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Bundespräsident in Hamburg
Gauck fordert mehr Chancengleichheit im Bildungsbereich

Bundespräsident Joachim Gauck hat für mehr Chancengleichheit im deutschen Bildungsbereich geworben. Das Ziel, dass alle Kinder gleiche Bildungschancen haben, sei praktisch schwer umzusetzen, sagte er. Wie es gelingen kann, machte er an Beispielen aus Berlin deutlich.

Von Axel Schröder | 06.11.2015
    Bundespräsident Joachim Gauck spricht am 06.11.2015 in Hamburg beim Bildungs-Tag der ZEIT-Stiftung
    "Jeder und jede verdient seine Chance. Egal, woher sie stammen", sagte Gauck in Hamburg. (pa/dpa/Charisius)
    Die Schule als Ort, an dem Chancen eröffnet werden - darüber sprach Bundespräsident Joachim Gauck heute in seiner Rede im Hamburger Kulturzentrum Kampnagel. Die Lehrerschaft leiste dabei schon heute großartige Arbeit, so Joachim Gauck und brachte immer wieder Beispiele aus dem Alltag an der Hedwig-Dohm-Schule im Berliner Bezirk Moabit, nicht weit entfernt von seinem Amtssitz, von Schloss Bellevue. Zum Beispiel die eines drogensüchtigen Schülers, der mit Hilfe seiner Lehrer, mit Hilfe der zuständigen Behörden von seiner Sucht loskam und am Ende doch noch sein Abitur machte. Aber nicht nur in diesen Fällen gelte es, Chancen zu eröffnen, zu wahren, sondern diese Möglichkeiten auch den Flüchtlingen in Deutschland zu bieten:
    "Vielleicht wird es sogar unausweichlich sein, unsere Gesellschaft und mit ihr unser Bildungssystem massiv zu verändern. Das gilt besonders heute, wo so viele Menschen Zuflucht suchen in unserem Land."
    Mehr denn je komme es darauf an, der Lehrerschaft die nötigen interkulturellen Kompetenzen zu vermitteln. Am Ende dürfe man sich nicht damit zufriedengeben, dass in Deutschland der Grundsatz der "gleichen Bildungschancen" gilt. Er müsse auch, so Joachim Gauck, mit Leben gefüllt werden.
    "Jeder und jede verdient seine Chance. Egal, woher sie stammen. Ob aus dem Inland oder aus dem Ausland. Das alles - ich weiß es wohl - bringt Aufwand, es bringt auch Mühe und erhebliche Kosten mit sich. Aber es ist der Anspruch, den eine Gesellschaft der Freien und Gleichen an sich selbst haben muss. Wir tun gut daran, uns diesem Anspruch zu stellen. In ihm zeigt sich, wer wir sind und wer wir sein wollen!"
    Wie diese "chancengerechte Bildung" konkret gefördert werden kann, zeigten nach Gaucks Rede vier Stiftungen im Kampnagel-Foyer. Ein Beispiel ist das "Studienkolleg" - ein Angebot der Stiftung der Deutschen Wirtschaft und der Robert-Bosch-Stiftung. Hier werden zur Zeit 350 Lehramts-Studierende gefördert, erklärt der Geschäftsführer der Stiftung Arndt Schnöring.
    "Wir möchten diese jungen Menschen mit Seminaren, mit Mentoren-Programmen, mit vielen Praxiseinblicken frühzeitig dafür sensibilisieren, dass Schule ganz viele Gestaltungsspielräume hat. Wir helfen ihnen natürlich auch dabei, gute Lehrerinnen und Lehrer zu werden, um dann später zum Bildungserfolg ihrer Schülerinnen und Schüler beizutragen. Aber es geht mehr noch um die Verantwortungsübernahme für das System Schule!"
    Für das Programm ausgewählt werden besonders begabte und gesellschaftlich engagierte Studentinnen und Studenten. Einer von ihnen ist der 24-jährige Konrad Schaller:
    "In der Uni lernen wir ganz viel in der Theorie wie gute Klassenführung funktionieren kann, wie man eine gute Lehrerpersönlichkeit ist. Aber das wird nicht umgesetzt, das hören wir in der Vorlesung. Und im Studienkolleg haben wir dann Seminare, wo wir das ganz konkret üben, wo wir uns ausprobieren können und uns vor allem gegenseitig Feedback geben."
    In den Seminaren geht es dann auch darum, wie lernschwache Schüler gefördert werden, wie Lehrer auf Mobbing oder die Macht der Stereotype in Schülerköpfen reagieren können. Nicht an die Lehrer- sondern an Schülerschaft richtet sich das Programm "Studienkompass" der Stiftung der Deutsche Wirtschaft. Gefördert werden Jugendliche aus nicht-akademischen Elternhäusern. Sie werden ab der Oberstufe von Mentoren betreut, besuchen Workshops, die ihnen die nötige Klarheit über mögliche Studiengänge und die Wege dorthin verschaffen, erklärt Arndt Schnöring:
    "Ein dreijähriges Programm, das größte seiner Art in Deutschland. Mit 1.500 Schülerinnen und Schülern, die inzwischen zu 95 Prozent ein Studium aufnehmen und nur fünf Prozent haben das Studium bislang abgebrochen. Und damit liegen wir weit über den Vergleichswerten, weil in Deutschland unter Kindern aus Familien, in denen noch niemand studiert hat, nur rund 23 Prozent ein Studium aufnehmen."
    Schule allein, so scheint es, bietet noch längst nicht überall die vom Bundespräsidenten geforderte Chancengleichheit. Bislang sind noch immer nicht-staatliche Förderprogramme nötig, um diesem Ziel zumindest näher zu kommen.