Der Regierungswechsel 1998 war – auch nach Analyse der CDU/CSU – mitbestimmt vom Wunsch großer Teile der Bevölkerung nach einer neuen Gesundheitspolitik. Sie sollte die Bürger finanziell weniger belasten. Denn die CDU/FDP-Regierung hatte in erheblichem Umfang Leistungen ausgegrenzt und Selbstbeteiligung angehoben – ohne übrigens im Gegenzug die Krankenkassenbeiträge stabil halten zu können. Verantwortlicher Bundesgesundheitsminister war damals Horst Seehofer, der dem Kompetenzteam von Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber angehört.
Wenn nicht alles täuscht, dann wird die Gesundheitspolitik bei der Bundestagswahl am 22. September erneut über das Wahlergebnis mitentscheiden. Das hängt auch damit zusammen, dass die Parteien auf diesem Gebiet für jeden Wähler erkennbar unterschiedliche Konzepte anbieten. Zur Teilprivatisierung des Gesundheitswesens bekennt sich als einzige im Bundestag vertretene Partei ausdrücklich nur die FDP. Ihr Vorsitzender Guido Westerwelle:
Meine These ist: Das, was bei der Rente notwendig ist, nämlich der Ausbau der privaten Zusatzversorgung, der wird auch dramatisch in der Erkenntnis steigen als Aufgabe für den Gesundheitssektor.
Wenn von gesundheitspolitischer Richtungsentscheidung die Rede ist, dann sind folgende Reformvorschläge gemeint: Grund- und Wahlleistungen, wie sie die FDP will; die freiwillige Ab- und Zuwahl von Leistungen, wie sie die CDU/CSU will, sowie Selbstbehalte und Beitragsrückgewähr, wie sie Union und Liberale vorschlagen. Das alles lehnen SPD, Bündnisgrüne und PDS entschieden ab. Sie sprechen von Entsolidarisierung der GKV, der Gesetzlichen Krankenversicherung.
Bisher gilt ein einheitlicher Leistungskatalog für alle GKV-Kassen und damit auch für alle Versicherten. Unter dem Motto "mehr Wahlfreiheit" will die CDU/CSU es jedem Versicherten ermöglichen, sich sozusagen einen maßgeschneiderten Krankheitsschutz zusammenzustellen – und zwar aus einer Hand bei seiner gesetzlichen Krankenkasse. Horst Seehofer nennt Beispiele:
Warum soll es einem Menschen nicht möglich sein zu sagen, ich möchte einen geringeren Beitrag, verpflichte mich aber zur regelmäßigen Vorsorge. Was spricht dagegen, den Leuten einzuräumen, ich möchte einen höheren Beitrag, aber ich möchte Naturheilmittel, umstrittene Medizinverfahren, alternative Medizinverfahren?
Dagegen argumentieren SPD, Grüne und PDS: Nur wer jung und/oder gesund ist, kann Leistungen abwählen, sich für Selbstbehalte und Beitragsrückzahlung bei nicht Inanspruchnahme von Leistungen entscheiden und so viel Geld sparen. Die Folge: Im Gegenzug müssten die Beiträge insgesamt angehoben werden. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) weist auf weitere Probleme hin:
Soll man Rehabilitation abwählen? Was ist dann, wenn jemand schwer krank ist und er braucht die Rehabilitation? Ich glaube, wir kommen nicht umhin zu sagen, dass jeder Versicherte Anspruch hat auf die medizinisch notwendige anerkannte Behandlung, die wirtschaftlich zu erbringen ist. Alles andere führt dazu, dass letztendlich der Steuerzahler immer dann aufkommen muss, wenn der Entsprechende eine bestimmte Leistung benötigt, aber sie nicht versichert hat. Das ist wirklich raus aus der Tasche, rein in die andere Tasche. Das bringt nix.
Dann nämlich müsste die Sozialhilfe einspringen. Das gilt auch für den Fall, dass Selbstbehalte gewählt werden – also der Versicherte sich beispielsweise entschließt, die ersten 1.000 Euro Krankheitskosten pro Jahr selbst zu zahlen und im Gegenzug einen geringeren Beitrag zu leisten. Wenn derselbe Versicherte arbeitslos wird und den Selbstbehalt nicht mehr aufbringen kann, müsste die Sozialhilfe einspringen.
Ulla Schmidt rechnet vor, dass freiwillige Wahlleistungen, Selbstbehalte und Beitragsrückgewähr der GKV mindestens fünf Milliarden Euro an Einnahmen entziehen würden. Nehme man die von der Union geplante Abschaffung der Sozialabgaben für geringfügige Beschäftigung und die ebenfalls geforderte Aufstockung der Zahl der Klinikärzte hinzu, müsste der Beitragssatz um knapp einen Prozentpunkt auf dann 15 Prozent erhöht werden. Seehofer sieht die Problematik und präsentiert deshalb einen Stufenplan:
Damit der Mensch jetzt freiwillig nicht entscheidet, ich wähle als junger Mensch die Krankenversicherung ab und mit 40 wähle ich sie wieder zu, müssen sie dafür Leitplanken und einen Zeithorizont aufstellen. Der Zeithorizont muss versicherungsmathematisch so gewählt werden, dass die Entlastung aus Selbstbehalten und Selbstbeteiligung zusammen trifft finanziell mit dem Beitragsausfall durch geringeren Beitrag. Und deshalb wird man diesen Punkt über mehrere Jahre verteilen müssen.
Das allerdings wäre ein Nullsummenspiel. Denn Seehofer stellt sich vor, dass der Beitragsnachlass nur in kleinen Stufen über mehrere Jahre verteilt gewährt wird. Am Ende wären Selbstbehalt, Beitragsrückgewähr und Leistungsverzicht in Euro und Cent genau so hoch wie der niedrigere Beitragssatz. Konsequenterweise will er die Möglichkeit, durch Wahltarife den Beitragssatz zu senken, auf rund zwei Beitragssatzpunkte beschränken:
Unter keinen Umständen wird es eine Gefährdung des solidarischen Charakters der GKV geben. Das so Abwahlmöglichkeiten über 5 Prozentpunkte und damit keine Solidarität mehr finanziert werden kann, das wird´s nicht geben.
Die FDP ist da viel rigoroser. Sie will die generelle Aufteilung in Grund- und Wahlleistungen. Nur noch die Grundleistungen werden solidarisch – dann mit einem deutlich niedrigeren – Beitragssatz finanziert. Wer einen besseren Gesundheitsschutz haben will, muss sich zusätzlich versichern. Zugleich greift die FDP einen alten Vorschlag von Seehofer auf und fordert das Einfrieren des Arbeitgeberbeitrags zur GKV. Künftige Beitragserhöhungen müssten dann die Versicherten alleine tragen.
SPD, Grüne und PDS sind sich einig in der Ablehnung solcher Modelle. Sie sind auch gegen eine Ausweitung der Selbstbeteiligung, wie sie vor allem die FDP verlangt. Die CDU/CSU ist ebenfalls strikt gegen eine zwangsweise Aufteilung in Grund- und Wahlleistungen.
Da es für Grund- und Wahlleistungen – und damit für eine rigorose Kürzung des solidarisch finanzierten Leistungskatalogs – offenbar keine politische Mehrheit in Deutschland gibt, muss das Gesundheitswesen anders stabilisiert werden. Alle Studien zeigen: Für die rund 260 Milliarden Euro, die das Gesundheitswesen in Deutschland insgesamt kostet, sind die Ergebnisse – gemessen am Gesundheitszustand und der Lebenserwartung - im internationalen Vergleich bestenfalls mittelmäßig.
Bessere medizinische Qualität bringt mehr Gesundheit und damit Kosteneinsparungen, glauben SPD und Grüne. Sie stellen deshalb Qualitätsverbesserungen in den Mittelpunkt ihrer Gesundheitspolitik - etwa durch medizinische Behandlungsleitlinien auf dem neuesten Stand der Wissenschaft.
Ein Beispiel dafür sind Disease-Management-Programme, in die sich chronisch Kranke einschreiben können. Sie sind für Diabetes und Brustkrebs seit dem 1. Juli in Kraft und sollen gleichzeitig die medizinische Versorgung der Chroniker verbessern und den Versorgerkassen mit einem hohen Anteil an chronisch Kranken finanziell unter die Arme greifen. Denn die durchschnittlichen Kosten werden gemeinsam von allen Kassen über den Risikostrukturausgleich getragen.
Einsparungen dürften sich daraus erst mittelfristig ergeben, wenn sich durch intensivere Betreuung der Gesundheitszustand stabilisiert und Folgeerkrankungen zurück gehen. Die C-Parteien wollen die Chronikerprogramme im Falle eines Wahlsieges neu formieren. Horst Seehofer kündigte an,...
...dass wir die sogenannten Disease-Management-Programme anders gestalten; nämlich diesen unwürdigen Bezug zum Risikostrukturausgleich wegnehmen. Es kann nicht sein, dass für die Behandlung von Patienten maßgeblich ist, dass eine Kasse dann mehr Geld bekommt. Denn das führt zu dem ganz normalen menschlichen Verhalten, dass ich möglichst viele Leute in dem Programm drin haben möchte, aber die Aufwendungen für diese Programme so niedrig wie möglich halte – und das ist nicht gut.
Damit dürfte Seehofer genau das umgekehrte Problem schaffen, das es vor den Chronikerprogrammen gab: Da haben alle Kassen chronisch Kranke weitgehend vernachlässigt, weil sie hohe Ausgaben erfordern. Gute und teure Behandlung hätte sich herumgesprochen. Chroniker wären in solche Kassen gewechselt, die dann ihre Beiträge drastisch hätten anheben müssen. Chronikerprogramme ohne finanzielle Förderung sind daher nicht machbar. Alternative Finanzierungsvorschläge macht Seehofer aber nicht.
Krankenhäuser sind seit jeher ein zentrales Thema der Gesundheitspolitik. Sie verschlingen rund ein Drittel aller GKV-Ausgaben. Deutschland ist Weltmeister mit 6,5 Betten pro 1.000 Einwohner. Und nur in der Schweiz liegen die Patienten durchschnittlich länger in den Kliniken als bei uns.
Ein Grund dafür ist zweifellos die Krankenhausfinanzierung, die noch weitgehend über Tagessätze erfolgt. Je länger der Patient bleibt und je weniger Betreuung er erfordert, umso mehr verdient die Klinik.
Das soll sich ändern. Ab 2003 können und ab 2004 müssen die Krankenhäuser nur noch nach Fallpauschalen abrechnen, die derzeit erarbeitet werden. Das sind feste Pauschalen für jedes der rund 800 üblichen Krankheitsbilder. Dabei orientiert man sich an den australischen Fallpauschalen.
Ziel ist, durch die Fallpauschalen unwirtschaftliche und qualitative schlechte Kliniken und Krankenhausabteilungen auszugrenzen. Experten rechnen damit, dass deshalb bis zu einem Drittel der Kliniken und Krankenhausbetten mittelfristig vom Markt genommen und sich auch die Verweilzeiten der Patienten deutlich reduzieren werden. Das könnte zig Milliarden Euro sparen. Ohne Fallpauschalen, so glauben die meisten Experten, drohen die Kliniken zum Kostentreiber Nummer eins zu werden. Auch bei den Fallpauschalen will Seehofer eingreifen – wie, sagt er nicht:
Zur Sofortmaßnahme gehört beispielsweise, dass wir die Krankenhausfall-pauschalen novellieren. Die können nicht so bleiben wie sie sind.
Eine solche Novellierung dürfte allerdings die Einführung von Fallpauschalen zeitlich verzögern. Schon jetzt klagen Krankenhäuser und Klinikärzte über den hohen Zeitdruck bei der Festlegung und Umsetzung dieser Pauschalen. Umsetzungsprobleme gibt es auch bei der Begrenzung der Arzneimittelausgaben. Sie legten im vorigen Jahr zweistellig zu, nachdem man die Budgets abgeschafft hatte.
Trotz zahlreicher gesetzlicher Sparversuche und Vereinbarungen zwischen Kassen und Ärzten über eine Reduzierung der Medikamentenverordnungen um fünf Prozent in diesem Jahr wachsen die Ausgaben immer noch überproportional - in den ersten fünf Monaten um 4,6 Prozent. Auch die Aut-Idem-Regelung, wonach Apotheker wirkstoffgleiche günstige Medikamente abgeben müssen, oder der Reimport im Ausland preisgünstigerer Arzneien zeigen noch keine Wirkung. Der FDP-Gesundheitsexperte Dieter Thomae machte Ulla Schmidt deshalb folgende Prognose:
Sie werden im Aut-Idem-Verfahren Schiffbruch erleiden. Und ich sage Ihnen voraus, Sie werden auch das Thema Reimporte wieder streichen, weil das nicht funktioniert, wie Sie dies geplant haben. Und so sind Ihre Einsparungen, wovon sie träumen, völlig dahin.
Aber die Ministerin gibt sich noch nicht geschlagen. Jetzt hat sie den sogenannten Me-Too-Präparaten den Kampf angesagt – auch in diesem Fall unter Qualitätsgesichtspunkten:
Wo wir ansetzen müssen ist, dass viel zu viel teure Arzneimittel verschrieben wurden, obwohl sie keinen erhöhten therapeutischen Nutzen haben gegenüber anderen Medikamenten, die sich bereits auf dem Markt befinden.
Ein Institut soll künftig entscheiden, welche neuentwickelten Präparate wirklich den Patienten besser helfen und deshalb von den Kassen bezahlt werden – und natürlich auch, welche durchs Rost fallen. Die Pharmaindustrie reagiert mit Empörung – ebenso CDU/CSU und FDP. Sie sehen Gefahren für die Behandlungsfreiheit der Ärzte und sprechen von Listen- und Staatsmedizin. Allerdings fehlen bisher von allen Oppositionsparteien Vorschläge, wie die Medikamentenausgaben als derzeitiger Kostentreiber Nummer eins in Schach gehalten werden können.
Langfristig plagen Experten und Parteien aber ganz andere Probleme. Zahlreiche Gutachten über die Entwicklung der GKV-Ausgaben bis zum Jahr 2040 ergeben Beitragssätze zwischen 24 und weit über 30 Prozent – eine politisch nicht hinnehmbare Entwicklung.
Hinzu kommen noch versicherungsfremde familienpolitische Leistungen wie Mutterschafts- und Sterbegeld in Höhe von knapp vier Milliarden Euro pro Jahr. Ulla Schmidt will das stufenweise über die Steuer finanzieren, wie das bereits bei der Rente der Fall ist.
Nur die PDS fordert die Steuerfinanzierung. Die anderen Parteien drücken sich in ihren Wahlprogrammen um eine Festlegung in dieser sicher teuren Frage.
Genauso wird das Problem der kostentreibenden Überkapazitäten in allen Wahlprogrammen ausgeklammert. Es gibt nicht nur zu viele Krankenhausbetten und sündhaft teure Großgeräte, sondern auch zu viele Ärzte und Zahnärzte in Deutschland. Als eine der wenigen Länder der Welt leistet sich Deutschland zudem zwei Facharztebenen: niedergelassene Fachärzte und Klinikärzte.
Schließlich ist unsere Medizin einseitig auf das Heilen und Lindern von Beschwerden und Krankheiten, nicht aber auf deren Vermeidung ausgerichtet. Prävention – also Vorsorge – ist unterentwickelt. Sie ist aber das wichtigste Mittel zur Vermeidung der drohenden Beitragsexplosion. Deshalb haben auch alle Parteien den Ausbau der Prävention in den Mittelpunkt ihrer gesundheitspolitischen Wahlprogramme gestellt. Was die Ministerin dazu sagt, teilt auch die Opposition, nämlich...,:
... dass wir Prävention zum Leitbild der Gesundheitspolitik machen wollen – und Prävention eben auch die entscheidende Antwort ist auf eine älter werdende Gesellschaft, wo es darauf ankommt, dass die Menschen solange wie möglich gesund sind und auch so fit wie möglich alt werden.
Damit scheint klar: Die wichtigste Strategie zur Eindämmung der demografie-bedingten Kosten- und Beitragssatzsteigerungen wird kommen – egal, wer die Bundestagswahl gewinnt. Noch ist der Inhalt der Präventionsstrategie aber recht vage. Nur der Parteivorsitzende von Bündnis90/Die Grünen, Fritz Kuhn, wird etwas konkreter:
Fragen der Ernährung, Fragen des Sports, Fragen der Arbeitswelt, Fragen des Umgangs mit Drogen stehen im Kernpunkt der politischen Maßnahmen, wenn man die Prävention stärken will.
Ulla Schmidt hat dieser Tage ein Präventionsforum eingerichtet:
Das Deutsche Forum wird mit dafür sorgen, dass es so etwas wie nationale Präventionsprogramme gibt und dass man auch sich darüber Gedanken macht, wie denn die Finanzierung möglich ist.
Noch ist völlig unklar, wer das bezahlen soll. Anfangs nämlich kostet Vorsorge Geld – erst nach 10 bis 15 Jahren zahlt sie sich durch sinkende Gesundheitskosten aus. Prävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb müsste sie aus dem allgemeinen Steuertopf und nicht aus Beitragsmitteln finanziert werden. Aber das ist angesichts der öffentlichen Sparhaushalte politisch kaum durchsetzbar.
Ulla Schmidt denkt deshalb daran, die Industrie anzuzapfen: Etwa die Zigaretten- oder Alkoholhersteller. Die anderen Parteien machen sich öffentlich keine Gedanken darüber, wie sie Prävention bezahlen wollen - im Gegenteil. Wer Vorsorge betreibt, soll belohnt werden, verspricht Seehofer für die CDU/CSU:
Wer regelmäßig an Vorsorgeuntersuchungen teilnimmt, hat entweder einen geringeren Beitrag oder eine geringere Selbstbeteiligung. Das müssen sie in Stufen einführen.
Geringere Zuzahlungen für Teilnahme an der Vorsorge schlägt auch die SPD vor. Ob man mit solchen Bonussystemen die Deutschen zur Prävention bewegen kann, ist aber höchst zweifelhaft.
Neben der Prävention gibt es parteipolitische Übereinstimmung in weiteren gesundheitspolitischen Feldern. So wollen fast alle Parteien die Hausärzte als erste Anlaufstelle stärken, ohne allerdings die freie Arztwahl einzuschränken. Die strikte Trennung von stationärer und ambulanter Versorgung soll durch integrierte Versorgung überwunden werden.
Damit es keinen Streit um die Aufteilung der Honorare gibt, will die SPD dafür die Honorierung der Ärzte reformieren. Fachärzte sollen wie Kliniken Fallpauschalen pro Krankheitsfall erhalten, Hausärzte sollen pro Patient bezahlt werden. Die FDP will dagegen zurückkehren zu festen Preisen für jede Leistung von Ärzten und Kliniken, sagt aber nicht, wie dann integrierte Versorgung organisiert werden kann. Eine weitere Erkenntnis hat sich parteiübergreifend durchgesetzt: Budgets, also finanzielle Obergrenzen für die Leistungsbereiche, sollen künftig entfallen.
Bei allem gesundheitspolitischen Streit ist man sich zudem einig, die Transparenz des Systems zu erhöhen und die Patientenrechte weiter zu stärken. Dazu gehören auch Informationen über die Qualifikationen und Erfolge einzelner Ärzte, Kliniken und Krankenhausabteilungen. Kostentransparenz soll gestärkt werden.
Die künftige Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherungen GKV bleibt dagegen ein großes Streitthema. Die SPD will die Versicherungspflichtgrenze erhöhen. Das bedeutet: Mehr Besserverdienende als bisher, die den Höchstbeitrag zahlen (der nicht angehoben werden soll), sollen länger in der GKV bleiben.
Diesen Weg lehnen Union und FDP ab, obwohl Seehofer auf die Gefahren der massiven Flucht in die Privatversicherung aufmerksam macht:
Wir brauchen dringendst die gut verdienenden Jungen in der GKV, die im Moment die GKV verlassen. Wenn alle freiwillig Versicherten die GKV verlassen würden, dann müssten wir den Beitrag um drei Prozentpunkte anheben.
Noch weiter als die SPD gehen die Grünen, die eine Volksversicherung anpeilen. Grünen-Chef Fritz Kuhn:
Die Einbeziehung von Selbstständigen und Beamten in die GKV ist ein Thema, an dem man sich nicht vorbeimogeln sollte, wenn man ordnungspolitisch streng denkt.
Und ebenso wie die PDS wollen die Grünen zumindest den Arbeitgeberbeitrag neu gestalten und ihn nach der Wertschöpfung statt nach der Lohnsumme berechnen. Dies hätte den Vorteil, dass personalintensive Betriebe von Sozialabgaben entlastet würden. Die PDS will zudem - ebenso wie der DGB - die Beitragsbemessungsgrenze anheben, was höhere Beiträge nur für Besserverdienende zur Folge hätte.
Das lehnt eine große Koalition aus Union, SPD und FDP ab. Sie alle aber haben keine überzeugenden Rezepte zur Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherungen. Mit entwaffnender Ehrlichkeit meint denn auch der Unions-Ministerkandidat Horst Seehofer:
Das A und O ist, ob es gelingt, die wirtschaftliche Dynamik auszulösen. Die Zukunft der Sozialsysteme in den ersten Monaten unserer Regierungstätigkeit wird in aller erster Line im Wirtschaftsministerium entschieden.
Wenn nicht alles täuscht, dann wird die Gesundheitspolitik bei der Bundestagswahl am 22. September erneut über das Wahlergebnis mitentscheiden. Das hängt auch damit zusammen, dass die Parteien auf diesem Gebiet für jeden Wähler erkennbar unterschiedliche Konzepte anbieten. Zur Teilprivatisierung des Gesundheitswesens bekennt sich als einzige im Bundestag vertretene Partei ausdrücklich nur die FDP. Ihr Vorsitzender Guido Westerwelle:
Meine These ist: Das, was bei der Rente notwendig ist, nämlich der Ausbau der privaten Zusatzversorgung, der wird auch dramatisch in der Erkenntnis steigen als Aufgabe für den Gesundheitssektor.
Wenn von gesundheitspolitischer Richtungsentscheidung die Rede ist, dann sind folgende Reformvorschläge gemeint: Grund- und Wahlleistungen, wie sie die FDP will; die freiwillige Ab- und Zuwahl von Leistungen, wie sie die CDU/CSU will, sowie Selbstbehalte und Beitragsrückgewähr, wie sie Union und Liberale vorschlagen. Das alles lehnen SPD, Bündnisgrüne und PDS entschieden ab. Sie sprechen von Entsolidarisierung der GKV, der Gesetzlichen Krankenversicherung.
Bisher gilt ein einheitlicher Leistungskatalog für alle GKV-Kassen und damit auch für alle Versicherten. Unter dem Motto "mehr Wahlfreiheit" will die CDU/CSU es jedem Versicherten ermöglichen, sich sozusagen einen maßgeschneiderten Krankheitsschutz zusammenzustellen – und zwar aus einer Hand bei seiner gesetzlichen Krankenkasse. Horst Seehofer nennt Beispiele:
Warum soll es einem Menschen nicht möglich sein zu sagen, ich möchte einen geringeren Beitrag, verpflichte mich aber zur regelmäßigen Vorsorge. Was spricht dagegen, den Leuten einzuräumen, ich möchte einen höheren Beitrag, aber ich möchte Naturheilmittel, umstrittene Medizinverfahren, alternative Medizinverfahren?
Dagegen argumentieren SPD, Grüne und PDS: Nur wer jung und/oder gesund ist, kann Leistungen abwählen, sich für Selbstbehalte und Beitragsrückzahlung bei nicht Inanspruchnahme von Leistungen entscheiden und so viel Geld sparen. Die Folge: Im Gegenzug müssten die Beiträge insgesamt angehoben werden. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) weist auf weitere Probleme hin:
Soll man Rehabilitation abwählen? Was ist dann, wenn jemand schwer krank ist und er braucht die Rehabilitation? Ich glaube, wir kommen nicht umhin zu sagen, dass jeder Versicherte Anspruch hat auf die medizinisch notwendige anerkannte Behandlung, die wirtschaftlich zu erbringen ist. Alles andere führt dazu, dass letztendlich der Steuerzahler immer dann aufkommen muss, wenn der Entsprechende eine bestimmte Leistung benötigt, aber sie nicht versichert hat. Das ist wirklich raus aus der Tasche, rein in die andere Tasche. Das bringt nix.
Dann nämlich müsste die Sozialhilfe einspringen. Das gilt auch für den Fall, dass Selbstbehalte gewählt werden – also der Versicherte sich beispielsweise entschließt, die ersten 1.000 Euro Krankheitskosten pro Jahr selbst zu zahlen und im Gegenzug einen geringeren Beitrag zu leisten. Wenn derselbe Versicherte arbeitslos wird und den Selbstbehalt nicht mehr aufbringen kann, müsste die Sozialhilfe einspringen.
Ulla Schmidt rechnet vor, dass freiwillige Wahlleistungen, Selbstbehalte und Beitragsrückgewähr der GKV mindestens fünf Milliarden Euro an Einnahmen entziehen würden. Nehme man die von der Union geplante Abschaffung der Sozialabgaben für geringfügige Beschäftigung und die ebenfalls geforderte Aufstockung der Zahl der Klinikärzte hinzu, müsste der Beitragssatz um knapp einen Prozentpunkt auf dann 15 Prozent erhöht werden. Seehofer sieht die Problematik und präsentiert deshalb einen Stufenplan:
Damit der Mensch jetzt freiwillig nicht entscheidet, ich wähle als junger Mensch die Krankenversicherung ab und mit 40 wähle ich sie wieder zu, müssen sie dafür Leitplanken und einen Zeithorizont aufstellen. Der Zeithorizont muss versicherungsmathematisch so gewählt werden, dass die Entlastung aus Selbstbehalten und Selbstbeteiligung zusammen trifft finanziell mit dem Beitragsausfall durch geringeren Beitrag. Und deshalb wird man diesen Punkt über mehrere Jahre verteilen müssen.
Das allerdings wäre ein Nullsummenspiel. Denn Seehofer stellt sich vor, dass der Beitragsnachlass nur in kleinen Stufen über mehrere Jahre verteilt gewährt wird. Am Ende wären Selbstbehalt, Beitragsrückgewähr und Leistungsverzicht in Euro und Cent genau so hoch wie der niedrigere Beitragssatz. Konsequenterweise will er die Möglichkeit, durch Wahltarife den Beitragssatz zu senken, auf rund zwei Beitragssatzpunkte beschränken:
Unter keinen Umständen wird es eine Gefährdung des solidarischen Charakters der GKV geben. Das so Abwahlmöglichkeiten über 5 Prozentpunkte und damit keine Solidarität mehr finanziert werden kann, das wird´s nicht geben.
Die FDP ist da viel rigoroser. Sie will die generelle Aufteilung in Grund- und Wahlleistungen. Nur noch die Grundleistungen werden solidarisch – dann mit einem deutlich niedrigeren – Beitragssatz finanziert. Wer einen besseren Gesundheitsschutz haben will, muss sich zusätzlich versichern. Zugleich greift die FDP einen alten Vorschlag von Seehofer auf und fordert das Einfrieren des Arbeitgeberbeitrags zur GKV. Künftige Beitragserhöhungen müssten dann die Versicherten alleine tragen.
SPD, Grüne und PDS sind sich einig in der Ablehnung solcher Modelle. Sie sind auch gegen eine Ausweitung der Selbstbeteiligung, wie sie vor allem die FDP verlangt. Die CDU/CSU ist ebenfalls strikt gegen eine zwangsweise Aufteilung in Grund- und Wahlleistungen.
Da es für Grund- und Wahlleistungen – und damit für eine rigorose Kürzung des solidarisch finanzierten Leistungskatalogs – offenbar keine politische Mehrheit in Deutschland gibt, muss das Gesundheitswesen anders stabilisiert werden. Alle Studien zeigen: Für die rund 260 Milliarden Euro, die das Gesundheitswesen in Deutschland insgesamt kostet, sind die Ergebnisse – gemessen am Gesundheitszustand und der Lebenserwartung - im internationalen Vergleich bestenfalls mittelmäßig.
Bessere medizinische Qualität bringt mehr Gesundheit und damit Kosteneinsparungen, glauben SPD und Grüne. Sie stellen deshalb Qualitätsverbesserungen in den Mittelpunkt ihrer Gesundheitspolitik - etwa durch medizinische Behandlungsleitlinien auf dem neuesten Stand der Wissenschaft.
Ein Beispiel dafür sind Disease-Management-Programme, in die sich chronisch Kranke einschreiben können. Sie sind für Diabetes und Brustkrebs seit dem 1. Juli in Kraft und sollen gleichzeitig die medizinische Versorgung der Chroniker verbessern und den Versorgerkassen mit einem hohen Anteil an chronisch Kranken finanziell unter die Arme greifen. Denn die durchschnittlichen Kosten werden gemeinsam von allen Kassen über den Risikostrukturausgleich getragen.
Einsparungen dürften sich daraus erst mittelfristig ergeben, wenn sich durch intensivere Betreuung der Gesundheitszustand stabilisiert und Folgeerkrankungen zurück gehen. Die C-Parteien wollen die Chronikerprogramme im Falle eines Wahlsieges neu formieren. Horst Seehofer kündigte an,...
...dass wir die sogenannten Disease-Management-Programme anders gestalten; nämlich diesen unwürdigen Bezug zum Risikostrukturausgleich wegnehmen. Es kann nicht sein, dass für die Behandlung von Patienten maßgeblich ist, dass eine Kasse dann mehr Geld bekommt. Denn das führt zu dem ganz normalen menschlichen Verhalten, dass ich möglichst viele Leute in dem Programm drin haben möchte, aber die Aufwendungen für diese Programme so niedrig wie möglich halte – und das ist nicht gut.
Damit dürfte Seehofer genau das umgekehrte Problem schaffen, das es vor den Chronikerprogrammen gab: Da haben alle Kassen chronisch Kranke weitgehend vernachlässigt, weil sie hohe Ausgaben erfordern. Gute und teure Behandlung hätte sich herumgesprochen. Chroniker wären in solche Kassen gewechselt, die dann ihre Beiträge drastisch hätten anheben müssen. Chronikerprogramme ohne finanzielle Förderung sind daher nicht machbar. Alternative Finanzierungsvorschläge macht Seehofer aber nicht.
Krankenhäuser sind seit jeher ein zentrales Thema der Gesundheitspolitik. Sie verschlingen rund ein Drittel aller GKV-Ausgaben. Deutschland ist Weltmeister mit 6,5 Betten pro 1.000 Einwohner. Und nur in der Schweiz liegen die Patienten durchschnittlich länger in den Kliniken als bei uns.
Ein Grund dafür ist zweifellos die Krankenhausfinanzierung, die noch weitgehend über Tagessätze erfolgt. Je länger der Patient bleibt und je weniger Betreuung er erfordert, umso mehr verdient die Klinik.
Das soll sich ändern. Ab 2003 können und ab 2004 müssen die Krankenhäuser nur noch nach Fallpauschalen abrechnen, die derzeit erarbeitet werden. Das sind feste Pauschalen für jedes der rund 800 üblichen Krankheitsbilder. Dabei orientiert man sich an den australischen Fallpauschalen.
Ziel ist, durch die Fallpauschalen unwirtschaftliche und qualitative schlechte Kliniken und Krankenhausabteilungen auszugrenzen. Experten rechnen damit, dass deshalb bis zu einem Drittel der Kliniken und Krankenhausbetten mittelfristig vom Markt genommen und sich auch die Verweilzeiten der Patienten deutlich reduzieren werden. Das könnte zig Milliarden Euro sparen. Ohne Fallpauschalen, so glauben die meisten Experten, drohen die Kliniken zum Kostentreiber Nummer eins zu werden. Auch bei den Fallpauschalen will Seehofer eingreifen – wie, sagt er nicht:
Zur Sofortmaßnahme gehört beispielsweise, dass wir die Krankenhausfall-pauschalen novellieren. Die können nicht so bleiben wie sie sind.
Eine solche Novellierung dürfte allerdings die Einführung von Fallpauschalen zeitlich verzögern. Schon jetzt klagen Krankenhäuser und Klinikärzte über den hohen Zeitdruck bei der Festlegung und Umsetzung dieser Pauschalen. Umsetzungsprobleme gibt es auch bei der Begrenzung der Arzneimittelausgaben. Sie legten im vorigen Jahr zweistellig zu, nachdem man die Budgets abgeschafft hatte.
Trotz zahlreicher gesetzlicher Sparversuche und Vereinbarungen zwischen Kassen und Ärzten über eine Reduzierung der Medikamentenverordnungen um fünf Prozent in diesem Jahr wachsen die Ausgaben immer noch überproportional - in den ersten fünf Monaten um 4,6 Prozent. Auch die Aut-Idem-Regelung, wonach Apotheker wirkstoffgleiche günstige Medikamente abgeben müssen, oder der Reimport im Ausland preisgünstigerer Arzneien zeigen noch keine Wirkung. Der FDP-Gesundheitsexperte Dieter Thomae machte Ulla Schmidt deshalb folgende Prognose:
Sie werden im Aut-Idem-Verfahren Schiffbruch erleiden. Und ich sage Ihnen voraus, Sie werden auch das Thema Reimporte wieder streichen, weil das nicht funktioniert, wie Sie dies geplant haben. Und so sind Ihre Einsparungen, wovon sie träumen, völlig dahin.
Aber die Ministerin gibt sich noch nicht geschlagen. Jetzt hat sie den sogenannten Me-Too-Präparaten den Kampf angesagt – auch in diesem Fall unter Qualitätsgesichtspunkten:
Wo wir ansetzen müssen ist, dass viel zu viel teure Arzneimittel verschrieben wurden, obwohl sie keinen erhöhten therapeutischen Nutzen haben gegenüber anderen Medikamenten, die sich bereits auf dem Markt befinden.
Ein Institut soll künftig entscheiden, welche neuentwickelten Präparate wirklich den Patienten besser helfen und deshalb von den Kassen bezahlt werden – und natürlich auch, welche durchs Rost fallen. Die Pharmaindustrie reagiert mit Empörung – ebenso CDU/CSU und FDP. Sie sehen Gefahren für die Behandlungsfreiheit der Ärzte und sprechen von Listen- und Staatsmedizin. Allerdings fehlen bisher von allen Oppositionsparteien Vorschläge, wie die Medikamentenausgaben als derzeitiger Kostentreiber Nummer eins in Schach gehalten werden können.
Langfristig plagen Experten und Parteien aber ganz andere Probleme. Zahlreiche Gutachten über die Entwicklung der GKV-Ausgaben bis zum Jahr 2040 ergeben Beitragssätze zwischen 24 und weit über 30 Prozent – eine politisch nicht hinnehmbare Entwicklung.
Hinzu kommen noch versicherungsfremde familienpolitische Leistungen wie Mutterschafts- und Sterbegeld in Höhe von knapp vier Milliarden Euro pro Jahr. Ulla Schmidt will das stufenweise über die Steuer finanzieren, wie das bereits bei der Rente der Fall ist.
Nur die PDS fordert die Steuerfinanzierung. Die anderen Parteien drücken sich in ihren Wahlprogrammen um eine Festlegung in dieser sicher teuren Frage.
Genauso wird das Problem der kostentreibenden Überkapazitäten in allen Wahlprogrammen ausgeklammert. Es gibt nicht nur zu viele Krankenhausbetten und sündhaft teure Großgeräte, sondern auch zu viele Ärzte und Zahnärzte in Deutschland. Als eine der wenigen Länder der Welt leistet sich Deutschland zudem zwei Facharztebenen: niedergelassene Fachärzte und Klinikärzte.
Schließlich ist unsere Medizin einseitig auf das Heilen und Lindern von Beschwerden und Krankheiten, nicht aber auf deren Vermeidung ausgerichtet. Prävention – also Vorsorge – ist unterentwickelt. Sie ist aber das wichtigste Mittel zur Vermeidung der drohenden Beitragsexplosion. Deshalb haben auch alle Parteien den Ausbau der Prävention in den Mittelpunkt ihrer gesundheitspolitischen Wahlprogramme gestellt. Was die Ministerin dazu sagt, teilt auch die Opposition, nämlich...,:
... dass wir Prävention zum Leitbild der Gesundheitspolitik machen wollen – und Prävention eben auch die entscheidende Antwort ist auf eine älter werdende Gesellschaft, wo es darauf ankommt, dass die Menschen solange wie möglich gesund sind und auch so fit wie möglich alt werden.
Damit scheint klar: Die wichtigste Strategie zur Eindämmung der demografie-bedingten Kosten- und Beitragssatzsteigerungen wird kommen – egal, wer die Bundestagswahl gewinnt. Noch ist der Inhalt der Präventionsstrategie aber recht vage. Nur der Parteivorsitzende von Bündnis90/Die Grünen, Fritz Kuhn, wird etwas konkreter:
Fragen der Ernährung, Fragen des Sports, Fragen der Arbeitswelt, Fragen des Umgangs mit Drogen stehen im Kernpunkt der politischen Maßnahmen, wenn man die Prävention stärken will.
Ulla Schmidt hat dieser Tage ein Präventionsforum eingerichtet:
Das Deutsche Forum wird mit dafür sorgen, dass es so etwas wie nationale Präventionsprogramme gibt und dass man auch sich darüber Gedanken macht, wie denn die Finanzierung möglich ist.
Noch ist völlig unklar, wer das bezahlen soll. Anfangs nämlich kostet Vorsorge Geld – erst nach 10 bis 15 Jahren zahlt sie sich durch sinkende Gesundheitskosten aus. Prävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb müsste sie aus dem allgemeinen Steuertopf und nicht aus Beitragsmitteln finanziert werden. Aber das ist angesichts der öffentlichen Sparhaushalte politisch kaum durchsetzbar.
Ulla Schmidt denkt deshalb daran, die Industrie anzuzapfen: Etwa die Zigaretten- oder Alkoholhersteller. Die anderen Parteien machen sich öffentlich keine Gedanken darüber, wie sie Prävention bezahlen wollen - im Gegenteil. Wer Vorsorge betreibt, soll belohnt werden, verspricht Seehofer für die CDU/CSU:
Wer regelmäßig an Vorsorgeuntersuchungen teilnimmt, hat entweder einen geringeren Beitrag oder eine geringere Selbstbeteiligung. Das müssen sie in Stufen einführen.
Geringere Zuzahlungen für Teilnahme an der Vorsorge schlägt auch die SPD vor. Ob man mit solchen Bonussystemen die Deutschen zur Prävention bewegen kann, ist aber höchst zweifelhaft.
Neben der Prävention gibt es parteipolitische Übereinstimmung in weiteren gesundheitspolitischen Feldern. So wollen fast alle Parteien die Hausärzte als erste Anlaufstelle stärken, ohne allerdings die freie Arztwahl einzuschränken. Die strikte Trennung von stationärer und ambulanter Versorgung soll durch integrierte Versorgung überwunden werden.
Damit es keinen Streit um die Aufteilung der Honorare gibt, will die SPD dafür die Honorierung der Ärzte reformieren. Fachärzte sollen wie Kliniken Fallpauschalen pro Krankheitsfall erhalten, Hausärzte sollen pro Patient bezahlt werden. Die FDP will dagegen zurückkehren zu festen Preisen für jede Leistung von Ärzten und Kliniken, sagt aber nicht, wie dann integrierte Versorgung organisiert werden kann. Eine weitere Erkenntnis hat sich parteiübergreifend durchgesetzt: Budgets, also finanzielle Obergrenzen für die Leistungsbereiche, sollen künftig entfallen.
Bei allem gesundheitspolitischen Streit ist man sich zudem einig, die Transparenz des Systems zu erhöhen und die Patientenrechte weiter zu stärken. Dazu gehören auch Informationen über die Qualifikationen und Erfolge einzelner Ärzte, Kliniken und Krankenhausabteilungen. Kostentransparenz soll gestärkt werden.
Die künftige Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherungen GKV bleibt dagegen ein großes Streitthema. Die SPD will die Versicherungspflichtgrenze erhöhen. Das bedeutet: Mehr Besserverdienende als bisher, die den Höchstbeitrag zahlen (der nicht angehoben werden soll), sollen länger in der GKV bleiben.
Diesen Weg lehnen Union und FDP ab, obwohl Seehofer auf die Gefahren der massiven Flucht in die Privatversicherung aufmerksam macht:
Wir brauchen dringendst die gut verdienenden Jungen in der GKV, die im Moment die GKV verlassen. Wenn alle freiwillig Versicherten die GKV verlassen würden, dann müssten wir den Beitrag um drei Prozentpunkte anheben.
Noch weiter als die SPD gehen die Grünen, die eine Volksversicherung anpeilen. Grünen-Chef Fritz Kuhn:
Die Einbeziehung von Selbstständigen und Beamten in die GKV ist ein Thema, an dem man sich nicht vorbeimogeln sollte, wenn man ordnungspolitisch streng denkt.
Und ebenso wie die PDS wollen die Grünen zumindest den Arbeitgeberbeitrag neu gestalten und ihn nach der Wertschöpfung statt nach der Lohnsumme berechnen. Dies hätte den Vorteil, dass personalintensive Betriebe von Sozialabgaben entlastet würden. Die PDS will zudem - ebenso wie der DGB - die Beitragsbemessungsgrenze anheben, was höhere Beiträge nur für Besserverdienende zur Folge hätte.
Das lehnt eine große Koalition aus Union, SPD und FDP ab. Sie alle aber haben keine überzeugenden Rezepte zur Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherungen. Mit entwaffnender Ehrlichkeit meint denn auch der Unions-Ministerkandidat Horst Seehofer:
Das A und O ist, ob es gelingt, die wirtschaftliche Dynamik auszulösen. Die Zukunft der Sozialsysteme in den ersten Monaten unserer Regierungstätigkeit wird in aller erster Line im Wirtschaftsministerium entschieden.