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Bundestagsdebatte
Uneinigkeit über Reform zu Arbeitsverhältnissen in der Wissenschaft

An Hochschulen in Deutschland sind circa 90 Prozent der Beschäftigten in befristeten Verträgen angestellt. Mit der Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes soll sich das und die Chancen für den wissenschaftlichen Nachwuchs bessern. Heute wurde die Reform im Bundestag debattiert. Die Opposition kritisierte das Gesetz als zu kurz gegriffen und bezeichnete es als windelweich.

Von Christiane Habermalz | 05.11.2015
    800.000 Beschäftigte arbeiten im Hochschulwesen, davon 90 Prozent mit befristeten Verträgen. Viele junge Wissenschaftler hangeln sich über Jahre von Zeitvertrag zu Zeitvertrag. Das ist Missbrauch, findet auch Bundesbildungsministerin Johanna Wanka. Mit ihrer Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes will sie extreme Auswüchse des Befristungswesens im Wissenschaftsbetrieb künftig verhindern.
    "Es ist eine eindeutige Fehlentwicklung, wenn wir sehen, dass über 50 Prozent aller jungen Wissenschaftler, die einen befristeten Vertrag haben, ihren ersten befristeten Vertrag mit einer Laufzeit von unter einem Jahr abschließen. Dafür gibt es überhaupt keine Gründe."
    Extrem kurze Laufzeiten sollen künftig nur noch in Ausnahmefällen möglich sein, etwa, wenn eine angefangene Doktorarbeit beendet werden soll. "In der Regel", so die Novelle, sollen sie sich aber an der Dauer der angestrebten Qualifizierung orientieren - im Normalfall sind das für eine Promotion drei Jahre. Bei Projekten mit Drittmittelfinanzierung sollen die Forscher wenigsten so lange einen Vertrag bekommen, wie Geld bewilligt ist. Und auch familienfreundlicher sollen die Verträge gestaltet werden. Vor allem will die Koalition aber unterbinden, dass auch nicht-wissenschaftliches Personal wie Laboranten oder Bibliothekare befristet angestellt werden. Dies sei nicht im Sinne des ursprünglichen Gesetzes gewesen, so Wanka.
    "Wenn diese unbefristeten Daueraufgaben über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz in den letzten Jahren realisiert wurden, und damit eine ganz große Unsicherheit für die Betreffenden, die sich von Vertrag zu Vertrag hangeln, obwohl sie eine wichtige Daueraufgabe erfüllen."
    Opposition: Gesetz sei windelweich
    Das sei ein überfälliger Schritt, erklärte die Opposition. Darüber hinaus aber greife das Gesetz viel zu kurz und sei windelweich. Kritisiert wurde vor allem, dass keine Mindestvertragslaufzeit von 24 Monaten vorgegeben sei. Auch bei der Beratung im Bundesrat war dies gefordert worden. Dass jetzt überhaupt etwas geschehe, sei das Verdienst der Gewerkschaften und der Linken gewesen, die über Jahre immer wieder auf die schlechten Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft hingewiesen hätten, erklärte Nicole Gohlke, bildungspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag. Die von den Hochschulen immer wieder ins Feld geführte notwendige Flexibilität im Wissenschaftssystem wies sie zurück.
    "Gute Arbeitsbedingungen, ein sicherer Arbeitsplatz und verlässliche Karrierewege sind Voraussetzungen für gutes wissenschaftliches Arbeiten. Und ich sage Ihnen, wenn Spitzenforschung nur möglich sein soll, wenn die Mehrheit der Beschäftigten zu schlechten Bedingungen arbeitet, dann pfeife ich auf die Spitze, weil das ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft wäre."
    Der grüne Bildungspolitiker Kai Gehring bezeichnete Wankas Vorlage als wirkungslose "Schmalspurnovelle".
    "Zwei lange Jahre und vier davor nichts für den wissenschaftlichen Nachwuchs bewegt, außer immer wieder zu betonen, bald tun wir etwas für euch. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellen nun fest: Das Warten hat sich nicht gelohnt."
    Wanka will flexible Lösungen für Hochschulen ermöglichen
    Wanka dagegen erteilte Mindestvertragslaufzeiten eine Absage. Zu starre Vorgaben wären für die Hochschulen eine Katastrophe, man müsse flexible Lösungen weiter ermöglichen. Und sie verteidigte die grundsätzliche Notwendigkeit von Zeitverträgen in der Wissenschaft. Diese lebe von der Fluktuation und Offenheit.
    "Weil wir sind nicht nur verantwortlich für die, die jetzt im System sind, die jetzt fertig sind mit Master und Bachelor und promovieren, sondern wir müssen auch die Chancen der Generation danach offen halten. Und deswegen kann das System nicht einfach aufgefüllt werden."
    Union und SPD verwiesen darauf, dass die Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes nur ein Baustein einer Gesamtstrategie zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sei. Um Karrierewege planbarer zu machen, müssten in einem zweiten Schritt auch zusätzliche Stellen geschaffen werden - durch ein Bund-Länder-Programm, das ab 2016 mit einer Milliarde Euro vom Bund auf den Weg gebracht werden soll. Ob aber, wie die Union verlangt, mit dem Geld nur zusätzliche Tenure-Track-Professuren oder auch der Mittelbau gefördert werden soll, darüber wird koalitionsintern noch gestritten.