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Bunte Leckereien

In Eckernförde, einem Hafenstädchen zwischen Kiel und Flensburg hat Naschwerk Hochkonjunktur. In ihrer Bonbonkocherei betreiben Heike Herbst und Hermann Hinrichs eine süße Produktionsstätte für alle Sinne.

Von Janina Labhardt |
    Entlang des Jungfernstiegs stehen schmale Häuser mit dunkel bemalten Stützbalken, kleinen Fenstern und spitzen Dächern. Alte Fachwerkhäuser säumen die dörfliche Straße. Obwohl es neben dem Jungfernstieg auch die Reeperbahn und den Pferdemarkt gibt, befinden wir uns nicht in Hamburg, sondern 120 Kilometer weiter nördlich, in Eckernförde. Das Hafenstädtchen liegt zwischen Kiel und Flensburg, im nördlichen Teil von Schleswig-Holstein.
    Eckernförde hat einen Ruf als begehrtes Urlaubsziel. Die Verarbeitungsindustrie der Fischerei ist nicht mehr offensichtlich – obwohl sie hier seit über 100 Jahren ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist.
    Die Leute schlendern auf der Reeperbahn, essen Eis oder schauen sich die Bademode in den Verkaufsauslagen an. Der Strand ist nicht weit entfernt. Zwei junge Frauen naschen Süßigkeiten:

    "Wir haben uns selber Tüten gefüllt, die hier hergestellt werden. Es gibt hier Geschmacksrichtungen, die es sonst nirgends gibt. Ich habe noch nicht alle durchprobiert, aber es gibt zum Beispiel Pfirsich mit Vanille, was ich sonst noch nie gegessen habe, aber schmeckte gut – Blaubeere haben sie dazwischen, alles Mögliche. Meine Vorliebe ist das Weiche hier mit Schokolade überzogen. Marzipan ist nicht so mein Ding, aber da ist Frucht drin, so was."

    Jetzt ist der Geruch in der Luft deutlich zu bemerken: Ein fruchtig-süßer Duft weht herüber, es könnte Grapefruit oder Zitrone sein. Eine Gruppe älterer Damen kommt gerade aus einem Hinterhof, ebenfalls mit Naschtüten in den Händen. Was ist denn hier drin?

    "Geleebananen und Pfefferminzbruch und Himbeere und Sahne mit Orange und alles Mögliche. Normalerweise ist Lakritz meine Vorliebe, aber jetzt habe ich nur Lollis geholt. Das sind Makronen, aber sonst bin ich keine Süße."

    In diesem Hinterhof steht die Bonbonkocherei von Hermann Hinrichs und Heike Herbst. Es ist ein zurückgestelltes Gebäude aus dem Jahr 1830, das eine ehemalige Fischräucherei war. In weiß-roter Schrift sind die Kocherei mit Schauküche und der angeschlossene Bonbonladen angeschrieben. Die Mitgründerin der Bonbonkocherei Heike Herbst:

    "Wir sind ein kleiner Handwerksbetrieb und im Grunde genommen erhalten wir hier dieses schöne Handwerk. Wir haben hier eine kleine Produktion und lassen unsere Gäste dabei zuschauen, dass sie also wirklich sehen von den Zutaten her, bis zur Verarbeitung, können sie das Leben eines Bonbons miterleben mit allen Sinnen."

    Mit allen Sinnen wahrnehmen – das stimmt hier: zuerst mit dem Geruchssinn, wenn einem der süße Duft in 100 Meter Entfernung in die Nase steigt. Und dann gleich mit dem Sehsinn, wenn man den Hinterhof und die Produktionsstätte und die vielen farbigen Süßigkeiten sieht. Und jetzt auch mit dem Hörsinn: Im Inneren der Schauküche demonstriert der Mitgründer Hermann Hinrichs, wie Bonbons hergestellt werden. Schritt für Schritt erklärt er, was er tut:

    Der Zucker wird in einem Kupferkessel gekocht, zusammen mit Glukosesirup und Wasser. Danach mischt Hermann Hinrichs ätherische Öle und natürliche Fruchtaromen dazu. Er knetet und zieht den etwa 150 Grad hei?en Zuckerteig, insgesamt fünf Kilogramm, in der Luft – es sieht aus, als handle es sich dabei um einen überdimensionalen Kaugummi. Jetzt schimmert dieser in hellem Perlmutt. Dann schneidet der Koch eine Portion mit einer langen Schere ab und schiebt sie durch eine Walze. Diese ähnelt einer Nudelwalze, nur dass auf der anderen Seite keine Tagliatelle herauskommen, sondern breite Teigzungen aus der Bonbonmasse.
    Heike Herbst:

    "Wir walzen unsere Bonbons mit diesen schönen Motivwalzen aus, wir stanzen hier Bonbons. Das heißt, ganz ohne den Einsatz von Maschinen können wir hier Bonbons fertigen, die sind zwar erst recht klobig, wenn man sie so anschaut, sind aber so richtige Mundschmeichler."

    Mundschmeichler ohne Einsatz von Maschinen – oder zumindest nur manuell bedienbaren Maschinen. Die langen Teigzungen haben bereits die Form der einzelnen Bonbons – hier sind es Muscheln mit Pfirsich-Vanille-Geschmack, aber sie sind noch fein miteinander verbunden. Ohne Lufteinschlüsse, betont Heike Herbst. Mit einer Schaufel werden die langen Bonbonstücke zusammengefegt, durch ein Sieb geschüttelt, um die scharfen Kanten zu entfernen und auf der Schaufel dem Publikum angeboten.

    Dass ausgerechnet ein studierter Ingenieur Bonbons kocht, ist kein Zufall: Hermann Hinrichs Leben hat sich schon als Ingenieur um das Süß-Klebrige gedreht:

    "Ich habe eine technische Ausbildung gemacht und habe danach in einer kleinen Bonbonkocherei schon angefangen, Bonbonmaschinen zu reparieren, um eben alte Maschinen wieder zum Laufen zu bringen und in die Produktion zu integrieren. Da war es einfach wichtig: Wie müssen Bonbons gekocht werden? Was ist wichtig? Worauf kommt es an? Und dann habe ich mir das eben angeeignet und das eben immer weiter ausgebaut."

    Solche alten Maschinen seien schwer zu bekommen, denn man könne sie nicht von der Stange kaufen, sagt Hermann Hinrichs:

    "Wenn wir die bekommen, sind das in der Regel wirklich Schrotthaufen, aus denen wir dann so eine neue schöne Maschine bauen. So müssen wir diese Maschinen, wenn wir sie in die Produktion nehmen, immer noch lange betreuen und umbauen und immer noch so die Kinderkrankheiten ausmerzen, bis es dann eine funktionierende Bonbonmaschine ist. Auf der einen Seite ist das ein bisschen Nostalgie, aber es ist auch so, dass diese alten Maschinen noch langsam laufende Maschinen sind, dass diese dem Kunden noch viel besser zeigen, wie entstehen denn eigentlich diese Bonbons in diesen Maschinen. Auch unsere Kunden können hier sehen, wie viel Muskelkraft in dieser Herstellung von Bonbons liegt!"

    Wenn man diese alten Maschinen mit den modernen von heute vergleicht, dann fällt gleich auf: die industriellen Maschinen haben eine so hohe Tagesleistung und funktionieren so, dass – übertrieben gesagt – ein Kasten die Bonbonzutaten vorne aufnimmt und hinten das fertige Produkt heraus spukt.

    Das wollen hingegen die Bonbonköche in Eckernförde nicht. Ihre Kunden sollen die liebevolle Herstellung wertschätzen und den Genuss bewusst erleben. Das gilt auch für die Schattenseiten des Bonbonlutschens: die Unmengen Zucker.

    "Ja, natürlich: Wir verarbeiten hier Zucker, und man sagt ja, zu viel Zucker ist ungesund – es macht die Zähne kaputt, es macht zu dick. Den Zucker, den wir verarbeiten, ist ganz ehrlicher Zucker. Ein Bonbon besteht aus Zucker, da beißt die Maus keinen Faden ab. Und dann ist es eine Frage der Zahnpflege, ganz klar, und auch der Menge, die ich vertilge. Wir fordern unsere Kunden dazu auf, genau hinzuschmecken, welche Bonbons sie grad essen."

    Eine Frage des Maßes also. Und der bewusste Konsum zeichnet die Bonbonkocherei aus. Sie soll ein Handwerksbetrieb sein, der tatsächlich Bonbons von Menschenhand herstellt. Das zeigt zum Beispiel ein Versehen, das der Bonbonköchin Heike Herbst einmal passiert ist:

    "Ich habe zum Beispiel mal in der Eile Zimt und Zitrone verwechselt und hab dann in ein Zitronenbonbon Zimt gerührt. Das ist ganz fürchterlich, denn Form und Geschmack müssen immer zusammenpassen: Wenn sie eine Zitronenscheibe sehen und es schmeckt nach Zimt, dann ist das ganz fürchterlich. Das irritiert Auge und Geschmack, das muss zusammenpassen. Wir müssen immer vorher riechen."

    Nach dem Riechen der Süßigkeiten kommt auch das Schmecken nicht zu kurz: ob Waldmeister, Blaubeer-Zitrone, Honig-Fenchel, Rote Grütze, Apfel-Vanille oder Rhabarber-Zitrone. Die sorgfältige Produktion mittels alter Tradition ist spürbar.

    Weiter geht unser Spaziergang in Eckernförde:
    Entlang der Strandpromenade, wo ein Jahrmarkt mit Geisterbahn und Karussell aufgestellt wird, an kleinen Motorbooten und vielen Touristen vorbei. Auf einer holzigen Fußgänger-Klappbrücke belagern die Möwen das Geländer.

    Es führt ein steiler Weg zur Borby-Kirche. Von der Anhöhe vor dem Kirchenplatz lässt sich über Eckernförde blicken, dem ehemaligen Fischerort, der sich heutzutage an den Touristen orientiert. Das letzte Himbeer-Chili-Bonbon löst sich gleich auf der Zunge auf.