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Bundesland mit Besatzungsrecht

Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde immer wieder der ungeklärte Status von Westberlin diskutiert. War es Teil der Bundesrepublik? Durfte es von Bonn aus regiert werden? Wieweit galten noch die Hoheitsrechte der drei Westalliierten? Am 21. Mai 1957 fällte das Bundesverfassungsgericht dazu ein höchstrichterliches Urteil.

Von Karl Friedrich Gründler | 21.05.2007
    Westberlin erhielt im August 1950 eine eigene Verfassung, man wählte Abgeordnetenhaus und Landesregierung. Der staatsrechtliche Status war aber von Anfang an umstritten.

    Die Ursachen dafür liegen in den alliierten Planungen für die Verwaltung in Nachkriegsdeutschland. Bereits im Londoner Abkommen vom September 1944 beschlossen Großbritannien, die USA und die UdSSR, Frankreich kam erst später dazu, die Teilung Deutschlands in Besatzungszonen sowie die gemeinsame Verwaltung von Groß-Berlin. In einer Proklamation des Alliierten Kontrollrates gleich nach Kriegsende heißt es:

    "Zwecks gemeinsamer Leitung der Verwaltung dieses Gebietes wird eine interalliierte Behörde errichtet, welche aus vier von den entsprechenden Oberbefehlshabern ernannten Kommandanten besteht."

    Soweit der Plan: In der Praxis ließen sich die Gegensätze zwischen den westlichen Zonen und dem sowjetzonalen System in der alliierten Kommandantur nicht überbrücken. Die Auseinandersetzungen gipfelten in der sowjetischen Blockade Westberlins 1948/49.

    Nach deren Scheitern suchten westdeutsche Politiker, Westberlin in die sich gründende Bundesrepublik möglichst fest einzubinden. In Artikel 1 der Berliner Verfassung vom September 1950 heißt es:

    "Berlin ist ein Land der Bundesrepublik Deutschland. Grundgesetz und Gesetze der Bundesrepublik Deutschland sind für Berlin bindend."

    Die drei Westallierten wollten dagegen den Vier-Mächte-Status für ganz Berlin keinesfalls gefährden, der Ihnen freien Zugang zu beiden Teilen der Stadt garantierte. Sie beharrten darauf, dass

    "Berlin keine stimmberechtigte Vertretung im Bundestag oder Bundesrat erhalten und auch nicht durch den Bund regiert werden wird, dass es jedoch eine beschränkte Anzahl von Vertretern zur Teilnahme an den Sitzungen dieser gesetzgebenden Körperschaft benennen darf."

    Weil Berlin nicht von Bonn aus regiert werden durfte, mussten nun die Bundesgesetze vom Berliner Abgeordnetenhaus noch einmal abgestimmt werden. Es gab in Westberlin keinen Wehrdienst für Deutsche, aber eigene Briefmarken. Stephan Pape, langjähriger politischer Journalist beim RIAS Berlin:

    "Es gibt verschiedene Beispiele. Eines ist, dass man verpflichtet war, ständig einen Ausweis bei sich zu tragen. Und dann gewissermaßen als Höhepunkt: Es bestand weiterhin die Todesstrafe in Westberlin aufgrund alliierter Verordnungen, auch wenn sie natürlich nie praktiziert ist nach '49."

    Otto Suhr, ab Januar 1955 Regierender Bürgermeister, wollte den Schutz durch die Westmächte und eine enge Bindung an die Bundesrepublik.

    "Integration in die Bundesrepublik, soweit wie nur möglich, Sonderstellung so wenig wie nötig. Mit dem Mindestmaß an Sonderrechten, die sich aus dem Vier-Mächte-Status ergeben, mit einem Höchstmaß der Verbundenheit mag Berlin seine durch die geografische Lage und durch die Geschichte vorgezeichnete Aufgabe erfüllen."

    Die Bundespolitik suchte die Einbindung Westberlins immer wieder demonstrativ unter Beweis zu stellen. Bundesratspräsident Kai-Uwe von Hassel eröffnete im März 1956 in Berlin-Schöneberg eine Sitzung der Länderkammer:

    "Sie ist der weithin sichtbare, bewusste und konsequente Ausdruck einer Haltung der Vertretung aller deutschen Bundesländer, an der es nirgends, weder innerhalb noch außerhalb Deutschlands, einen Zweifel geben darf.. Der Ausdruck einer unwandelbaren Verbundenheit der deutschen Länder mit der alten Reichshauptstadt Berlin, die unbeschadet aller staatsrechtlichen Fragen doch ein Glied, ja ein hervorragendes Glied, innerhalb der deutschen Staatsgemeinschaft ist und bleibt."

    Das Bundesverfassungsgericht beurteilte gerade die staatsrechtliche Frage nicht ganz so einfach. Es erklärte sich selbst in einem Urteil vom 21. Mai 1957 für nicht zuständig für Westberlin, stellte aber immerhin klar:

    "a) Berlin ist ein Land der Bundesrepublik Deutschland.

    b) Das Grundgesetz gilt in und für Berlin, soweit nicht aus der Besatzungszeit stammende und noch heute aufrechterhaltene Maßnahmen der Drei Mächte seine Anwendung beschränken."

    Der Berlinstatus blieb auch mit diesem höchstrichterlichen Entscheid nicht abschließend geregelt. Denn außerhalb der deutschen Rechtsordnung galt weiterhin alliiertes Besatzungsrecht, und das bis zur Wiedervereinigung 1990.