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Bundesumweltminister: Klimaschutz kein Argument für mehr Atomenergie-Nutzung

Mit Blick auf den Klimaschutz soll die Atomenergie auch in Deutschland wieder salonfähig gemacht werden. Dass dabei viel strahlender Abfall anfällt, der über Generationen hinweg sicher gelagert werden muss, gerät jedoch oft aus dem Blick. Noch hat die Atomindustrie nicht den gewünschten Rückenwind, auch nicht beim amtierende Bundesumweltminister Sigmar Gabriel. Seiner Ansicht nach zeigt die Industrie immer noch zu wenig Engagement im Umweltschutz.

Von Michael Engel |
    George W. Bush, der heute nach Deutschland kommt, wirft seine Schatten voraus. Die jüngsten Einlassungen des US-Präsidenten, die Atomenergie kräftig zu fördern, um auf diese Weise die CO2-Emissionen für den Klimaschutz zu senken, stoßen beim Bundesumweltminister auf heftige Kritik. Sigmar Gabriel gestern Abend in Salzgitter:

    " Also, die gute Nachricht ist erst mal, dass der amerikanische Präsident das Thema Klimaschutz und Umweltschutz entdeckt hat, das war ja bisher eher unterentwickelt. Aber natürlich finde ich, dass er uns auf einen gefährlichen Pfad lockt. Er stellt uns vor die Alternative, entweder sozusagen Zerstörung der Atmosphäre durch CO2 oder Gefährdung der Menschen durch Radioaktivität. Ich finde, das ist eine Alternative zwischen Pest und Cholera. Unsere Auffassung ist, dass wir eigentlich gesund werden wollen und nicht zwischen zwei Krankheiten wählen."

    Bis heute ist die Entsorgung radioaktiver Brennstoffe nicht gelöst. Trotz massiver Forschung auf diesem Gebiet seit Jahrzehnten. Für Sigmar Gabriel ist dies ein Grund dafür, die Atomwirtschaft mit spitzen Fingern anzufassen. Alternativen, so der Minister, eröffnen dagegen ein ganzes Bündel verschiedenster Optionen: Da sind die erneuerbaren Energien - allen voran Windkraft, Solar und Biomasse - die massiv gefördert werden sollen. Aber auch Kohlekraftwerke stehen auf dem Plan: Mit CO2-sparender Wärme-Kraft-Kopplung, die sich als Exportschlager erweisen könnte - insbesondere für Länder mit riesigen Kohlevorkommen wie China. Indes: Die Industrie zeigt nach Ansicht des Bundesumweltministers immer noch zu wenig Engagement.

    " Die Autoindustrie hält zur Zeit nicht ihre Selbstverpflichtungen nicht ein. Wenn sie das bis 2008 nicht schafft, dann wird die Europäische Union und wird auch Deutschland Konsequenzen ziehen müssen. Selbstverpflichtungen sind nur solange gut, solange sie man auch einhält, also zur Senkung von Spritverbrauch und CO2. Die deutsche Wirtschaft hält sie übrigens auch nicht ein im Bereich der Kraft-Wärme-Koppelung, auch da werden wir also als Staat handeln müssen. Und hier haben wir auch eine echte Chance, Jobs zu schaffen. In erneuerbaren Energien sind 170.000 Arbeitsplätze entstanden in kurzer Zeit. Die ganze Kernenergie hat nur 30.000 Leute. Also von daher: Wir haben eine Chance, Gewinner im Klima zu sein, aber auch bei der Schaffung neuer und zukunftssicherer Arbeitsplätze."

    Noch immer verschleudern viele Elektrogeräte wertvolle Energie. Gabriel nennt als abschreckendes Beispiel Fernseher der neuesten Generation, die mittlerweile nicht einmal mehr ausgeschaltet werden können, sondern nur noch im stromfressenden "Stand-by-Modus" laufen. Nötig wäre das genaue Gegenteil: Höhere Energieeffizienz. Japan setzt mit seinen Standards nachahmenswerte Signale:

    " Ja, ich glaube, dass das wirklich ein gutes Beispiel ist. In Japan kommt ein Gerät auf den Markt, das am effizientesten Energie verbraucht, und alle anderen Geräte müssen in einem bestimmten Zeitraum diesen Standard erreichen, sonst fliegen sie vom Markt. Das ist ein Wettbewerb um den besten Standard. Bei uns bestimmt oft der Langsamste das Geschäft. Und ich finde, da können wir von den Japanern eine Menge lernen, und das müssen wir in Deutschland und Europa ähnlich regulieren."

    Rund 90 Energieexperten kamen zum "1. Salzgitter-Energie-Gespräch": Vertreter aus der kommunalen Verwaltung, aus Forschungseinrichtungen, mittelständischen Unternehmen und der Industrie. Die politischen Weichenstellungen, hin zu erneuerbaren Energien, weg von der Atomkraft, stießen auf breite Zustimmung. Bis auf einen jungen Wissenschaftler von der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft, der die extrem kurzen Laufzeiten von Anstellungsverträgen beklagte: Forscher, die erneuerbare Energie-Technologien entwickeln, verlassen Deutschland mittlerweile in Scharen. Und das, so seine Kritik, sei nicht gerade gut für unsere Zukunft.