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Bundestag beschließt Reform der Juristenausbildung

Patrick Honecker: Bislang werden in Deutschland Juristen so ausgebildet, dass sie in erster Linie die Befähigung zum Richterberuf haben. Vor 200 Jahren - und so alt ist das Grundkonzept der Juristenausbildung - war das wohl auch die normale Karriere. Heute dagegen werden jedes Jahr tausende Volljuristen auf den Markt geworfen, die oft aus Mangel an Alternativen nur den Anwaltsberuf wählen können. Über 80 Prozent sind das inzwischen. Am Telefon Rainer Funke, FDP-Bundestagsabgeordneter, parlamentarischer Staatssekretär a.D. und nicht zuletzt Rechtsanwalt. Guten Tag, Herr Funke.

    Rainer Funke: Guten Tag, Herr Honecker.

    Honecker: Herr Funke, warum ist Ihres Erachtens aus der geplanten Reform nur ein Reförmchen geworden?

    Funke: Das liegt vor allem an den Ländern. Die Länder, insbesondere die Justizminister, aber auch die Finanzministerien, wollten offensichtlich keine echte Reform, weil natürlich jede Reform auch Geld kostet.

    Honecker: Die Referendarszeit ist ja jetzt stärker auf den Rechtsanwaltsberuf zugeschnitten, die entsprechende Praxisphase soll auf neun Monate fixiert werden - das ist länger als es vorher war. Warum reicht das Ihre Erachtens nicht aus?

    Funke: So einfach ist es, glaube ich, nicht. Wir haben jetzt neun Monate vorgesehen, aber mit der Möglichkeit, drei Monate außerhalb einer Anwaltspraxis tätig zu sein, beispielsweise bei Gewerkschaften, bei Industrieverbänden, bei sonstigen Verbänden, bei der Europäischen Kommission - also das, was wir früher als Wahlstationen bezeichnet haben. Insoweit ist keine stärkere Ausbildung für den Rechtsanwalt vorgesehen, denn das Ziel mit den neun Monaten kann man auch heute schon erreichen nach der alten Juristenausbildung.

    Honecker: Was hätten Sie denn geändert?

    Funke: Wir hätten zunächst mal beim ersten juristischen Staatsexamen einen höheren Anteil, wenn nicht gar einen hundertprozentigen Anteil der Prüfung durch die Universitäten vorgesehen. Jetzt haben wir gerade mit Müh und Not bei den Ländern 30 Prozent durchsetzen können. Das ist zwar ein erster Schritt, aber in meinen Augen fast noch zu wenig. Es wäre besser gewesen, wegen des Wettbewerbs der Universitäten untereinander, wenn hier die Prüfung nicht als Staatsexamen sondern als Universitätsexamen vorgenommen worden wäre und dann auch mit einem akademischen Grad, beispielsweise Bachelor oder ähnliches, so wie es zum Beispiel an der Privatuniversität in Hamburg, der Bucerius Law School, möglich ist.

    Honecker: Ist das Kernproblem nicht, dass einfach viel zu viele Juristen von den Hochschulen produziert werden?

    Funke: So lange wir eine freie Auswahl des Studiums haben und das möchte ich gerade als Liberaler natürlich erhalten wissen, muss jeder selber entscheiden, was er gerne studieren will. Und das wird auch der Markt entscheiden. Als ich mich 1959 entschied, die juristische Laufbahn einzuschlagen, da wurde schon, als ich Abitur gemacht habe, gewarnt, es gäbe zu viele Juristen. Und dann gab es doch immer wieder gute Möglichkeiten, in einen juristischen Beruf einzutreten.

    Honecker: Aber ich meine, 1959 ist mit 2002 insofern schlechter zu vergleichen, weil die Situation auf dem Arbeitsmarkt eine andere ist. Ich glaube, damals haben Sie als Volljurist doch bessere Chancen gehabt als heutzutage. Ich meine, viele werden ja auch aus Verzweiflung einfach Anwälte.

    Funke: Da haben Sie völlig recht. Was ich damit deutlich machen wollte: vor dem Ergreifen des Juristenberufs ist eigentlich immer schon gewarnt worden. Nun muss man auch sagen, dass die juristische Ausbildung eine der besten und umfassendsten Ausbildungen ist und dass man als Jurist eben auch viele andere Tätigkeiten wahrnehmen kann, die nicht unbedingt rein juristisch oder advokatorisch sind.

    Honecker: Glauben Sie denn, dass man an dieser Reform noch etwas nachbessern kann? Der Bundestag hat ja jetzt abgenickt und dass der Bundesrat noch irgendwas ändert, glaubt man ja nicht.

    Funke: Nein, das ist so ein gefundener Kompromiss auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Ich gehe davon aus, dass alleine der große Druck der Studierenden, die sie erwähnt haben, - wir haben pro Jahr etwa 10.000 nachrückende Juristen - dazu führt, dass wir in der nächsten Legislaturperiode, spätestens aber in der darauffolgenden, eine echte Juristenausbildungsneuordnung vornehmen müssen.