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Cäsiumkonzentrationen deuten auf Kernschmelze hin

Auf die Informationspolitik des japanischen Atomministers sollte man sich nach Ansicht des Strahlenbiologen Edmund Lengfelder nicht verlassen. Es sei der Versuch, die Bevölkerung ruhig zu halten, denn großräumige Evakuierungen seien aufgrund der dichten Besiedlung Japans schwierig.

Edmund Lengfelder im Gespräch mit Friedbert Meurer | 14.03.2011
    Friedbert Meurer: Beginnen wir mit einigen wenigen Meldungen von heute Morgen. An den Stränden in Japan sind allein in der Nacht 1000 Leichen angeschwemmt worden. In den japanischen Krisengebieten - das ist jetzt eine andere Meldung - gibt es zu wenig Leichensäcke und Särge.

    Japan durchleidet einen Albtraum, der noch nicht zu Ende ist. Die Helfer haben Mühe, überall hin vorzudringen, es fehlt an Lebensmitteln, diejenigen, die überlebt haben, müssen sich gegen Hunger und Kälte wappnen. Und um die betroffenen Kernkraftwerke herum sind fast 200.000 Menschen evakuiert worden.

    In München begrüße ich nun Professor Edmund Lengfelder. Er ist Strahlenbiologe dort an der Universität München. Guten Tag, Herr Lengfelder.

    Edmund Lengfelder: Grüß Gott!

    Meurer: Wir hören hier einige Meldungen, die nicht unbedingt wirklich beruhigend sind: Eine neue Explosion in einem Reaktor, es soll eine Strahlenwolke geben, durch die ein US-Flugzeugträger durchgefahren ist. Andererseits sagt der zuständige japanische Minister, er schließt aus, es gibt kein neues Tschernobyl. Glauben Sie ihm das?

    Lengfelder: Ich darf Sie mal kurz unterbrechen.

    Meurer: Können Sie mich hören, Herr Lengfelder?

    Lengfelder: Ja, ich höre Sie jetzt.

    Meurer: Der japanische Atomminister behauptet, es gibt kein neues Tschernobyl. Nehmen Sie ihm das ab?

    Lengfelder: Also das ist mit absoluter Sicherheit eine Fehlmeldung, oder eine beruhigende Meldung, die der Wahrheit nicht entspricht. Wenn man Tschernobyl und das, was in Japan passiert, miteinander vergleicht, heißt es ganz klar, in Japan haben wir jetzt bereits mehrere Reaktoren, bei denen die Kühlung versagt. In einem Fall ist bekannt geworden, dass Cäsium in großer Menge ausgetreten ist. Das kann nur sein bei einer Kernschmelze, bei der Menge, die dort aufgetreten ist. Das heißt, die Aussage dieses Staatslenkers, Staatsführers ist nicht zutreffend.

    Meurer: Warum tut sich die japanische Regierung so schwer zu sagen, ob es nun eine Kernschmelze gegeben hat oder nicht? Will sie nicht, oder weiß sie es nicht?

    Lengfelder: Also sie weiß es sicherlich besser als die meisten Journalisten, die diese Meldungen zu uns bringen. Sie werden versuchen, von der japanischen Regierung aus die Bevölkerung weiterhin zu beruhigen und den Eindruck zu erwecken, dass man die Lage halbwegs im Griff hat, denn es geht ja nicht nur jetzt um die radiologischen Folgen, sondern es geht ja auch um die Versorgungsfrage, dass die Bevölkerung, wie man hört, über die Hamsterkäufe etc. ja schon großräumig bis Tokyo hinunter eigentlich sehr beunruhigt ist, und diesen Zustand möchte die Regierung vermeiden.

    Meurer: Wie stellt sich für Sie, wie stellen sich für Sie, Herr Professor Lengfelder, die Meldungen dar, wie die japanische Regierung, wie die Experten versuchen, mit Meerwasser zu kühlen?

    Meurer: Darf ich mal kurz unterbrechen. Sie zeichnen das ja auf?

    Meurer: Es ist live! Wir sind live auf Sendung, Herr Lengfelder.

    Lengfelder: Okay, dann machen wir weiter. – Die Versuche, mit Meerwasser zu kühlen, das ist ein, denke ich mal, verzweifelter Versuch, weil auch das Meerwasser, das hineingepumpt wird, muss ja irgendwo weiterfließen, wieder abgelassen werden, um die Wärme zu transportieren.

    Meurer: Kann dieser Versuch funktionieren, oder halten Sie das für unmöglich?

    Lengfelder: Ich bin sehr skeptisch.

    Meurer: Sie sind sehr skeptisch?

    Lengfelder: Ich bin sehr skeptisch, ja.

    Meurer: Welches Szenario stellt sich für Sie jetzt dar?

    Lengfelder: Also die Kernschmelze wird nach meiner Einschätzung, so wie sich das weiterentwickelt, weitergehen. Das heißt, es werden mehr geschmolzene Kernbrennstäbe in dem Reaktorgefäß sein und dann mit den ganzen Folgen – es kann auch eine Dampfexplosion eintreten – und die Freisetzung noch viel größere Mengen an radioaktiven Stoffen.

    Meurer: Sie sehen relativ schwarz. Was wären die Folgen für die Bevölkerung in Japan und in der Umgebung des Kernkraftwerks?

    Lengfelder: In Japan ist es dramatisch, weil man große Flächen evakuieren muss, und die Unterbringungsmöglichkeiten für diese Flächen sehe ich nicht. Aber ich bin nicht ein japanischer Katastrophenminister, also ich kenne mich da auch zu wenig aus.

    Meurer: Wir haben ja bei Tschernobyl erlebt, dass die Strahlenwolke Tausende Kilometer ...

    Lengfelder: Ich muss hier jetzt unterbrechen und woanders hingehen, zu einem fest zugesagten Termin. Es tut mir leid.

    Meurer: Wir haben Verständnis dafür, Herr Professor Lengfelder. Gehen Sie bitte zu Ihrem Termin. Wir danken dafür, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben.

    Lengfelder: Gerne.

    Meurer: Danke schön für das Gespräch. Es geht eben in diesen Tagen leider auch bei uns etwas hektisch zu.