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Bundesparteitag der CDU

Nutz: Am Telefon begrüße ich nun Annette Schavan, Kultusministerin in Baden-Württemberg und auf dem Parteitag der CDU in Essen mit 88 Prozent zur Stellvertreterin von Angela Merkel gewählt. Guten Morgen nach Essen!

    Schavan: Guten Morgen Frau Nutz.

    Nutz: Frau Schavan, Neuanfang, zusätzlich mit dem Präfix "Neu". Wird nun wirklich alles neu, alles anders, oder hat man es eher mit einer Runderneuerung zu tun?

    Schavan: Die CDU ist gestern nicht neu erfunden worden. Das ist ganz klar. Es war aber schon spürbar, auch von der Stimmung her, von dem, was in der Diskussion zu den Themen gemacht wurde, dass etwas Neues beginnt: Start in eine neue Phase, neue Themen, Suche und Arbeit an neuen Konzepten, und das mit dem Ziel, das was erfolgreiche Traditionen in der CDU sind weiterzuentwickeln. Ich glaube, darin liegt der Pfiff: nicht irgendwie aus der eigenen Geschichte aussteigen, am Punkt null anfangen, sondern so weiterentwickeln und so zur Sache kommen, dass wirklich zeitgemäße kraftvolle politische Impulse von uns ausgehen.

    Nutz: Was ist denn tatsächlich das neue, wenn Sie sagen auch inhaltlich neu?

    Schavan: Die CDU hat bis 1998 16 erfolgreiche Regierungsjahre gehabt, aber in dieser Zeit ist mit jedem Jahr natürlich auch Parteiarbeit ein bisschen mehr in den Hintergrund getreten. Deshalb glaube ich, jetzt wird es wichtig, dass die Parteiarbeit systematisch und vor allem nicht nur im Selbstgespräch geführt wird. Neu werden soll, dass die CDU die Milieus in unserer Gesellschaft, mit denen nicht nur über Politik geredet wird, sondern wo auch viel Erfahrung und Ideen sind, wieder aufbaut, dass die CDU gesprächsfähig ist, dass sie sich nicht als eine Partei zeigt, die Debatten um der Debatten Willen führt, aber dass sie in der Lage ist, diese Debatten so zu führen, dass dort nicht nur Politik diskutiert wird, sondern wir mit großen gesellschaftlichen Gruppen wieder ins Gespräch kommen. Also nicht nur in die Partei hineinhorchen, sondern auch in die Gesellschaft hineinhorchen, nahe bei den Menschen sein.

    Nutz: Ist denn "Kinder statt Inder" und "Rente ab 70" nahe bei den Menschen?

    Schavan: Es gibt in Wahlkämpfen immer auch Kurzfassungen, immer auch Slogans, die - das hat der Slogan an sich - ambivalent sind. Ich glaube, der ganze gestrige Tag und die Art, wie wir dort debattiert haben, zeigt viel Differenzierung. Da muss man auch mal einen Slogan aushalten, der noch nicht alles wiedergibt, was zum Thema wichtig ist.

    Nutz: Zu dem Slogan gehört aber auch eine Postkarten-Campagne. Können Sie dazu stehen? Findet das Ihre Unterstützung?

    Schavan: Das ist die Postkarten-Aktion eines Landesverbandes, und wir haben auch hier in Essen gestern den ganzen Tag eigentlich doch klar gemacht, dass dahinter nicht steht, was mit viel Unterstellungen verbunden ist, die Jürgen Rüttgers jetzt erfährt. Wahlkämpfe sind Wahlkämpfe. Da muss man Wahlkämpfer befragen. Die anderen sollten darüber tunlichst nicht ständig diskutieren. Was Grundbotschaft, Kernbotschaft ist, dass die CDU - und das wird beim Bildungsantrag heute ja auch eine Rolle spielen - sich um die Zukunftschancen der jungen Generation kümmern will, um Ausbildung für Menschen. Wer die Shell-Studie liest, der merkt ganz deutlich, junge Menschen heute erwarten von der Politik, dass wir uns um ihre Arbeits- und Ausbildungschancen kümmern und dass wir nicht versuchen, Ausflüchte zu finden, indem man neue Themen erfindet, also eine Informatikfakultät in Hildesheim schließt, wie Schröder das gemacht hat, und dann eine solche Hilfskonstruktion. In meinen Augen hat die Debatte ja nicht mit Jürgen Rüttgers begonnen, sondern sie hat mit einer sehr spontanen Idee begonnen, die so wie Schröder sie formuliert hat noch nicht das letzte Wort zur Frage qualifizierter Informatiker ist.

    Nutz: Frau Schavan, bleiben wir noch einmal bei Angela Merkel, die sich ja auch in diesen Themen noch positionieren muss. Sie hat gestern gesagt, sie möchte in einem Dreieck ein Gleichgewicht schaffen. In der Mathematik, wenn man den Vergleich versucht, ist das sicherlich schwierig. Welche Konstruktion muss Angela Merkel denn nun bauen, um nicht aus diesem Dreieck herauszufallen?

    Schavan: Ich glaube, dass Angela Merkel gestern sehr deutlich Dinge verbunden hat, die oft als Alternativen dastehen. Klarheit in den Aussagen und zugleich der Versuch, die politischen Themen nicht auseinander zu reißen, Klarheit in den Aussagen und zugleich die Bereitschaft, auch zu sehen, bei welchen Themen wir am Anfang einer Debatte stehen. Das worüber wir eben gesprochen haben ist der Beginn einer Debatte. Gleichzeitig gehört dazu, das innerparteilich zu integrieren, was zur Erfolgsgeschichte der CDU gehört, Integration derer, die Verantwortung in dieser Partei tragen. Wenn ich mir überlege, was in den Tagen vor dem Parteitag immer wieder gefragt wurde, dann glaube ich hat Angela Merkel gestern sehr deutlich gemacht ihr Verständnis von klarer politischer Führung, bei der nicht Debatten um der Debatten Willen, sondern zielgerichtet und gebündelt geführt werden, und gleichzeitig eine Offenheit, eine Transparenz, übrigens auch in der Sprache, die auf dem Parteitag großen Eindruck gemacht hat.

    Nutz: Wird sich denn die Partei irgendwann dazu durchringen können, Angela Merkel auch als Kanzlerkandidatin aufzustellen?

    Schavan: Darüber diskutieren wir 2001 und es wäre ganz falsch und Überforderung aller, jetzt gleich eine neue Debatte zu führen. Gestern ist ein großes Stück Arbeit geleistet worden und darauf muss jetzt in den nächsten Monaten aufgebaut werden mit inhaltlicher Positionierung. Dann stellt sich im nächsten Jahr ein neues Thema, aber nicht jetzt.

    Nutz: Wird die Union denn diese Strategie beibehalten können, diese Frage so lange offen zu lassen?

    Schavan: Das glaube ich schon, denn wir sind präsent mit Spitzenleuten. Wer zunächst erklärt, dass die Partei wieder lebendiger werden muss, der muss das jetzt auch tun und sich nicht gleich wieder in die nächste Geschichte stürzen. Zunächst einmal haben wir eine neue Spitze in der Fraktion, in der Partei, ein gutes Zusammenspiel von Spitzenpersonen. Daraus wird sich etwas entwickeln. Diese Entwicklung darf aber nicht abgeschnitten werden, indem man jetzt einfach wieder nur eine neue Debatte über ein Datum führt, das noch zwei Jahre hin ist.

    Nutz: Trotzdem noch mal kurz zur Vergangenheit. Der lange Schatten von Helmut Kohl, auch wenn er gestern zum erstenmal nach fast 50 Jahren nicht dabei war, er ist doch zu spüren. Am Donnerstag und Freitag sind Wolfgang Schäuble und Brigitte Baumeister, die ehemalige Schatzmeisterin, vor den Untersuchungsausschuss geladen. Dann geht es um die fragwürdige Spende von Waffenhändler Schreiber und die gegensätzlichen Aussagen beider. Wird nach Helmut Kohl nun Wolfgang Schäuble möglicherweise zum Problem für die Partei?

    Schavan: Das ist und wird er überhaupt nicht, und auch das ist gestern deutlich geworden. Ich glaube schon, dass gestern viele gespürt haben, das ist ein Verlust für uns. Das hat Angela Merkel auch so gesagt, dass Wolfgang Schäuble, der überaus erfolgreich in diesen 16 Monaten war, im Blick auf Wahlen, im Blick auf programmatische Arbeit, jetzt so nicht mehr in Führungsverantwortung steht. Sein Wahlergebnis, seine Rede, alles was gestern war hat deutlich gemacht, er ist für die Partei wichtig und er bleibt auch wichtig. Das ist auch der Wunsch, dass er bleibt und mit seinen Impulsen uns zur Verfügung steht. Das andere ist jetzt Untersuchungsausschuss, und ich bin zuversichtlich, dass dort Licht ins Dunkel kommt, aber dass Wolfgang Schäuble, der viel durchgemacht hat in den letzten Wochen, auch darauf setzen kann, dass Dinge jetzt aufgeklärt werden, die ihn belasten.

    Nutz: Das heißt, man kann auf einem Parteitag über den Abschluss einer solchen Vergangenheit nicht abstimmen?

    Schavan: Nein, es wird ja nicht abgestimmt über einen Abschluss. Es ist gestern auch deutlich geworden, wenn wir zur Sache sollen, wenn wir den Blick nach vorne richten, wenn wir uns jetzt nicht mehr ständig mit der Vergangenheit beschäftigen heißt das nicht, dass wir ignorieren was war, heißt das nicht Schwamm drüber. Es braucht weiter die Arbeit derer, die jetzt an der Aufklärung sind, aber das Votum des Parteitages war klar: Blick nach vorne, Blick auf die Sache, Stabilisierung der politischen Führung, und übrigens auch von niemandem gestern keine Abrechnungen mit Personen, die für die Partei bedeutsam sind und für die deutsche Politik auch.

    Nutz: Annette Schavan, Kultusministerin von Baden-Württemberg, mit dem besten Ergebnis gestern zur Stellvertreterin von Angela Merkel gewählt, die CDU also mit neuer Führung. - Auf Wiederhören Frau Schavan!

    Link: Interview als RealAudio