Dienstag, 19. März 2024

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Bundesverwaltungsgericht in Leipzig
Kameras im Gerichtssaal

Zeugenaussagen oder Plädoyers vor der Kamera, das ist in anderen Ländern Standard. Seit knapp einem Jahr besteht die Möglichkeit auch in allen deutschen Bundesgerichten. In Leipzig wurde nun das Bundesverwaltungsgericht dafür umgerüstet. Kritiker sehen die Unabhängigkeit von Entscheidungen in Gefahr.

Von Bastian Brandau | 26.03.2019
Aufnahme mit Fisheye-Objektiv: Ein Kameramann filmt in den Saal des Bundesverfassungsgericht.
Kameras sind im Bundesverfassungsgericht bereits seit 1998 erlaubt (dpa / Uli Deck)
"Wir haben Wert darauf gelegt, dass sich am Richtertisch nichts ändert. Dass insbesondere nicht die Mikrofone der Rundfunkanstalten dort zu sehen sind. Weil es eben eine Gerichtsentscheidung ist"
Andreas Korbmacher steht im Großen Saal des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig. Altehrwürdige Holzvertäfelungen, das Licht fällt durch die Fenster, die mit Stadtwappen verziert sind. Korbmacher ist Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht und als Pressesprecher mit den Vorbereitungen auf die erste Kamera-Übertragung einer Urteilsverkündung befasst. Dafür wurde im Leipziger Saal umgebaut. Eine Mikrofonanlage hat es natürlich vorher schon gegeben.
"Sodass es also hier über unsere hausinterne Anlage weitergegeben wird und dann dort hinten von den Rundfunkanstalten abgenommen werden kann."
Seit knapp einem Jahr Kameraübertragungen möglich
Seit knapp einem Jahr können die Bundesgerichte entscheiden, bei besonders wichtigen Verfahren Kameras bei der Verkündung zuzulassen. Nachdem der Große Saal in Leipzig nun umgebaut ist und es Anfragen einer Fernsehredaktion hab, steht am Bundesverwaltungsgericht diese Woche die erste Verkündung mit Kameras an. Dann geht es um die Frage, ob die Deutsche Fußball-Liga selbst für die Kosten eines Polizeieinsatzes bei einem Risikospiel aufkommen muss oder ob die weiterhin aus Steuergeldern bezahlt werden.
An den Seiten des Gerichtssaals werden dann Scheinwerfer aufgebaut, erklärt Andreas Korbmacher, als wir den großen Raum durchschreiten. An der Rückseite angekommen, zeigt er auf den Boden: auf den vorgesehenen Platz für zwei Kamerapodeste.
"Die Podeste werden hier, also sozusagen direkt gegenüber vom Richtertisch, aber am Ende des Saales aufgestellt werden. Es werden insgesamt zwei Podeste, wir werden maximal zwei Kameras haben. Die Rundfunkanstalten, die das übertragen, müssen eine Poolführerschaft übernehmen und andere, die das auch noch senden wollen, daran beteiligen."
Das Gericht hat für Ton und Bild entsprechende Steckdosen an der Fensterseite verlegt. Die Signale können so direkt an Übertragungswagen vor dem Gebäude weitergegeben werden. Die Technik ist bereit – aber sind es auch die Richter?
Erste Erfahrungen am Bundesverfassungsgericht
"Bitte nehmen Sie Platz"
Es gibt in Deutschland Erfahrungen mit Urteilen vor der laufenden Kamera. Urteile des Bundesverfassungsgerichts können seit 1998 gefilmt werden.
"Ich eröffne die Sitzung des zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts zur Verkündung der Entscheidung…"
Am Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat man schon erste Erfahrungen gemacht, seitdem das neue Gesetz seit knapp einem Jahr Übertragungen auch von den obersten Gerichten erlaubt. In Leipzig haben die vorsitzenden Richter eine Schulung durchlaufen.
"Ich glaube es ist wichtig, dass man möglichst die Kamera ausblendet und es so handhabt, wie man es bisher gehandhabt hat. Natürlich werden wir uns bemühen, wie wir das jetzt auch schon tun, möglichst verständlich und nachvollziehbar auch für Laien dann diese wichtigen Entscheidungen zu verkünden."
Präsidenten der obersten Bundesgerichte dagegen
Denn das Gericht wird Kameras nur bei wichtigen Entscheidungen zulassen. Übertragungen werden in Leipzig also die absolute Ausnahme bleiben. Unter Juristen ist es dennoch nach wie vor umstritten, ob überhaupt gefilmt werden soll, sagt Andreas Korbmacher:
"Die Präsidenten der obersten Bundesgerichte, es geht ja nur um Übertragungen der obersten Bundesgerichte, haben sich gegen eine Öffnung ausgesprochen, weil der Wert der Gerichtsbarkeit und der dritten Gewalt im Staat ist, dass sie unbeeinflusst arbeitet und Entscheidungen unabhängig von den anderen Gewalten trifft. Und von daher haben die Präsidenten die Gefahr gesehen, dass durch eine zu große Öffnung der Verhandlungen dieser sachliche Charakter ein Stück weit verloren geht."
Etwa, so eine häufig vorgebrachte Befürchtung, wenn der Versprecher oder eine Geste eines Richters von den einschlägigen Comedy-Formaten aufgenommen würde.
"Davor sind wir nicht gefeit, das kann gemacht werden, das ist dann der gute Geschmack eines jeden Journalisten oder der nicht gute Geschmack. Aber ich glaube nicht, dass es uns in besonderer Weise beunruhigt."
Mögliche Arbeitsentlastung
Korbmacher sieht aber gerade an Tagen mit viel Medieninteresse auch Vorteile für die Arbeit der Richter an den Bundesgerichten.
"Wir haben ja die Erfahrung gemacht, dass bei großen Verhandlungen auf einmal der ganze Richtertisch umstellt war von Kameras, also das wird dann nicht der Fall sein."
Weniger Bilder vom Prozesstagbeginn, weniger Interviews der Pressesprecher nach dem Urteil. So könnte sich die Berichterstattung über Prozesse verändern. Stattdessen O-Töne des Vorsitzenden Richters oder sogar eine Live-Übertragung direkt vom Richtertisch. Wo sich in Leipzig, wenn man genau hinschaut, doch etwas verändert hat.
"Was jetzt noch neu dazugekommen ist, dass wir einen Notausknopf haben, so dass der Vorsitzende also, wenn es hier zum Beispiel einen Hustenanfall gibt oder sonst was, dass er hier diese Übertragung kurz unterbrechen kann. Oder wenn es sonstige Störungen geben sollte. So dass man dann also hier die Möglichkeit hat, am Richtertisch ein Not-Aus zu betätigen."