Bundespräsident Joachim Gauck besucht im August des vergangenen Jahres 400 Oberstufenschüler eines Schulzentrums in Berlin-Kreuzberg und diskutiert mit ihnen über ausländerfeindliche Proteste gegen ein Asylbewerberheim im Berliner Stadtteil Hellersdorf. Er sagt: "Wir brauchen Bürger, die auf die Straßen gehen und den Spinnern ihre Grenzen aufweisen."
Nannte Gauck die NPD "Spinner"?
Die NPD bekommt das mit. Sie fühlt sich angesprochen. Die Partei will vom Bundespräsidialamt wissen, ob sie mit Spinnern gemeint sei. Das Bundespräsidialamt erklärt schriftlich: Bei verständiger Würdigung der Presseberichte würde sich diese Frage von selbst beantworten. In einigen Presseberichten war damals zu lesen, dass Gauck Proteste gegen die NPD unterstütze.
Die NPD geht nach dieser Antwort gerichtlich gegen Gauck vor. Es sind nur wenige Wochen bis zur Bundestagswahl. Die Partei fühlt sich verunglimpft und benachteiligt im Wahlkampf. Sie beantragt beim Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung gegen Gauck. Das Gericht soll es Gauck untersagen, mit solchen Äußerungen in den Wahlkampf einzugreifen und die NPD damit zu benachteiligen. Das Bundesverfassungsgericht lehnt den Eilantrag der NPD zunächst ab. Die Richter wollen die Frage in Ruhe klären.
Politische Neutralität des Staatsoberhaupts
Heute kommt es nun zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht. Den Richtern geht es vor allem um die politische Neutralität des Staatsoberhaupts. Wen hat Gauck mit "Spinnern" eigentlich gemeint? Er selbst hatte schon erklärt, er habe seine Äußerungen nicht auf die NPD als Partei bezogen.
In diesem Punkt widerspricht die NPD dem Bundespräsidenten. NPD-Rechtsanwalt Peter Richter: "Unserer Auffassung nach hat er die NPD und ihre Anhänger als Spinner bezeichnet. Und das vor einer Versammlung von Erstwählern, und das alles unmittelbar vor einer Bundestagswahl." Das sei so nicht hinnehmbar.
Chancengleichheit der Parteien bei Wahlen
Vorm Bundesverfassungsgericht wird es um Fragen gehen, die von grundsätzlicher Bedeutung sind: Wie stark darf sich ein Bundespräsident an politischen Debatten beteiligen? Welche besonderen Maßstäbe gelten, wenn sich der Bundespräsident kurz vor den Bundestagswahlen äußert?
Dass es da Grenzen gibt, hatte der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts bereits erkennen lassen: "Das Recht politischer Parteien auf Chancengleichheit bei Wahlen wird verletzt, wenn Staatsorgane, zu denen der Antragsgegner zählt, als solche parteiergreifend zugunsten oder zulasten einer politischen Partei in den Wahlkampf einwirken", heißt es in einer Erklärung vom vergangenen September.