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Bundestags-Fahrdienst
Steuerzahler zahlen doppelt

Dem Fahrdienst des Bundestags droht die Pleite. Mit einem Schutzschirmverfahren soll die Betreiberfirma neuen finanziellen Spielraum bekommen. Im Klartext: Der Steuerzahler wird für den Fahrdienst der Abgeordneten doppelt zur Kasse gebeten - über die Bundestagsverwaltung und die Bundesagentur für Arbeit.

Von Mark Diening | 23.01.2014
    Gegenüber vom Bundeskanzleramt ragt grau-silbrig das Paul-Löbe-Haus in den Abendhimmel. Viele Abgeordnete haben hier ihre Büros. In Sitzungswochen stehen vor der Tür abends in beiden Fahrtrichtungen die Limousinen des Fahrdienstes des Deutschen Bundestages. Stoßstange an Stoßstange. Die Fahrer der Luxuskarossen warten darauf, dass die Parlamentarier sich durch die Glastüren schieben. Was dann geschieht, erinnert den SPD-Abgeordneten Steffen Lemme an das Gewusel an einem Kaufhauswühltisch im Schlussverkauf:
    "Man muss sich vorstellen, über 600 Abgeordnete verlassen gegen Abend, 22 Uhr, den Deutschen Bundestag - nach einer anstrengenden Sitzungswoche. Und das gibt dann ein regelrechtes Gerangel auch. Der Fahrdienst ist dann gefordert."
    Lemme beschäftigt sich seit 2009 intensiv mit dem Fahrdienst, der von einem externen Dienstleister betrieben wird: RocVin heißt die Firma, die neben dem Deutschen Bundestag noch andere Auftraggeber hat und nach eigenen Angaben etwa 180 Fahrer beschäftigt. Alle in Festanstellung, wie das Unternehmen betont. Trotzdem gab es in den vergangenen Jahren immer wieder Beschwerden der Fahrer über ihre Arbeitsbedingungen und die Bezahlung. So stieß auch Lemme auf das Thema. Nun aber steht ganz anderes Ungemach ins hohe Haus: RocVin droht die Insolvenz, wie die Pressestelle der Bundestagsverwaltung im Herbst schriftlich bestätigte. Zitat:
    "Die Bundestagsverwaltung wurde im November 2013 vom Geschäftsführer des Fahrdienstleisters informiert, dass auf Antrag des Unternehmens das 'Schutzschirmverfahren' nach der Insolvenzordnung eröffnet worden sei. Ziel des Verfahrens sei die Fortführung des Unternehmens. Zugleich wurde mitgeteilt, dass der Geschäftsbetrieb des Unternehmens in vollem Umfang aufrechterhalten werde."
    Agentur für Arbeit zahlt Löhne und Gehälter
    Das genannte Schutzschirmverfahren ist ein Sonderfall im Insolvenzrecht. Es dient dazu, die drohende Pleite einer Firma möglichst abzuwenden, indem für längstens drei Monate statt des Unternehmens die Bundesagentur für Arbeit die Löhne und Gehälter zahlt. So soll auch RocVin finanzielle Spielräume bekommen, um sich zu konsolidieren. Steffen Lemme empört das gewaltig:
    "Der oberste Souverän gibt im Grunde einer Firma den Auftrag, den Fahrdienst zu organisieren; mit einer gewissen Summe natürlich auch. Und es scheint das Geschäftsmodell nicht aufzugehen. Denn die müssen dann über eine Hintertür zur Bundesagentur für Arbeit, um sich weitere Steuergelder abzuholen, um Löhne und Gehälter zu zahlen. Da kann doch was nicht stimmen."
    Im Klartext: Der Steuerzahler wird für den Fahrdienst der Abgeordneten doppelt zur Kasse gebeten: über die Bundestagsverwaltung und die Bundesagentur für Arbeit. In der Verwaltung des Deutschen Bundestages stört sich daran offenbar niemand. Fast trotzig erklärt die Pressestelle in einer schriftlichen Stellungnahme:
    "Die Firma kommt ihren vertraglichen Verpflichtungen nach."
    Ob das stimmt, ist allerdings fraglich: Denn der Fahrdienst, der den 631 Abgeordneten in Berlin rund um die Uhr kostenlos zur Verfügung steht, soll möglichst CO2-arm geleistet werden. So sieht es der Vertrag vor, den die Bundestagsverwaltung im vergangenen Sommer mit RocVin bis 2017 verlängert hat. Den Parlamentariern wurde erläutert, dass dies nur mit bestimmten Fahrzeugen möglich sei, erinnert sich der Sozialdemokrat Lemme:
    "Mit Beginn der neuen Legislatur habe ich mich etwas gewundert, da die Ausschreibungskriterien darauf hinauslaufen, Mercedes Benz hier im Deutschen Bundestag zu fahren, dass die Flotte aus ganz anderen Fahrzeugen besteht: BMW, Audi, … Obwohl die Kriterien der Ausschreibung ja auch bestimmte CO2-Werte vorsehen, die eigentlich nur mit Mercedes Benz zu erreichen waren. Das hat mich schon verwundert."
    Die Bundestagsverwaltung geht der Frage nun nach, ob RocVin die in der Ausschreibung festgelegten CO2-Grenzwerte überhaupt noch einhält. Eines aber scheint schon sicher: Das bisherige Geschäftsmodell der Firma ist gescheitert. Bisher kaufte das Unternehmen - offenbar mit Behördenrabatt - Mercedes-Fahrzeuge ein und verkaufte diese später über eine Tochterfirma weiter. Mit dem Gewinn wurde jahrelang der Fahrdienst subventioniert. Das Honorar des Bundestages allein reichte wohl nicht aus. Über dessen Höhe schweigen die Vertragspartner. Auch zum bisherigen Geschäftsmodell äußert sich RocVin nicht. Das Unternehmen teilt lediglich schriftlich mit:
    "Das Unternehmen erfüllt in vollem Umfang alle Leistungen, die sich aus dem Vertrag mit dem Deutschen Bundestag ergeben. Alle Löhne und Gehälter werden in voller Höhe ausbezahlt."
    Anhaltende Ertragsschwäche
    Nur eben nicht von RocVin, sondern von der Bundesagentur für Arbeit. Und zwar, so wird spekuliert, weil sich angeblich der Stuttgarter Autobauer aus dem Geschäft mit RocVin zurückgezogen habe. Fest steht, dass ein Wirtschaftsprüfer aus Kiel bereits im Februar vergangenen Jahres - also mehrere Monate VOR der Vertragsverlängerung mit dem Bundestag - RocVin bescheinigt hat, dass…
    "… deren Fortbestand aufgrund der anhaltenden Ertragsschwäche stark gefährdet ist."
    Die Bundestagsverwaltung scheint davon nichts gewusst zu haben. Das Schutzschirmverfahren endet nun spätestens Anfang Februar. Steffen Lemme sieht dem Ausgang skeptisch entgegen:
    "Ich hege da große Zweifel. Mir erschließt sich nicht, wie man ein Unternehmen wieder in eine wirtschaftlich vernünftige Zone hineinbekommen will, wenn das Geschäftsmodell, an dem man ja festgehalten hat und was wohl auch mal funktionierte, jetzt eben nicht mehr funktioniert."
    Für den Fall, dass RocVin tatsächlich Pleite geht, kann sich der SPD-Abgeordnete sogar vorstellen, den Fahrdienst nicht mehr extern zu vergeben. Sondern – so wie es früher einmal war – von der Bundestagsverwaltung selbst zu organisieren. Aber das ist eine andere Geschichte.