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Bunt und politisch

In Köln wurden die Preise des Festivals "Impulse" vergeben, und die Schweiz räumte ab: gleich zwei Inszenierungen, eine aus Basel, eine aus Zürich, zählen damit zu den Besten bei diesem Bestentreffen der Freien Theater aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Von Karin Fischer |
    Eine fast bleierne Stimmung lag über dem Festival-Eröffnungsabend; das lokalpolitische Gezerre um Neuausrichtung und jährlicher oder zweijähriger Taktung hatte sichtlich Kraft gekostet. Der Himmel tat ein Übriges und schickte kalte Schneeflocken übers Rheinland, so dass manche IMPULSE-Vorstellung wegen des Wintereinbruchs nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt finden musste. Dass das mit elf eingeladenen Inszenierungen auch logistisch an seine Grenzen stoßende Bestentreffen der freien Gruppen doch noch ein Erfolg wurde, hat mit der Vitalität einer Szene zu tun, die seit Ende der 70er Jahre das fast Unmögliche leistet: unter finanziell katastrophalen Bedingungen und qua permanenter Selbstausbeutung innovatives Theater zu machen. Dabei muss längst nicht alles als "Theateravantgarde" daherkommen, sagt der Gründer und langjährige Leiter der IMPULSE, Dietmar N. Schmidt:

    "Ob etwas Avantgardistisch ist oder nicht, merkt man erst mit zeitlichem Abstand. Wir können das historisch betrachten: René Pollesch oder Igor Bauersima sind Regisseure, die mit ihrer Art von Stücken durch die IMPULSE gegangen sind, und wir haben erst nach zwei, drei Jahren gemerkt, dass das die richtigen Impulse waren, am Anfang haben wir gedacht: ganz originell, verrücktes Theater, oder: ach ja, sie spiegeln Literarisches, also das erwies sich nach einigen Jahren, wie impulsgebend sie waren."

    Auch die Stücke der diesjährigen Ausgabe haben die Theaterwelt nicht gerade auf den Kopf gestellt, aber zumindest die große Bandbreite der freien oder halbfreien Szene abgebildet. Auf der einen Seite der Skala findet sich eine Produktion wie "BIG – Second Episode" der österreichisch-französischen Performancetruppe "Superamas", die die Welt von Pop und Werbung einem linguistisch zu nennenden Konzept unterwerfen. Hollywood-Filmszenen werden aus dem Kontext genommen und in mehrfacher Variation nachgespielt. Ein absolut präzise erarbeitetes "Making of" von Film- und Theaterwirklichkeit ist da entstanden, witzig choreographiert: eine Schule der Wahrnehmung mit großem Unterhaltungswert.

    Demgegenüber hatte "Planet Porno", eine konzeptionell ähnlich gedachte Berliner Serie, weniger Reichweite. Wer die Welt der Politik und des Unterhaltungsfernsehens bloß stellen will, indem er Szenen daraus eins zu eins nachspricht, begibt sich in aussichtslose Konkurrenz. Auch Selbstentlarvung kann das Fernsehen besser.

    Auf der anderen Seite der Skala stand dann "Fucking Amal", eine nicht nur wegen der Zusammenarbeit des Jungen Theaters Basel mit dem Baseler städtischen Theater wegweisende Produktion. Das Jugendstück in Schwyzerdeutsch, Regie: Sebastian Nübling, stellt schon als ausnahmsweise gelungene Filmadaption etwas Besonderes dar. In einem Meer aus Plüschtieren breitet es darüber hinaus sämtliche Schrecken und Peinlichkeiten der Pubertät derart authentisch aus, dass es völlig zu Recht mit dem Kurt-Hübner-Preis, bestehend aus Impulse-Pokal und 5000 Euro, ausgezeichnet wurde. Dietmar N. Schmidt zur Begründung:

    "Es gibt selten Theater, wo man wieder so überzeugt ist, warum Theater in der Welt sein muss. Weil es alles vom Feld schlägt, was sonst an Medien als Vermittlung zwischen Zuschauer und darstellender Kunst vorhanden ist. Das ist so ergreifend und so authentisch, da so unmittelbar beteiligt zu sein und mitzufühlen. Und dass das hergestellt wird nicht auf die gewöhnliche Art über literarische Form, sondern übers Temperament von jungen Spielern, die keine Spieler sind, nämlich Menschen, die ganz andere Berufe anstreben, dass das Authentizität mitbringt auch aus ihrem eigenen Lebensgefühlt, das ist ein wesentlicher Impuls des freien Theaters."

    Und als Trend überhaupt zu beobachten: die Befragung der eigenen Lebenswirklichkeit auf der Bühne. Das bedeutet auch, dass im weiteren Sinn "politische Themen" stärker vertreten waren als literarische: eine Kleist-Bearbeitung mit der "Hermannsschlacht" aus Jena, eine Bearbeitung des Faust-Stoffes in "Grete", das war's schon. Darstellerin Claudia Wiedemer und Regisseurin Anja Gronau erhielten dafür den mit 2000 Euro dotierten Impulse-Sonderpreis für die "Entwicklung eines anrührenden, zeitlosen Mädchen-Dramas".

    Als ganz aktuell, als das Stück zum CIA-Folterskandal sozusagen, erweist sich die Produktion "Kriech", die die Zynismen der so genannten westlichen Wertegemeinschaft in einer Art öffentlichen Buß- und Missionsveranstaltung ausstellt: ein Börsenmakler, ein Irak-Kriegsveteran und ein Lynndiee-England-Verschnitt preisen das System, das sie erst angestiftet und dann verknackt hat. Selten wurde die Schizophrenie der US-Politik durchsichtiger als in diesem Stück.

    Ebenso mutig: die trashige Bearbeitung der bundesdeutschen Terror-Vergangenheit in "RAF unplugged", einer wilden und musikalisch perfekt unterlegten Schnitzeljagd, die die Baader-Meinhof-Bande als mediengeile ideologische Schaumschläger betrachtet. Man muss angesichts dieser Inszenierung nicht von einem Tabu-Bruch sprechen; aber soviel Witz und antihistorische Chuzpe wurde belohnt: mit dem Preis der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste und 5000 Euro fürs Theater Geßnerallee in Zürich.

    Auffällig in diesem Jahr war der Trend zu Musik und Tanz: Das Festival glich phasenweise einem Musik- und Bewegungsworkshop. Formal war das alles andere als eine Offenbarung, eher eine Bestätigung der Trendanalyse, also: nachholende Arbeit am eigenen Erfahrungshorizont auf der Bühne.

    Ganz zuletzt aber schien ein kleines Symbol aus der Düsseldorfer Inszenierung der Forum Freies Theater "adieu" für das ganze Festival zu stehen. Ein Papierschiffchen, an zwei blauen Luftballons hängend. Wenn man es nicht kräftig anblies, sank es zu Boden. In diesem Sinne muß man der freien Szene wünschen, dass den IMPULSEN auch unter neuer Leitung nie die Luft ausgeht.