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Bundesverwaltungsgericht
Kein Ethikunterricht an Grundschulen

Grundschüler haben keinen Anspruch auf Ethikunterricht, hat heute das Bundesverwaltungsgericht entschieden. Ein schlechtes Urteil, findet Doro Moritz, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Baden-Württemberg. Es zeige, wie unterfinanziert das Schulsystem sei.

Doro Moritz im Gespräch mit Manfred Götzke | 16.04.2014
    Klassenzimmer in Grundschule
    Baden-Württemberg habe sich nicht grundsätzlich gegen den Ethikunterricht gestellt, sagt die Gewerkschaftlerin Doro Moritz. ( picture alliance / dpa / Caroline Seidel)
    Manfred Götzke: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Baden-Württemberg, die war ganz klar auf der Seite der Klägerin, auf der Seite von Anna Ignatius, und Doro Moritz ist die Vorsitzende, und sie ist jetzt am Telefon. Guten Tag, Frau Moritz!
    Doro Moritz: Guten Tag!
    Götzke: Frau Moritz, keinen Anspruch auf Ethikunterricht - eine Entscheidung im Sinne der Schüler oder mehr im Sinne der Kirchen?
    Moritz: Eindeutig eine Entscheidung im Sinne der Kirchen, und begründet wird dies in Baden-Württemberg ja leider nur mit Geld, denn die grün-rote Landesregierung hat ja in ihrem Koalitionsvertrag stehen, dass Ethik schrittweise ab Klasse eins eingeführt werden soll.
    Götzke: Nun hat die Landesregierung - Sie haben es ja auch schon gesagt - in Baden-Württemberg sich keineswegs grundsätzlich gegen den Ethikunterricht gestellt, die sagt aber, das Geld fehlt in Zeiten der Schuldenbremse und diverser anderer Schulreformprojekte, ich sage nur Inklusion, Ganztagsschule. Das ist ja vielleicht nicht das schlechteste Argument?
    Moritz: Da sind Argumente. Das zeigt aber sehr deutlich, wie unterfinanziert Schule ist, und schließlich ist ja auch das Geld für den Religionsunterricht da. Wir haben 30 Prozent Schülerinnen und Schüler, die nicht den großen Religionsgemeinschaften angehören, und das sind so viele, dass wir eine Alternative brauchen.
    Götzke: Ja, selbst wenn Baden-Württemberg den Ethikunterricht jetzt direkt einführen würde, bliebe die Frage: Woher soll das Land all die Ethiklehrer nehmen?
    Moritz: Deshalb haben wir Kultusminister Stoch und die Landesregierung auch im Februar aufgefordert, jetzt einerseits Lehrerinnen und Lehrer auszubilden, dass sie da sind, wenn Geld für den Ethikunterricht kommt, und auch einen Bildungsplan jetzt im Zuge der Bildungsplanreform zu erarbeiten, denn es braucht ja auch diese Grundlage. Beides erfolgt nicht, beides hat Minister Stoch in einem Schreiben abschlägig beschieden.
    Götzke: Ja, aber trotzdem noch mal die Frage: Woher sollen die Lehrer kommen?
    Moritz: Ja, die müssten ausgebildet werden. Es müsste in der Lehrerausbildung einen Studiengang für das Fach Ethik auch an Grundschulen eingerichtet werden. Das haben wir nicht.
    Götzke: Das Bundesverwaltungsgericht, das hat ja den Gestaltungsspielraum der Bundesländer bei dieser Frage betont. Ist das nicht auch sinnvoll? Schließlich ist der Anteil der Atheisten in Ostdeutschland, wo es den Ethikunterricht auch in den Grundschulen gibt, ja wesentlich höher als in Westdeutschland?
    Moritz: Trotzdem haben wir etwa ein Drittel Schülerinnen und Schüler, die nicht den Religionsgemeinschaften angehören, und es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, darauf muss eine Landesregierung auch in der Schule reagieren, dass wesentliche Dinge dieser Gesellschaft in der Schule thematisiert werden.
    Götzke: Nun wird es ja trotz dieses Urteils, des abschlägigen Urteils irgendwann in Baden-Württemberg katholischen Religionsunterricht, evangelischen und den Ethikunterricht geben, steht ja im Gesetz und in der Planung. Möglicherweise fordern demnächst die Muslime auch Pflichtfach muslimischen Religionsunterricht in der Grundschule. Wäre es da nicht sinnvoller, einen gemeinsamen Unterricht, sagen wir mal, Werte, Lebenskunde, Religionskunde für alle einzuführen?
    Moritz: Wir haben ja punktuell Islamunterricht auch an unseren Schulen mit komplett ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern, und richtig ist, dass eine Werteorientierung für alle Schülerinnen und Schüler da sein muss, die über das, was die großen Kirchen vermitteln, hinausgeht.
    Götzke: Hamburg hat das ja schon seit einigen Jahren, da heißt das „gemeinsamer Religionsunterricht in evangelischer Verantwortung". Sind die beiden Kirchen in Baden-Württemberg zu stark, zu mächtig, um so was zuzulassen?
    Moritz: Ja, für mich hat auch die Diskussion um die Bildungspläne gezeigt, wie stark die Kirchen mitmischen, und da wünsche ich mir schon, dass die Landesregierung und das Kultusministerium sehr genau darauf achten, dass die Kirchen sich in dem Rahmen bewegen, der ihnen durch Grundgesetz und Landesverfassung und das Schulgesetz hier auch eingeräumt wird.
    Götzke: Grundschüler haben keinen Anspruch auf Ethikunterricht, hat heute das Bundesverwaltungsgericht entschieden - ein schlechtes Urteil, findet Doro Moritz, Vorsitzende der GEW in Baden-Württemberg. Danke schön!
    Moritz: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.