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c/o Pop in Köln
Independent in Theorie und Praxis

In Köln ist die c/o Pop zu Ende gegangen. Über 30.000 Zuschauer besuchten die Konzerte und Partys des Independent-Popmusik-Festivals. Abseits der Konzerte diskutierte die Fachwelt über das immer stärkere Zusammenwirken von Musik und Werbung.

Von Peter Backof | 25.08.2014
    Ah, das kenne ich! Das Lied aus der aktuellen Apple-Werbung im Netz, auch zu hören bei einem Vortrag der c/o Pop Convention. Das iPhone wird in diesem Video eingesetzt als Musikinstrument. "Gigantic", im Original von den Pixies - das hatte ich mir 1988, siebzehnjährig, auf LP bestellt: in einem Kleinstadt-Schreibwarenladen. "Wie heißt diese Musik?" fragte die Verkäuferin. Sie wollte eine Plattenkiste einrichten für uns Gymnasiasten mit dem Musikgeschmack jenseits der Charts. Das heißt "Independent" sagten wir entschieden. Tags darauf hatten wir unsere Kiste. Darauf stand: "Independment".
    Spaß beiseite. Das änderte damals nichts am bipolaren Weltbild: Indie war gut, Werbung böse. "We care about Independent Pop Culture" - wir interessieren uns für die Unabhängigkeit der Popkultur - das hat Ralph Christoph, Leiter der c/o Pop Convention, auf Plakate und Akkreditierungen drucken lassen. 90 Referenten - Werbeleute, Popkritiker und Musiker - beleuchteten zwei Tage lang "Branded Entertainment": wie Musik- und Werbewelt zusammendriften. Hat es natürlich immer schon gegeben: Wo wären sonst diese Marken - ohne die Werbung von Musikern?
    "Sonor-Schlagzeuge, Gibson-Gitarren, Fender-Bässe. Das sind so die Klassiker. Nur, das hat sich verändert. Die klassische Musikindustrie, so wie wir sie kennen, ist geschrumpft. Nichtsdestotrotz war noch nie so viel Musik. In den Kanälen, wo sie früher nicht war. YouTube ist der größte Musikdistributor der Welt. Jetzt muss man gucken: Was macht man damit? Und dann kommt so was wie Branded Entertainment ins Spiel."
    Hinter den Kulissen der Pop- und Werbebranche
    Und meine Jugendhelden. Die Musik der Pixies begegnet mir als Werbe-Spot im Netz, für heute Siebzehnjährige, wahlweise zum Wegklicken. Hoffentlich haben die Pixies einen guten Vertrag mit Apple ausgehandelt, um sich das auch bezahlen zu lassen.
    "Dazu kommt die Generation von Musikkonsumenten: Denen macht das nicht so viel aus, die haben ein entspanntes oder auch anderes Verhältnis dazu, dass Marken Teil ihres Lebens sind."
    Mal erhellend, mal amüsant ließen Pop- und Werbebranche hinter die Kulissen blicken. Zum Beispiel ein Referent der "Red Bull Academy" in New York. Die gibt es seit 17 Jahren. Eine Erwähnung einer in dieser Academy ausgebildeten Band im Feuilleton der New York Times sei mehr wert als verkaufte Getränkedosen, sagt der Werbemann aus Amerika. Ein anderer offenbart, es habe Versuche gegeben, Abba zu reanimieren. Sie sollten anstatt "Money, Money, Money" "Pfanni, Pfanni, Pfanni" singen. Abba lehnte ab. Im werbemäßig eher konservativen Deutschland wandere der Musiker auf einem schmalen Grat, sagt einer der Experten. Ein Konzertpublikum will keine Werbesongs hören. Friedrich Liechtenstein sei eine interessante Ausnahme. Er habe keinen Imageverlust erlitten mit seinem Edeka-Song.
    Die c/o Pop bot mit hundert Konzerten Gelegenheit, den tagsüber gehörten Content auf Manifestationen in der Praxis abzuklopfen.
    "A: Entdeckungen von neuen Bands. B: In der Stadt, sehr zentral, sehr fußläufig und C: auch mal an sehr ungewöhnlichen Orten."
    Da waren Headliner wie Agnes Obel, die wiedervereinigten Ton Steine Scherben oder Trümmer aus Hamburg. Sie spielten an teils ungewöhnlichen Orte wie der Philharmonie, blieben aber im klassischen Popkonzertmodus. Noch spannender wurde es im Off-Programm. Etwa bei "Chique Belgique": Mehrere Modegeschäfte hatten sich zusammen getan. Parallel zur Musik wurden bis nach Mitternacht Klamotten verkauft. Auch der Bike Shop "Radfieber" wurde zum Konzertveranstalter für eine Nacht.
    "Super, hat Spaß gemacht. - Auf jeden Fall das erste Mal, dass ich in einem Fahrradladen ein Konzert gesehen habe."
    Zurück im Independent-Popweltbild
    Radfieber-Geschäftsführer Marcel Jansen war anfangs etwas renitent:
    "Es gab so einen Pool von der c/o Pop, haben die uns vorgeschlagen, wir haben gesagt, wir machen nur mit, wenn wir die Bands aussuchen dürfen. Wir haben hier keine Werbeschilder aufgehangen. Wir lieben Musik. Alles ist gut."
    Da spielten "2Shy2Dance", gegründet in New York, von Carlos Ricaurte aus Kolumbien. Derzeit ist Köln die Homebase. Die Band pendelt, so gut sie das finanzieren kann, mit ihren Konzerten zwischen Europa und den beiden Amerikas. Ein internationales Projekt: für mich eine Entdeckung.
    Eigenwerbung zu machen, das sei absolut sekundär, sagt Marcel Jansen vom Fahrradladen. Und was er schon gar nicht will: wenn etwa Brauereien aufdringlich werden.
    "Die bringen uns einen Kühlschrank und einen Kasten Bier. Dann kommt so eine Werbetante. Die möchte dann ein Foto machen und sagt uns: Der Kühlschrank müsste besser positioniert werden! Das ist wirklich der Horror. Die wollen einen Riesenwerbeeffekt haben. Aber irgendwie hat da keiner Bock drauf."
    Und ich bin, nach fünf Tagen c/o Pop, auch erleichtert, zurück in meinem Independent-Popweltbild. Ich hatte schon Albträume, Musiker müssten schon bald wie Fußballer mit Trikotwerbung aufspielen. Doch das wird der Werbebranche nicht gelingen. Denn dann wäre der Popmusik die autonome Kraft entzogen. Ultimativ.