Sonntag, 28. April 2024

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Bunte Erinnerungen

Chemie. - In unserer Reihe "Schatzkammern der Wissenschaft" möchten wir Ihnen besondere Sammlungen an Exponaten vorstellen, die im alltäglichen Museumsbetrieb oft eher wenig beachtet werden, die aber bei näherer Betrachtung besonders spannend sind.

Von Michael Stang | 29.01.2009
    "Die Sammlung war viel größer. Als wir in den Neubau hier eingezogen sind vor zwei Jahren, da ist eine ganze Menge an Chemikalien schlichtweg entsorgt worden, weil befürchtet wurde, dass hier kein Platz sein wird."


    In der Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Greifswald befindet sich das modernste biochemische Universitätsgebäude Deutschlands, sagt Winfried Hinrichs. Der Professor für Molekulare Strukturbiologie geht in einen Laborraum.

    "Dieser Raum ist also formal die Hörsaalvorbereitung, auf der anderen Wandseite, wenn man hier mal hingeht, haben wir unseren großen Hörsaal."

    Laborraum und Hörsaal sind durch eine Durchreiche mit Abzug verbunden. Dadurch können bei den Veranstaltungen auch gefährliche Experimente demonstriert werden. Aus den Laborschränken, die in zwei Reihen angeordnet sind, sieht man unzählige bunte Fläschchen hervorschimmern.

    "Also, das meiste, was wir hier haben, das sind wirklich technische Farbstoffe, organische Farbstoffe, also Pigmente, die also die unterschiedlichsten Farben haben."

    Daneben enthält die alte Greifswalder Chemikaliensammlung auch Flakons mit Riechstoffen aus der Frühzeit der chemischen Industrie. Waltraut Pranke hat sie beim Umzug vor zwei Jahren alle neu sortiert.

    "Das sind alles Originalflaschen,diese hier."

    Die technische Assistentin öffnet einen Schrank, in dem hochkonzentrierte Öle stehen, die zum Teil über 150 Jahre alt sind. Ihr Aroma haben die ätherischen Öle allerdings nicht verloren. Ein angenehmer Duft überdeckt die Laborluft. Pranke:

    "Die sind mit weißem Leder verbunden und meistens noch mit. Sie sehen ja, hier ist noch ein Rest. Die waren auch noch verplombt, bei manchen ist die Plombe auch noch wirklich dran."

    In den Schränken gegenüber sind Mineralien in Gläsern archiviert. Die meisten sind Schaustücke für öffentliche Führungen oder Vorlesungen. An den Beschriftungen kann man das hohe Alter der Stücke erahnen: Kalkstein, Braunstein und Gips – allerdings noch mit Ypsilon geschrieben. Hinrichs:

    "Und eine kleine Probe gibt es hier, die hat offensichtlich der Wöhler noch selbst handsigniert."

    Dabei handelt es sich um eine Probe Ultramarin, hergestellt vom Göttinger Chemiker Friedrich Wöhler, einem der Gründer der Organischen Chemie. Ihm gelang 1824 die Synthese von Oxalsäure und vier Jahre später die von Harnstoff. Damit konnten zum ersten Mal Stoffe, die bislang nur von lebenden Organismen bekannt waren, aus "unbelebter" Materie künstlich erzeugt werden. Winfried Hinrichs öffnet die nächste Vitrine.

    "Oder was hier zum Beispiel schon interessanter ist: Wie man früher technisch Indigo gewonnen hat, also den Farbstoff, mit dem man Jeans färben kann, das ist dann die Substanz wie sie chemisch hergestellt wurde."

    Früher wurde der Farbstoff aufwendig aus der Indigopflanze hergestellt, heute gewinnt die Industrie die Pigmente aus chemischen Synthesen. Alle hier aufbewahrten Chemikalien sind unabhängig von ihrem Alter genauestens archiviert. Die Vorgaben an chemische Labore sind streng. Dies sei auch wichtig, sagt der Biochemiker, schließlich lagern hier auch flüssige Stickoxide in kleinen Ampullen. Einen Schrank weiter holt er ein kleines, unscheinbares Fläschchen hervor. Hinrichs:

    "Also hier zum Beispiel Fluorescein, das fluoresziert, also wenn Sie das in Wasser lösen, dann fluoresziert das, also wenn man da also einen Löffel voll in den Brunnen hier werfen würde am Marktplatz, dann würde man sicherlich einen tierischen Effekt haben, optisch und polizeilich, sicherlich."

    Nach und nach kommen viele alte Chemikalien ans Tageslicht. Einige verändern ihre Färbung abhängig vom pH-Wert, andere vom Wassergehalt. Bei den meisten Stoffen sei es egal, wie alt sie sind - für die Lehre für heutige Studierende sind sie genauso wichtig wie für die Ausbildung von Chemikern vor 150 Jahren. Hinrichs:

    "Die werden auch noch benutzt, um die dann in Vorlesungen zu zeigen, wie so etwas aussieht…weil eben so etwas an die Tafel zu schreiben mit Kreide, das ist eine Sache, aber wenn man es denn mal gesehen hat, behält man das auch."

    Die Greifswalder Chemikaliensammlung dient aber nicht nur der Lehre, sondern wird ebenso als historisches Archiv genutzt. Denn hier lagern Farbstoffe in ihrer Ursprungsform, bevor Pigmente industriell synthetisiert wurden. Hinrichs:

    "Eines Tages wird man nicht mehr wissen, was Patentblau ist, aber dann haben wir das hier im Schrank stehen und dann kann man das alles nachgucken."
    Winfried Hinrichs und Waltraud Pranke mit einer alten Farbprobe.
    Winfried Hinrichs und Waltraud Pranke mit einer alten Farbprobe. (Michael Stang)
    in der Grreifswalder Schausammlung befinden sich verschiedene Proben Ultramarin.
    in der Grreifswalder Schausammlung befinden sich verschiedene Proben Ultramarin. (Michael Stang)