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Bundesverband freie darstellende Künste
"Um die sozialen Sicherungssysteme kümmern"

Eine Empfehlung für eine Honorar-Untergrenze sprach der Bundesverband "freie darstellende Künste" auf seinem Kongress aus. Die neu gewählte Vorstandsvorsitzende Janina Benduski sagte im Deutschlandfunk, das sei ein erster Schritt in Richtung besserer Sozialabsicherung von Künstlern - um spätere Altersarmut zu verhindern.

Janina Benduski im Gespräch mit Dina Netz | 17.10.2015
    Dina Netz: Der Bundesverband freier Theater e.V. heißt künftig Bundesverband freie darstellende Künste e.V. Das klingt erst mal nicht besonders aufregend, aber es geht ja nicht nur um einen neuen Namen, sondern daran merkt man, es tut sich was in der freien Szene. Dinge verändern sich bei ihr und bei ihrer Selbstwahrnehmung. Und das soll sich nun auch im Namen spiegeln. Der Bundesverband hat gerade zwei Tage lang in Hamburg einen Fachkongress abgehalten unter dem Titel "Vielfalt gestalten, frei und fair arbeiten." Bei diesem Kongress mit ungefähr 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurde auch ein neuer Vorstand gewählt.
    - Neue Vorstandsvorsitzende ist Janina Benduski und ich habe sie gefragt: Warum künftig freie darstellende Künste statt Theater?
    Janina Benduski: Das entspricht einfach der Entwicklung in der Szene in den letzten Jahren, dass sich die Leute ... Zum einen arbeiten immer mehr Künstlerinnen und Künstler interdisziplinär. Das heißt, die arbeiten eh, sind in verschiedenen Genres zuhause, wechseln auch mal die Genres, arbeiten in anderen Kunstformen. Es gibt Genres auch innerhalb der darstellenden Künste, ich weiß nicht: das Puppenspiel, das Figurentheater, die Science Pacific Installation, künstlerische Intervention, der starke Tanz. Das sind alles Akteure, die eigentlich zusammenarbeiten, aber sehr auch ein heterogenes Feld an Künsten abbilden. Und da finden wir, dass es auch Zeit wird, das im Namen abzubilden, einfach diese Entwicklung, die da de facto schon passiert ist.
    Netz: Der Kongress diente ja nicht nur dazu, sich untereinander auszutauschen, sondern Sie hatten so einige ehrgeizige Vorhaben. Zum Beispiel wollten Sie sich auf künstlerische Standards einigen. Wie geht denn so was überhaupt bei etwas Heterogenem wie der freien Szene?
    Benduski: Ich glaube, auf künstlerische Standards einigen wollten wir uns in dem Sinne nicht, weil es ist ja nicht die Aufgabe, die Ästhetik der Mitglieder zu bewerten. Gerade weil die so heterogen sind, kann man da ja keine einheitlichen ästhetischen Richtlinien oder Vorgaben machen. Was wir machen wollten ist: Wir wollten uns die sozialen Standards, die sozusagen Rahmenbedingungen fürs künstlerische Arbeiten anschauen und sagen, wie das in freien Strukturen einfach anders geregelt werden kann und sollte.
    Netz: Und was ist dabei herausgekommen? Sie haben ja zum Beispiel auch die konkrete politische Forderung aufgestellt, dass es eine Empfehlung für eine Honorar-Untergrenze bei künstlerischen Produktionen geben soll. Wie genau soll das aussehen?
    Benduski: Jetzt muss man erst mal sagen, dass diese Empfehlung für die Honorar-Untergrenzen auf Bundesebene wirklich schon an sich großartig ist, dass das stattgefunden hat, weil sich erstmals alle 16 Landesverbände zusammengeschlossen haben und gesagt haben, okay, das ist was, was wir wirklich fordern, das finden wir richtig. Und das erhält dadurch natürlich eine andere politische Relevanz. Es ist ein großes Thema, das Thema soziale Sicherung in den freien darstellenden Künsten. Das ist kein Thema, was jetzt mit dieser Empfehlung gelöst ist. Das ist was, das beschäftigt uns noch eine ganze Weile. Wir haben hier auch im Kongress den klaren Handlungsauftrag von den Mitgliedern und von den Teilnehmern erhalten, dass wir uns noch mal anders um die sozialen Sicherungssysteme für freie Künstlerinnen und Künstler kümmern sollen und auch wollen. Da geht es auch nicht mal nur um die darstellenden, da geht es auch um die bildenden Künste, da geht es um alle freien Künstlerinnen und Künstler in Deutschland. Und die Empfehlung zur Honorar-Untergrenze in öffentlicher Förderung ist so ein erster Schritt dahin.
    Netz: Wie genau sieht die denn aus? Wie genau stellen Sie sich das vor?
    Benduski: Das sieht einfach so aus, wenn ein freies Projekt in Deutschland öffentlich gefördert wird, dass da durchaus darauf geachtet wird, dass wir das sogenannte Besserstellungsverbot einhalten, dass wir niemanden besser bezahlen als jemand im öffentlichen Dienst, dass ich aber bei den freien Honoraren machen kann, was ich möchte als gefördertes Projekt. Ich kann letztendlich einen Assistenten, einen Performer, eine Bühnenbildnerin oder so so schlecht verhandeln im Honorar, dass die Menschen im Zweifelsfall davon gar nicht mehr leben können. Und die Honorar-Untergrenze soll in geförderten Projekten ermöglichen, dass die Menschen von ihren Aufträgen auch leben können in der Zeit und eine Honorar-Untergrenze eingehalten wird, so wie es in anderen Berufsgruppen Tarifvereinbarungen oder Ähnliches gibt.
    Netz: Richtet sich diese Honorar-Untergrenze dann an die künstlerischen Projektleiter, die die dann einhalten müssen. Oder richtet sich die an die, die die Fördermittel vergeben, in der Regel ja Land oder Kommunen?
    Benduski: Es richtet sich an beide Seiten. Es richtet sich sowohl an die Fördermittelgeber, die das in ihren Förderbedingungen beachten sollen und die - ganz wichtig - genügend Geld dafür bereitstellen können, dass diese Projekte trotzdem stattfinden können. Und es richtet sich dann natürlich auch an die Projektdurchführenden, das innerhalb der Projekte zu beachten. Aber zurzeit handelt es sich um eine Empfehlung für eine Honorar-Untergrenze, also noch um gar keine verbindliche Norm oder so, wo es auch erst mal darum geht, ein Bewusstsein für diesen Zustand herzustellen.
    Netz: Na ja. Dass die Honorare in der freien Szene meist auf Selbstausbeutung hinauslaufen, ist auch außerhalb der Szene ja ein offenes Geheimnis. Aber lassen Sie uns vielleicht doch noch mal über was anderes als Geld reden. Welche Themen wurden außerdem besprochen bei Ihrem Kongress? Ich habe zum Beispiel eine weitere Arbeitsthese in Ihrem Programm gefunden, die mir aufgefallen ist. Die hieß: "Die Zukunft des Theaters liegt in der Provinz." Wieso liegt sie denn dort?
    Benduski: Sie liegt wahrscheinlich auch dort, und das hat einfach damit zu tun, dass es in Deutschland ... Ein weiterer großer Themenkomplex war wirklich die Entwicklung der Theater- oder auch der Kulturlandschaft in Deutschland. Und da sieht man einfach, dass sich in bestimmten Regionen Deutschlands als Ballungsgebiete oder als Metropolen eine völlig andere Form von Kulturangebiet entwickeln als auf dem Land. Ich würde nicht die Provinz nennen, aber ich würde sagen, da geht es um Regionen, da geht es um regionale Anbindung. Und gerade Theater und die performativen Künste haben für bestimmte Regionen einfach eine enorme Identitätswirkung und werden auch von lokalen Akteuren immer mehr als so etwas erkannt. Da suchen dann auch Gemeinden und Kommunen nach Künstlern, die kommen und dort Theater machen, um da wieder eine regionale Identität herzustellen. Um da wieder einen Gemeinschaftskern auch von dörflichen Gemeinschaften herzustellen. Und das ist eine Kernaufgabe von Theater, die dort einfach weiterhin erfüllt wird.
    Netz: Wenn ich das richtig verstanden habe, wollen Sie heute Abend noch Handlungsempfehlungen aussprechen, die dann vermutlich an die Politik gehen, nehme ich an. Was ist denn da zu erwarten?
    Benduski: Da ist zu erwarten, dass die Politik aufgefordert wird, ihrer Verantwortung nachzukommen und einfach für die freien, selbstständig arbeitenden Künstlerinnen und Künstler in Deutschland soziale Sicherheitssysteme zu entwickeln, die Altersarmut verhindern und da ein vernünftiges Arbeitsleben ermöglichen. Da ist für uns zu erwarten, dass wir uns auf stärkere Bündnisse einlassen sollen. Wir wollen Verbündete suchen, wir wollen Kontakt aufnehmen zu den Verbänden der anderen Kunstsparten, zu den anderen Organisationsformen von freien Künsten und sehen, dass wir da auf ein breiteres gesellschaftliches Bündnis zurückgreifen können. Und wir haben eine große Menge an Arbeitsaufträgen aus den Gruppen und aus den Veranstaltungen heraus gesammelt, die wir wahrscheinlich in nächster Zeit so schnell gar nicht alle erfüllen können, aber die einfach deutlich machen, was für ein enormer Handlungsbedarf in diesem Feld besteht. Zum Beispiel: Ich nenne jetzt mal eine ganze Kleinigkeit. Es ging um den Beirat der Kulturstiftung des Bundes, in dem der Bühnenverein seit jeher seinen Sitz hat und in dem die freien darstellenden Künste nicht vertreten sind. Das sind so Dinge, das ist Gremienarbeit, aber wo es auch darum geht, einfach zu sagen, ja, wir sind da eigentlich auch mit dabei, warum nicht.
    Netz: Die freien Theater machen ungefähr 50 Prozent der künstlerischen Produktionen in Deutschland aus, muss man an der Stelle vielleicht noch mal sagen.
    Benduski: Das ist übrigens schön. Das hatte ich mir schlimmer vorgestellt, dass man viel öfter erklären muss, doch ja, es gibt freie darstellende Künste. Und doch ja, die haben eine Bedeutung. Und das war hier beeindruckend, dass doch inzwischen die Vertreter von Kulturverwaltung oder von Wissenschaft oder so zumindest die Dimension und die Relevanz eigentlich nicht mehr bezweifeln. Dass es 50 Prozent sind, dass das eine Bedeutung hat, wird inzwischen voll und ganz anerkannt. Es ist nur immer noch das Problem, unter welchen Bedingungen diese 50 Prozent stattfinden.
    Netz: Die neue Vorstandsvorsitzende des Verbands, der künftig Bundesverband freie darstellende Künste heißt, Janina Benduski, über die Anliegen der Szene.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.