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Der schwierige Kampf gegen den Hass im Netz

Erschießen, vergasen, ertrinken lassen - der im Internet verbreitete Hass auf Menschen kennt derzeit kaum noch Grenzen. Viele Hörer und Internetnutzer haben uns gefragt, warum solche Äußerungen nicht verboten sind. Ähnliche Fragen kamen in den sozialen Medien. Die Deutschlandfunk-Nachrichtenredaktion hat bei der Politik nachgefragt.

26.08.2015
    Eine Minifigur eines Polizisten auf der Tastatur eines Rechners
    Die Strafverfolgungsbehörden sollen Hass-Kommentatoren im Netz genauer auf die Finger schauen. (picture-alliance / dpa / Jens Büttner)
    Wir haben den Rechtsexperten mehrerer Bundestagsparteien einige der schlimmen Ausfälle vorgelegt, die wir im Netz und in den sozialen Medien gefunden haben und gefragt, wie sie das einschätzen und was sie dagegen zu tun gedenken.
    Was im Internet geschrieben wird, sind ja zunächst nur Worte. Aber aus diesen Worten kann schnell Ernst werden: "Das Internet ist momentan, Facebook ist momentan ein Problem, das zu Eskalationen führt, die hinterher nicht mehr beherrschbar sind, weil der Verbalradikalismus, der hier anonym an den Tag gelegt werden kann, zu riesigen Problemen führt." Das sagte nicht irgendwer. Das sagte Peter Darmstadt, CDU-Chef in Freital bei Dresden, dem Magazin "Spiegel TV". Freital ist eine jener Gemeinden, in denen es zu massiven Protesten gegen Flüchtlinge gekommen ist.
    Die Gefahren im Netz sind durchaus real – beziehungsweise können es leicht werden. Jüngst wurde ein Berliner mit einem Strafbefehl von 4.800 Euro belegt. Und in Thüringen wurde erneut ein Mann von seinem Arbeitgeber entlassen, weil er im Internet gegen Flüchtlinge gehetzt hat. Gut so, findet der SPD-Bundestagsabgeordnete Dirk Wiese: "Wenn ein großer Autohersteller einen Auszubildenden aufgrund seiner rassistischen und menschenverachtenden Aussagen im Internet fristlos gekündigt hat, ist das genau der richtige Weg. Daran sollten sich auch andere Betriebe ein Beispiel nehmen."
    Mindeststrafmaß bei Volksverhetzung heraufsetzen
    Der Deutschlandfunk hatte zuletzt diverse Entgleisungen dokumentiert. Nicht nur viele unserer Hörer stellen sich inzwischen die Frage, wie die Bundespolitik damit künftig damit umgehen will. "Solche Äußerungen sind unerträglich und müssen strafrechtliche Konsequenzen haben", empört sich die Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Recht und Verbraucherschutz, Elisabeth Winkelmeier-Becker, gegenüber dem Deutschlandfunk: "Es ist schlimm, dass in diesen Foren - teilweise unter dem Deckmantel der Anonymität - jedes Gespür dafür verloren gegangen ist, wann die Grenzen des Rechts oder auch nur die Grenzen des Anstands überschritten sind." Die CDU-Politikerin plädiert für eine Anpassung des Strafmaßes beispielsweise bei Volksverhetzung gemäß Paragraf 130 des Strafgesetzbuchs: "Hier macht es nach meiner Meinung durchaus Sinn, in Absatz 2 das Mindestmaß der Strafe auf drei Monate – in Angleichung zu Absatz 1 - zu erhöhen, sodass die schriftliche Volksverhetzung via Facebook und anderen ebenso bestraft werden kann wie die mündliche."
    Auch in der SPD-Bundestagsfraktion denkt man über Strafrechtsverschärfungen nach. "Ich könnte mir eine Strafverschärfung vorstellen, wenn die Anonymität des Internets zielgerichtet ausgenutzt werden soll, um Straftaten zu begehen", erklärt deren rechtspolitischer Experte Dirk Wiese: "Für alles andere gilt: Bildung, Bildung, Bildung! Denn wenn man sich die Aussagen - viele mit unglaublich haarsträubenden Rechtschreibfehlern - im Internet ansieht, dann kann man sich vorstellen, dass dort meist jeglicher Bildungshintergrund fehlt."
    "Schärfere Strafgesetze bieten keine Lösung"
    Die Grünen, die für viele Anti-Asyl-Aktivisten im Internet ein Lieblingsfeind sind, sehen strengere Strafen hingegen kritisch: "Schärfere Strafgesetze und mehr staatliche Generalüberwachung bieten keine Lösung", betont die Parlamentarische Geschäftsführerin von Bündnis 90/Die Grünen, Katja Keul gegenüber dem Deutschlandfunk und führt aus: „Die Bekämpfung von Hassreden darf nicht zu einer Beschränkung der Grundrechte der gesamten Bevölkerung führen. Das Recht, sich anonym im Internet zu äußern, ohne gegen geltendes Recht zu verstoßen, sollte erhalten bleiben. Strafrecht und Datenschutz sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden."
    Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Katja Keul
    Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Katja Keul ( picture alliance / dpa / Carmen Jaspersen)
    Für Keul ist beim Thema Hassreden vor allem die Gesellschaft gefragt. Auch für andere Politiker. "Kritische und unangenehme Äußerungen fallen auch unter das Recht auf freie Meinungsäußerung", unterstreicht die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, die CSU-Politikerin Dorothee Bär: "Zunächst müssen wir uns klar und deutlich äußern, dass solcher Hass und eine derartige Unmenschlichkeit 'dieses Landes nicht würdig' sind, wie es die Bundeskanzlerin treffend formuliert hat."
    Rechtsabkommen mit den USA gefordert
    Ein Großteil der Hass-Postings ist ohnehin strafrechtlich nicht verfolgbar, weil Global Player wie Facebook oder Twitter allenfalls schleppend mit deutschen Behörden kooperieren. Ein weiterer Grund ist, dass die Urheber sich anonymisieren und sich daher gar nicht oder nur schwer identifizieren lassen. Aber auch hier muss die Politik sich irgendwann entscheiden, was sie will. Ob sich die Zivilgesellschaft darauf einstellen muss, die Hassreden zu erdulden beziehungsweise mit zivilgesellschaftlichen Mitteln selbst dagegen anzugehen. Oder ob die Politik sich um Mittel und Wege zur staatlichen Intervention bemüht, mit der sie sich eine gewisse Kontrolle über diese Entwicklungen im Netz sichert.
    Für Elisabeth Wiedemann-Becker steht fest, dass die Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungsbehörden "unseres Landes und zum Beispiel Facebook nicht nach den Regeln unserer deutschen Gesetze möglich ist". Optionen zur Verbesserung der Strafverfolgung deutscher Behörden sieht die CDU-Rechtspolitikerin ebenso wie ihr SPD-Kollege Wiese im Rahmen von internationalen Rechtsabkommen mit den USA, wo Facebook und Twitter ihren Hauptsitz haben.
    Vorratsdatenspeicherung soll helfen
    Wie Studien inzwischen belegen, sind seit einiger Zeit immer mehr Menschen bereit, aus der Anonymität herauszutreten. Für Dorothee Bär, die auch Vorsitzende des CSU-Netzrates ist, ist es viel erschreckender, "dass viele Menschen nicht einmal mehr soviel Schamgefühl empfinden, dass sie sich anonymisieren. Viele Userinnen und User posten mit ihren Klarnamen, so sehr sind sie von der Richtigkeit ihrer Ergüsse überzeugt."
    Aber auch die Verfolgung bekannter Personen stößt derzeit an Grenzen. Wiedemann-Becker tritt deshalb nicht nur dafür ein, Strafverfolgungsbehörden entsprechend den gewachsenen Anforderungen auf der Ebene der rechten und linken Propaganda personell ausreichend auszustatten. Die CDU-Rechtsexpertin verweist auf ein anderes heikles Thema: die Vorratsdatenspeicherung: "Bei der Fülle solcher im Internet begangener, verfolgbarer Taten, die in der Regel einer kurzen Verjährungsfrist nach den Pressegesetzen unterliegen, ist ein wesentliches Problem, dass nach dem derzeit hier geltenden Recht den Ermittlungsbehörden der Zugriff auf ältere Verbindungsdaten mangels der Vorratsdatenspeicherung nicht zu Verfügung steht." (tgs)