Am 20. Juni 1995 verließ der rumänische Philosoph in einem Pariser Krankenhaus den "Zustand des Nicht-Selbstmordes" - so seine Charakterisierung des menschlichen Lebens, dem er nur ein Minimum an Erträglichkeit abgewinnen konnte. Ob wir seiner Stimme lauschen oder nicht - wäre ihm wohl gleichgültig gewesen, da unser "Schicksal" nichts weiteres sei "als ein um ein Paar Flecken Blut herumzappelndes Ritornell". An Ciorans Blut erinnert nur noch die Asche in der Urne, während wir noch immer von den Schwingungen seiner Stimme aus dem "Gefüge" der "Albernheiten" unserer täglichen Verrichtungen aufgeschreckt werden. Lesen nur Masochisten die Werke Ciorans? Oder steckt hinter seiner unbarmherzigen Zerfetzung unserer IIlusionen etwa ein wahrer Kern?
Der Masochist steht für Cioran der Wahrheit näher als der Idealist, der im süßen Wahn seiner vergeblichen Hoffnungen schwimmt, oder auch als der sogenannte Realist, der in der Hängematte des positiv Gegebenen in einem metaphysischen Schlaf vegetiert. "Ich schreibe nur, wenn ich deprimiert bin, im Zustand der Verlassenheit und der Verzweiflung. Ich könnte sagen, die Verzweilfung in mir ist eine tägliche Erfahrung. Auf französisch ist der Ausdruck ‘cafard’; es gibt kein deutsches Wort dafür, vielleicht ‘Katzenjammer’."
Dieser ‘Katzenjammer’ gab der Compact Disc ihren Titel: "Cafard" – Zeugnis eines Angehörigen der Spezies "Mensch", die Cioran "ekeleinflößend" empfand. "Ich habe immer nur über dieselben Probleme dasselbe geschrieben. Es ist ein Wiederkäuen, ein unendliches Wiederkäuen von unmöglichen Sachen, von jemandem, der abseits gelebt hat und willentlich unnötig war."
Peter Sloterdijk charakterisiert Ciorans geistige Verdauungsprozesse in dem Nachwort des liebevoll gestalteten Begleitbuchs keineswegs als "willentlich unnötig", sondern als "unnachahmlich". Existentialismus, Positivismus, Phänomenologismus, Strukturalismus und andere geistige Strömungen des 20. Jahrhunderts wären dagegen nur Brutstätten für seichtes Epigonentum gewesen. Einsam und unvergleichlich stünde Ciorans "Mediation des Unerhörten" in der literarischen Brandung. Adornos "Akte des kritischen Lebens" wäre im Vergleich zu Cioran nur "Abkömmling" eines "Schlafprivilegs". Mit weniger gestelzten Worten: Adorno stimuliere zum Gähnen, Cioran fungiere dagegen als Wachmacher, weil er uns zum Protest gegen Gott anstifte. Hätte Cioran zu Lebzeiten einen ebenso rhetorisch geschulten Fürsprecher wie Sloterdijk gehabt, wäre er vermutlich Bestsellerautor geworden.
Aus der "Position einer permanenten ontologischen Kreuzigung" heraus habe Cioran den Rest der literarischen Produktionen des 20. Jahrhunderts als vergebliche Strampelei entlarvt. Sloterdijk stellt die "vollendete Idiosynkrasie" von Ciorans Kunst des Aphorismus wegen seiner "Unnachahmlichkeit" und Einzigartigkeit auf das Podest der Unhinterfragbarkeit. Ecstasy für Akademiker?
Zwar sei "Ciorans Apotheke" als Selbstbedienungsladen für Nachahmer unbrauchbar. Der "therapeutische Wert" seiner Schriften läge aber in der "Immunisierung" gegen das "Gebet der Müdigkeit", das uns real-existierende Menschen so sehr in Atem hält. "Es ist nicht wahr, ich habe Hoffnungen, wie alle anderen. Aber ich weiß, diese Hoffnungen sind unreal. Und das ist der einzige Unterschied zwischen meiner Weltanschauung (...) und der der anderen. Ich habe alle Hoffnungen und mache alle Dummheiten, die die anderen machen. Aber ich bin mir absolut bewußt der Substanzlosigkeit von allem, was ich mache."
Die Substanzlosigkeit des Lebens schlechthin war das große Thema des rumänischen Philosophen, der wie Nietzsche kein System aufstellen wollte, sondern nur mit seinem Blut schrieb. "Die Lehre vom Zerfall", "Syllogismen der Bitterkeit", "Vom Nachteil geboren zu sein" oder "Auf den Gipfeln der Verzweiflung": Das sind keineswegs die Buchtitel eines chronischen Pessimisten, sondern eines Optimisten, den die Vergänglichkeit der Dinge zur Heiterkeit stimulierte. "Ich glaube nicht, daß das morbid ist. Ich glaube, daß – unglücklicherweise oder glücklicherweise, wie man will – die Nachtseite der Dinge viel wesentlicher ist als die lichte."
Die "Nachtseite der Dinge" war für Cioran das Negativ des Lebens, das er in seinem Sinn fundamental in Frage stellte. Darin erwies er sich als ein Gnostiker, deren Lehren er schon früh für sich entdeckt hatte. Die Gnostiker - die auf dem Balkan als "Bogumilen" schon vor Jahrhunderten in Erscheinung traten - sind davon überzeugt, daß die Geburt eine Katastrophe sei und die Schöpfung eine Fehlkonstruktion eines bösen Demiurgen. "Ich war von dieser Idee eines schlechten Gottes besessen. (...) Und diese Idee hat ihren Höhepunkt im Balkan gehabt. (...) Deswegen habe ich dieses Buch "Die verfehlte Schöpfung" geschrieben. Es ist beeinflußt von diesen Bogumilen. Selbstverständlich kann man solch eine Idee logisch kritisieren. Aber gefühlsmäßig ist das doch verständlich. Die Schöpfung ist nicht vereinbar mit der Idee eines guten Gottes. Das Böse ist im Leben doch wesentlich. Das kann man nicht bestreiten."
Aus dieser Aussage wird deutlich, daß es keineswegs die Unnachahmlichkeit ist – wie Sloterdijk behauptet -, die Ciorans Bedeutung ausmacht. Ciorans inhaltliche Aussagen sind nur ein Schattenwurf der mehr als 2000 Jahre alten gnostischen Lehre. Beeindruckend aber ist und bleibt die Sprachgewalt, mit der diese Gedanken aus der Glut authentischer Empfindungen im späten 20. Jahrhundert noch immer die Fassaden satter Selbstzufriedenheit einzureißen vermögen. Auf der 74minütigen CD präsentieren die Herausgeber die wichtigsten Zitate aus Gesprächen und Interviews mit dem 1995 verstorbenen rumänischen Philosophen, dessen wildes Denken sich jeder Systematik entzieht. Zusammen mit dem aufwendig gestalteten Begleitbuch nebst vielen Fotos insgesamt ein gelungenes Produkt – interessant nicht nur für potentielle Selbstmörder: "Die Selbstmordidee hilft einem, das Leben zu ertragen. Die Selbstmordidee muß eine positive Idee sein. (...) Das ist der einzige Beweis, daß der Mensch ein freies Wesen ist, daß er nicht in einem Kerker ist. (...) Ohne die Idee des Selbstmords hätte ich mich seit langem getötet. Und das ist vielleicht die Zusammenfassung meiner Einstellung."
Der Masochist steht für Cioran der Wahrheit näher als der Idealist, der im süßen Wahn seiner vergeblichen Hoffnungen schwimmt, oder auch als der sogenannte Realist, der in der Hängematte des positiv Gegebenen in einem metaphysischen Schlaf vegetiert. "Ich schreibe nur, wenn ich deprimiert bin, im Zustand der Verlassenheit und der Verzweiflung. Ich könnte sagen, die Verzweilfung in mir ist eine tägliche Erfahrung. Auf französisch ist der Ausdruck ‘cafard’; es gibt kein deutsches Wort dafür, vielleicht ‘Katzenjammer’."
Dieser ‘Katzenjammer’ gab der Compact Disc ihren Titel: "Cafard" – Zeugnis eines Angehörigen der Spezies "Mensch", die Cioran "ekeleinflößend" empfand. "Ich habe immer nur über dieselben Probleme dasselbe geschrieben. Es ist ein Wiederkäuen, ein unendliches Wiederkäuen von unmöglichen Sachen, von jemandem, der abseits gelebt hat und willentlich unnötig war."
Peter Sloterdijk charakterisiert Ciorans geistige Verdauungsprozesse in dem Nachwort des liebevoll gestalteten Begleitbuchs keineswegs als "willentlich unnötig", sondern als "unnachahmlich". Existentialismus, Positivismus, Phänomenologismus, Strukturalismus und andere geistige Strömungen des 20. Jahrhunderts wären dagegen nur Brutstätten für seichtes Epigonentum gewesen. Einsam und unvergleichlich stünde Ciorans "Mediation des Unerhörten" in der literarischen Brandung. Adornos "Akte des kritischen Lebens" wäre im Vergleich zu Cioran nur "Abkömmling" eines "Schlafprivilegs". Mit weniger gestelzten Worten: Adorno stimuliere zum Gähnen, Cioran fungiere dagegen als Wachmacher, weil er uns zum Protest gegen Gott anstifte. Hätte Cioran zu Lebzeiten einen ebenso rhetorisch geschulten Fürsprecher wie Sloterdijk gehabt, wäre er vermutlich Bestsellerautor geworden.
Aus der "Position einer permanenten ontologischen Kreuzigung" heraus habe Cioran den Rest der literarischen Produktionen des 20. Jahrhunderts als vergebliche Strampelei entlarvt. Sloterdijk stellt die "vollendete Idiosynkrasie" von Ciorans Kunst des Aphorismus wegen seiner "Unnachahmlichkeit" und Einzigartigkeit auf das Podest der Unhinterfragbarkeit. Ecstasy für Akademiker?
Zwar sei "Ciorans Apotheke" als Selbstbedienungsladen für Nachahmer unbrauchbar. Der "therapeutische Wert" seiner Schriften läge aber in der "Immunisierung" gegen das "Gebet der Müdigkeit", das uns real-existierende Menschen so sehr in Atem hält. "Es ist nicht wahr, ich habe Hoffnungen, wie alle anderen. Aber ich weiß, diese Hoffnungen sind unreal. Und das ist der einzige Unterschied zwischen meiner Weltanschauung (...) und der der anderen. Ich habe alle Hoffnungen und mache alle Dummheiten, die die anderen machen. Aber ich bin mir absolut bewußt der Substanzlosigkeit von allem, was ich mache."
Die Substanzlosigkeit des Lebens schlechthin war das große Thema des rumänischen Philosophen, der wie Nietzsche kein System aufstellen wollte, sondern nur mit seinem Blut schrieb. "Die Lehre vom Zerfall", "Syllogismen der Bitterkeit", "Vom Nachteil geboren zu sein" oder "Auf den Gipfeln der Verzweiflung": Das sind keineswegs die Buchtitel eines chronischen Pessimisten, sondern eines Optimisten, den die Vergänglichkeit der Dinge zur Heiterkeit stimulierte. "Ich glaube nicht, daß das morbid ist. Ich glaube, daß – unglücklicherweise oder glücklicherweise, wie man will – die Nachtseite der Dinge viel wesentlicher ist als die lichte."
Die "Nachtseite der Dinge" war für Cioran das Negativ des Lebens, das er in seinem Sinn fundamental in Frage stellte. Darin erwies er sich als ein Gnostiker, deren Lehren er schon früh für sich entdeckt hatte. Die Gnostiker - die auf dem Balkan als "Bogumilen" schon vor Jahrhunderten in Erscheinung traten - sind davon überzeugt, daß die Geburt eine Katastrophe sei und die Schöpfung eine Fehlkonstruktion eines bösen Demiurgen. "Ich war von dieser Idee eines schlechten Gottes besessen. (...) Und diese Idee hat ihren Höhepunkt im Balkan gehabt. (...) Deswegen habe ich dieses Buch "Die verfehlte Schöpfung" geschrieben. Es ist beeinflußt von diesen Bogumilen. Selbstverständlich kann man solch eine Idee logisch kritisieren. Aber gefühlsmäßig ist das doch verständlich. Die Schöpfung ist nicht vereinbar mit der Idee eines guten Gottes. Das Böse ist im Leben doch wesentlich. Das kann man nicht bestreiten."
Aus dieser Aussage wird deutlich, daß es keineswegs die Unnachahmlichkeit ist – wie Sloterdijk behauptet -, die Ciorans Bedeutung ausmacht. Ciorans inhaltliche Aussagen sind nur ein Schattenwurf der mehr als 2000 Jahre alten gnostischen Lehre. Beeindruckend aber ist und bleibt die Sprachgewalt, mit der diese Gedanken aus der Glut authentischer Empfindungen im späten 20. Jahrhundert noch immer die Fassaden satter Selbstzufriedenheit einzureißen vermögen. Auf der 74minütigen CD präsentieren die Herausgeber die wichtigsten Zitate aus Gesprächen und Interviews mit dem 1995 verstorbenen rumänischen Philosophen, dessen wildes Denken sich jeder Systematik entzieht. Zusammen mit dem aufwendig gestalteten Begleitbuch nebst vielen Fotos insgesamt ein gelungenes Produkt – interessant nicht nur für potentielle Selbstmörder: "Die Selbstmordidee hilft einem, das Leben zu ertragen. Die Selbstmordidee muß eine positive Idee sein. (...) Das ist der einzige Beweis, daß der Mensch ein freies Wesen ist, daß er nicht in einem Kerker ist. (...) Ohne die Idee des Selbstmords hätte ich mich seit langem getötet. Und das ist vielleicht die Zusammenfassung meiner Einstellung."