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Burnout durch Fernsehen?

Der reisende Handelsvertreter Willy Loman ist am Ende. Seine Stammkunden sind verstorben und die Verkaufsmethoden seiner jüngeren Kollegen sind gewinnbringender als seine. Auch im Privatleben gibt es kein Entrinnen, denn die Kinder sind faul und erfolglos. Als ihn der neue junge Chef feuert, gerät Willy in eine existenzielle Sinnkrise. Luk Perceval füllt Arthur Millers Stück mit den Menschen von heute und reduziert es auf ein brutales Familiendrama.

Von Karin Fischer |
    Der Fixpunkt dieser Inszenierung ist nicht der amerikanische Traum. Der Fixpunkt dieser Inszenierung ist der Fernseher. Thomas Thieme ist Willy Loman, er sitzt auf einem abgewetzten schwarzen Sofa, breit, bräsig, böse, bemitleidenswert. Erschöpft, erledigt, von Anfang an.

    Wie festgefressen an der Glotze sitzt er da. Was da raus kommt, ist seine Umwelt, das böse, zynische, hysterische Grundrauschen seiner Existenz: die hochaktuellen Entlassungen nach der Mobilfunkpleite in Kamp-Lintfort oder Fußball; vor allem aber jene Sitcoms, Gewinnspiele oder 0190er Nummern, die zum geistigen Junkfood von Millionen Menschen gehören, jeden Tag. Zu "Raumschiff Enterprise" versammeln sich auch die Söhne vor dem Fernseher, der kleine Eskapismus in bessere Welten gelingt aber nur sehr kurz.

    Thomas Thieme ist kaum der filigrane Verlierertyp, wie ihn Heinz Rühmann vor 50 Jahren oder auch Dustin Hoffmann 1984 in der berühmt gewordenen Verfilmung von Volker Schlöndorff darstellte. Thomas Thieme ist der Typ "abgefuckter Malocher", das Tier, dessen Aggressionen kaum Notwehr, sondern eher zweite Natur geworden sind. Wer den Absturz nicht verhindern kann, muss Fernseher, Frau und Söhne zusammenbrüllen, um die Autorität wenigstens im Kleinstraum Familie zu retten.

    Dass der so abgelassene Überdruck erstens Energien und zweitens Opfer kostet, ist klar.
    Carola Regnier als Willys Frau Linda entzieht sich gern durch ein Schläfchen im roten Fernsehsessel. Und André Szymanski als Happy füllt den bedrohlichen Kampfplatz Familie als überangepasste Komik-Plaudertasche und feiert so kleine fiese Triumphe über Biffs Sprachlosigkeit.

    Biff, der hassgeliebte Nichtsnutz, auf den sich Lomans übertriebene Hoffnungen immer noch konzentrieren, der früher ein gefeierter Jungfußballer war ("der neue Oliver Kahn", soll Günter Netzer gesagt haben!), ist mit Bruno Cathomas glänzend besetzt. Ein plumper, unsicherer, fast zurückgeblieben wirkender Mittdreißiger, der leidet wie ein Hund, als einziger allerdings mit ungetrübtem Realitätssinn.

    Wie Bruno Cathomas gegen Ende die Wahrheit hinausspuckt, -stammelt, -heult und -kotzt, gehört zum Eindrücklichsten dieser Hardcore-Seelenpein-Inszenierung. Weshalb bei der Beerdigung (Willy Loman bringt sich um, damit die Familie seine Lebensversicherung erben kann) nicht Linda "Wir sind frei" sagt, sondern Biff "Er war ein Arschloch!".

    Zum schizoiden Familienszenarium gehört das Bühnenbild von Katrin Brack: ein dichtes Gestrüpp grüner Büsche, Sträucher, Dickblattgewächse in Blumenkübeln, durch das sich die Schauspieler zum Auf- und Abtreten ihren Weg bahnen. Es steht für das Dickicht der Selbsttäuschungen, denen Willy Loman sich, selbst nachdem er seinen Job verliert, hingibt.

    Es gibt keine expliziten Rückblenden bei Perceval, nur Parallel-Handlungen oder Selbstgespräche des Handlungsreisenden. Die Frau, mit der er Linda einst vor 20 Jahren betrogen hat, wobei ihn Biff störte, ist eine wasserstoffblonde Hausfrauen-Nutte, wie sie seit dem Kultfilm "Deutschland, privat" zum Repertoire gehört: dicke Titten, Strapse, Piepsstimme. Es hätte sie nicht gebraucht, um die Poesie und den ideologischen Hallraum des Millerschen Stücks auf ein brutales Familiendrama zu verkleinern.

    Aber dafür hat Perceval uns Menschen von heute vorgeführt und Deutschland 2006: Ein Mann ist erschöpft. Die Arbeit, das Fernsehen, das enttäuschende Leben haben ihn fertig gemacht. Dieser Mann ist nicht so weit von uns weg. Eine Bauchlänge vielleicht.