soldaten schon wieder zurück.

    Struck: Dann kommen sie zurück.

    Clement: Sie haben gerade gesagt, deutsche Soldaten gehen nicht in den Irak. Das ist die Politik, die Position der Bundesregierung. Das führt in den NATO-Stäben manchmal zu Diskussionen, weil dort deutsche Soldaten, die ja nun an die NATO abgestellt sind, an bestimmten Missionen auch nicht teilnehmen können. Wenn man das konsequent durchzieht, wenn man die Deutschen immer dann raus zieht, wenn da zum Beispiel der NATO-Oberbefehlshaber, der einen deutschen Adjutanten hat, den nicht mitnehmen darf, wenn er da hin geht, oder aber wenn es Stäbe sind, da dahin verlegt werden, verlieren wir nicht mittelfristig an Einfluss in der NATO, wenn wir diese Politik so durchziehen?

    Struck: Nein, auf keinen Fall. Wir haben nach wie vor Schlüsselpositionen in dem NATO-Bereich besetzt, auch wenn im nächsten Jahr General Kujat dann in den Ruhestand tritt. Sein Nachfolger wird ein Kanadier. Wir haben den sogenannten Chief of Staff dort bei der NATO stationiert, nach wie vor, also ein Vier-Sterne-General. Von daher, sage ich, haben wir den Einfluss, den wir brauchen, der uns auch zusteht als großer NATO-Nation. Und andererseits: Es ist eine theoretische Debatte, wenn darüber diskutiert wird, sollen deutsche Offiziere stehen bleiben, die in den Irak gehen. Es steht zur Zeit überhaupt nicht an. Alle, die darüber zu entscheiden haben, wissen, dass wir entschieden haben, wir schicken keinen deutschen Soldaten in den Irak. Dabei bleibt es. Und das, was jetzt im Irak erforderlich ist, können die anderen auch machen. Aber sie machen es nicht, wie ich ja beklagen muss.

    Clement: Um aber auf den Punkt noch mal zu kommen: Ist es nicht sinnvoll, irgendwann einmal zu der Lösung zu kommen, dass man sagt: Wenn ein Soldat bei der NATO Dienst tut, dann ist er ein NATO-Soldat und unterliegt dann nicht mehr in dem Sinne den politischen Kautelen aus Deutschland, sondern ist dann sozusagen abgestellt an die NATO und übernimmt Aufgaben in jedem Bereich der NATO?

    Struck: Nein, ich bin nicht dieser Auffassung. Wir haben eine Parlaments-Armee, und das bezieht sich auf jeden einzelnen Soldaten, egal wo er ist, ob er auch in einem NATO-Stab integriert ist. Und das Parlament entscheidet darüber, wohin unsere Soldaten gehen. Und wir haben zum Beispiel ja die klare Position zum Thema Irak vertreten, nach wie vor. Und die wollen wir auch nicht ändern. Es ist immer eine nationale Entscheidung, Herr Clement, ob ein Soldat oder mehrere Soldaten in irgend einem NATO-Auftrag, in irgend einem NATO-Mandat in ein Land außerhalb des Bundesgebietes gehen. Und dabei soll es bleiben.

    Clement: In den USA wurde gewählt. Und nach dem, was man jetzt weiß, bleibt Ihr Amtskollege Rumsfeld im Amt. Wenn man Ihre öffentlichen Äußerungen übereinander hört, dann sind die - meistens vor allen Dingen von der amerikanischen Seite her - nicht so freundlich. Wir haben auch mit der neuen Außenministerin jemand, der ja die bisherige Politik der Regierung Bush sehr stark mit geprägt hat. Wie würden Sie das Verhältnis zu den USA jetzt beschreiben? Welche Hoffnungen haben Sie an die neue Bush-Administration?

    Struck: Das Verhältnis ist normal. Man muss nach den Irritationen über den Irakkrieg natürlich davon ausgehen, dass erst langsam wieder Normalität eingetreten ist. Aber wir haben diese Normalität, auch ich zu Rumsfeld. Er kennt meine Position oder die deutsche Position zum Thema Irak und hat sich damit abgefunden. Ich glaube, dass eine gute Chance besteht, jetzt auch nach den Neuwahlen in Amerika, mit dem amerikanischen Präsidenten auf der Ebene des Bundeskanzlers in einen neuen Dialog einzutreten über die Aufgaben vor allen Dingen in Afghanistan und im Kampf gegen internationalen Terrorismus - im Irak auch, denn wir stellen eine ganze Menge Geld bereit, wie man weiß. Und wir helfen bei der Ausbildung irakischer Soldaten. Wir müssen uns also nicht vorwerfen lassen, wir würden nicht genug tun im Irak.

    Clement: Haben Sie Signale aus den USA, dass sie künftig vielleicht eher bereit sind, mit den Europäern Dinge zu besprechen, gemeinsam zu machen, als das in den letzten Jahren der Fall war?

    Struck: Ja, eindeutig. Also ich glaube schon, dass die jetzige amerikanische Administration schon gesehen hat, dass das isolierte Vorgehen, Herauspicken einzelner NATO-Staaten für diese Maßnahmen im Irak, eine politische Richtung war, die nicht zum Zusammenhalt der NATO beitragen wird. Man darf die NATO nicht als Werkzeugkasten benutzen für bestimmte Aufgaben, die nicht von der NATO in ihrer Gesamtheit übernommen werden. Diese Erkenntnis hat sich durchgesetzt bei unseren amerikanischen Freunden und ihr Bemühen ist deutlich zu erkennen, jetzt die gesamte NATO, also einschließlich der bei manchen Fragen kritischen Staaten wie Deutschland und Frankreich mitzunehmen.

    Clement: Sie haben Afghanistan angesprochen. Es gibt mehrere Äußerungen, sowohl von der neuen afghanischen Regierung, die ja auch wieder gewählt worden ist, zumindest was den Präsidenten angeht, wie auch aus Washington, dass man das Drogenproblem dort jetzt angehen will. Das Drogenproblem ist ja, weil es die Drogenbauern und damit auch die Warlords finanziert, eines der zentralen Themen in dem Machtgefüge von Afghanistan. Erwarten Sie in dem Zusammenhang, dass es vielleicht in den nächsten Monaten doch noch unruhiger wird in Afghanistan?

    Struck: Ja, das glaube ich schon. Auch in der Provinz, in der wir mit sogenannten Aufbauteams installiert sind, also in der Provinz Badagshan zum Beispiel, dort ist auch ein starkes Drogenanbaugebiet. Die Amerikaner und auch die Briten, aber auch die afghanische Regierung sind entschlossen, gegen diesen Drogenanbau und auch gegen den Drogenhandel schärfer vorzugehen als bisher. Das hat natürlich Auswirkungen auf die politische Stabilität in solchen Regionen. Unsere Soldaten wissen das in Feyzabad oder in Kunduz. Wir geben auch natürlich die Informationen weiter, die wir haben, wenn wir Patrouille irgendwo fahren, über Drogenanbaugebiete. Es ist ja nicht so, dass wir mit geschlossenen Augen dort in Feyzabad durch die Gegend laufen.

    Clement: Aber es bleibt dabei: An der Drogenbekämpfung selbst will die Bundeswehr sich nicht beteiligen?

    Struck: Der Bundestag hat das so beschlossen und das ist auch richtig, weil unsere Soldaten nicht ausgebildet sind, als Polizisten zu agieren oder als Drogenfahnder. Die Zusammenarbeit mit den Ländern, die andere Aufgaben haben wie Briten zum Beispiel oder Amerikaner ist sehr gut. Wir haben auch Briten jetzt in unserem Camp in Feyzabad und in Kunduz, die dort vorübergehend untergebracht werden. Und deren Hauptaufgabe ist auch, Aufklärung zu betreiben in Bezug auf Drogenanbau.

    Clement: Sie haben gerade ein Stichwort gegeben. Es ist eine Polizeiaufgabe, die dort ansteht. Das hört man ja immer wieder, dass die Bundeswehr bei Patrouillen in Auslandseinsätzen Polizeiaufgaben wahrnimmt. Warum kann man eigentlich für so etwas nicht den Bundesgrenzschutz mit ins Ausland nehmen - in großem Umfang eben, um solche Aufgaben wahrzunehmen, nicht zur Ausbildung der örtlichen Polizei, sondern . . .

    Struck: Ja, ja, schon verstanden. Also einmal ist es so, Herr Clement, das wissen Sie auch, wir haben eine ganze Menge von deutschen Polizisten, die afghanische Polizisten ausbilden, auch da in Kunduz zum Beispiel, im Norden Afghanistans. Die Frage, ob man BGS dort einsetzen kann, ist eine Frage, die eigentlich der Bundesinnenminister beantworten muss. Es ist natürlich eine schwierige Situation, weil es nach der Gesetzeslage natürlich so ist, dass er den Bundesgrenzschutz in Deutschland, im Inneren einsetzen kann. Da kann er Versetzungen anordnen, aber nach Afghanistan zu versetzen, da sind ihm rechtliche Hindernisse gesetzt.

    Clement: Na ja, Gesetze kann man ändern.

    Struck: Das kann man ändern. Ich glaube, es gibt auch Situationen, noch nicht jetzt, aber in späteren Zeiten, wo man wirklich klar sagen muss: Wir müssen mehr Polizei - Polizisten, also auch Bundespolizisten, sprich BGS -, Leute auf den Balkan schicken oder vielleicht auch nach Afghanistan, weil es mehr und mehr polizeiliche Aufgaben sind.

    Clement: Darüber sind Sie mit dem Innenminister schon in einem Gespräch?

    Struck: Wir sind im Gespräch, aber jetzt kommt es noch darauf an, dass die Bundeswehr auch massiv präsent ist, denn Soldaten in Uniform und mit entsprechender Ausrüstung geben eine größere Autorität her als Bundesgrenzschutzbeamte.

    Clement: Herr Minister, nächstes Jahr soll ein Weißbuch kommen. Wie weit sind Sie denn damit?

    Struck: Wir sind, was die Gliederung angeht und was die Hauptpunkte angeht, also die Grundlinie dieses Weißbuches angeht, fertig, auch in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt. Ein Streitpunkt ist natürlich die Frage, wie berücksichtigt man die Frage der Wehrpflicht in diesem Weißbuch. Denn bekanntermaßen ist mein Koalitionspartner anderer Auffassung als ich. Aber was die Grundlinie der deutschen Politik angeht, die Definition dessen, wie man Sicherheits- und Verteidigungspolitik heute definieren muss, sind wir einig. Und wir wollen das zum 50jährigen Jubiläum der Bundeswehr im November nächsten Jahres veröffentlichen. Das letzte Weißbuch ist dann elf Jahre her, und in diesen elf Jahren hat sich weiß Gott eine Menge geändert.

    Clement: Kann die Öffentlichkeit, können auch unsere Partner erwarten, dass in diesem Weißbuch eine sehr präzise und genaue Definition deutscher Sicherheitsinteressen, deutscher außenpolitischer Interessen enthalten ist?

    Struck: Ja, das kann sie erwarten. Alle anderen europäischen Staaten haben das auch selbst definiert und versuchen, es selbst zu definieren. Trotzdem bleibt natürlich immer übrig, Herr Clement, dass man von den künftigen Einsätzen immer von Multinationalität ausgehen muss. Es wird keinen einzigen Einsatz geben, sei es nun friedenerzwingend oder friedenstabilisierend, den Deutschland ganz alleine machen wird. Wir haben ja auch für bestimmte Aufgaben, bei denen wir schnell eingreifen müssen, so genannte Battlegroups mit anderen europäischen Partnerstaaten vereinbart. Also Multinationalität gilt immer. Es gilt aber gleichzeitig auch zu definieren, was ist in unserem eigenen Interesse, wo machen wir mit und wo werden wir nicht mitmachen.

    Clement: Ich frage vor dem Hintergrund noch mal nach, weil der Außenminister in einer Rede an der Humboldt-Universität in Berlin einmal gesagt hat, deutsche Interessen seien immer europäische Interessen. Ist das nicht anders herum? Müssen wir nicht deutsche Interessen definieren, um sie in Europa einbringen zu können?

    Struck: Ja, ich sehe das so, wie Sie das gerade eben formuliert haben. Ich glaube, wir müssen erst einmal klar definieren: Was wollen wir? Unter welchen Bedingungen gehen wir in irgend einen Auslandseinsatz? Warum gehen wir nicht in den Irak und warum gehen wir nach Afghanistan beispielsweise? Und die Definition dieser Interessen ist unstrittig zwischen Außenministerium und Verteidigungsministerium und auch Finanzministerium, die man immer braucht, weil wir auch Geld dafür brauchen. Und dann gilt das europäische Interesse. Da sehe ich aber keine großen Differenzen zu dem, was jetzt inzwischen vereinbart worden ist.