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Bunter Abend mit Tenor

Die Bayreuther Konkurrenz in München musste es gerade schmerzlich erfahren: Die Spezies der Tannhäusertenöre ist weltweit rar, außerdem neigen sie zur Unpässlichkeit. Die Absagen der Einspringer und Einspringer-Substituten bei den Opernfestspielen folgten in immer kürzeren Abständen, bald musste man um die Aufführbarkeit dieses, was seinen Titelheld angeht, tatsächlich mörderischen Stücks fürchten. Die gute Nachricht aus dem dritten Jahr von Philippe Arlauds Bayreuther "Tannhäuser"-Dekoration ist nun ausgerechnet die Problempersonalie. Nachdem man sich zwei Jahre lang mitleidend mit dem Australier Glen Winslade vom Venusberg bis nach Rom und zurück geschleppt hat, bringt jetzt der Amerikaner Stephen Gould neue Töne ins grellbunte Spiel. Nachdem er in Venus Welt recht unruhig hin und her gelaufen war, und fast seine Harfe von sich zu werfen drohte (die ihn als Künstler ausweist und die er deshalb, wir sehen ja doch auch ein Künstlerdrama, noch braucht), ließ er, als er endlich singen durfte, einen schön baritonal grundierten Tannhäusertenor hören, der deshalb kein Weltmeister im Stemmen von Spitzentönen sein muss, weil er das Kopfregister klug und differenziert einsetzt und sich auf die rechte Mischung versteht

Von Holger Noltze |
    Stephen Gould singt besser, und er erlöst den zwischen der sündigen Venus und der reinen Elisabeth zerrissenen Mann und Sänger von dem unseligen Image des Jammerlappens, als der er bis dahin zu sehen war. Gould verschafft, auch dank einer größeren Beweglichkeit und Präsenz, der Inszenierung endlich ein Zentrum - retten kann er sie nicht.

    Denn was hier verhandelt werden soll, bleibt ein Rätsel. Vielleicht geht es um eine verpasste Liebe, die zwischen Tannhäuser und Elisabeth, zerrieben zwischen Trieb und Tugend. Doch wird die keusche Elisabeth am Ende so ungebrochen und umstandslos in den Stand der Heiligkeit entrückt, dass auf der anderen Seite für Tannhäuser wenig mehr bleibt als ein arme-Sünder-Dasein. Da stirbt er denn auch, und Arlaud lässt das tote hohe Paar so schön symmetrisch drapieren, Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele machen so überwältigend laut Musik dazu, dass für weitere Fragen hier gar kein Platz bleibt. Dummes Stadttheater, nur teurer ausgestattet mit grellen 80er Jahre Geschmacklosigkeiten. Und immer noch fragt man sich, ob man am Ende bloß das erlösende Ironiesignal übersehen hat. Sollte Arlaud als sein eigener Bühnenbildner mit seinen grüner als grünen Wiesen wie aus dem Fernsehen für Kleinkinder die Künstlichkeit der künstlichen Tannhäuser-Paradiese zwischen Venusberg und Wartburg anprangern wollen? Wenn ja, kennt er sein Publikum schlecht: das findet den Kitsch wohl ganz schön.

    In der grellen Ödnis der falschen Bilder wird viel gefuchtelt (mit Schwertern), es wird viel herumgeschmissen (Notenblätter, Harfen, Kreuze, Blumen) dann wieder in gefrorenen Stellungen herumgestanden. Es ist ein Krampf. Und umso trauriger, als dieser Bayreuther "Tannhäuser" musikalisch seine Meriten hat. Christian Thielemann dirigiert die sprödere Dresdener Fassung inzwischen deutlich knalliger, mit einer klaren Dramaturgie der Steigerungen und Sinn für den großen Effekt. Man kann das gegenüber seiner subtileren Herangehensweise der letzten Jahre als Vergröberung kritisieren - und muss doch staunen, wie lustvoll gespannt ihm das Orchester darin folgt. Das hat alles Saft und Kraft, es wird irgendwann halt recht laut. Die Ensembles sitzen, der Chor singt umwerfend. Kwangchul Youn ist ein nicht nur prachtvoller, sondern auch fein differenzierender Landgraf. Bei Roman Trekels Wolfram wird dagegen ein Hang zum vokalen Over-acting, zu Ausdrucks-Manierismen spürbar, das kam zwar gut an, und blieb doch unter seinen Möglichkeiten. Dafür gibt Ricarda Merbeth ihrer Elisabeth immer mehr Farben und Facetten
    Der Sänger klugen Weisen lauscht man gern. Doch nach Boulez-Schlingensiefs Aufbrucharbeit an dem anderen Erlösungsstoff "Parsifal" ein Tag zuvor wirkte Arlauds buntes Tannhäuser-Arrangement irgendwie absurd.