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Callcenter
Warteschleife war gestern

Öde Warteschleifenmusik, nervige Sprachcomputer, uninteressierte Agenten. Das war einmal. Die Callcenter-Branche versucht sich gerade neu zu erfinden, nachdem in Deutschland einige große Betriebe schließen oder ins, meist osteuropäische, Ausland abwandern mussten.

Von Wolfang Noelke | 22.02.2014
    Der Preis geht an Frau Regina Lange von der Telefonica (Applaus)
    Der erstmals verliehene Innovationspreis der Callcenter-Branche feiert - ein, beim Telefongespräch sich öffnendes Videofenster. Warum erst jetzt, nachdem Skype seit vielen Jahren schon zu selbstverständlichen Internetanwendungen gehört? Der Unterschied zu Skype, so Regina Lange vom Preisträger Telefonica, sei, dass das Videofenster ganz ohne Zusatzsoftware funktioniere und - ausschließlich ein Bild des Callcenter-Agenten zeige. Einen Video- Rückkanal gäbe es grundsätzlich nicht, den deutschen Kunden zuliebe:
    "Der deutsche Kunde schätzt seine Privatsphäre sehr. In anderen europäischen Ländern, wie zum Beispiel Spanien ist das ein bisschen was Anderes. In Deutschland muss man da sehr stark darauf achten, dass man sicherstellt, dass es One-Way ist. Das ist auch spannenderweise immer eine der ersten Fragen unserer Kunden: "Sehen Sie mich denn jetzt auch?"
    Zeit erforderte auch die Wünsche des Betriebsrats zu berücksichtigen, sowie eine spezielle Schulung der Mitarbeiter:
    Schauspieler bringen Agenten auf Trapp
    "Das geht hin bis, dass wir Schauspieler engagiert haben, die wirklich Kamera-Training mit den Agenten machen, dass die Agenten einfach auch die Sicherheit vor der Kamera haben, die sie brauchen, um einen 8-Stunden Alltag da zu meistern."
    Ähnlich, wie die kostenpflichtige telefonische Bahn- Auskunft für die meisten Nutzer nur noch eine Ergänzung ist, der kostenlosen Bahn-App, werden Callcenter ihre Dienstleistungen künftig auf mehreren Kanälen anbieten müssen. Wie das, von Julia Bösch entwickelte Einkaufsportal für shoppingmüde Männer, „outfittery.de“. Außergewöhnlich daran ist die Datenbank, die sogar eine, zum Heimatort des Kunden passende Beraterin aussucht:
    Kunde soll sich wohlfühlen
    "Auch Dialekt ist wichtig. Unsere schweizerdeutschen Kunden werden auch alle auf Schweizerdeutsch bedient, beziehungsweise, sie können auswählen, ob sie auf Hochdeutsch oder auf Schweizerdeutsch bedient werden wollen. Das ist ein sehr wichtiger Faktor, damit sich der Kunde wohlfühlt."
    ...mit dem Erfolg, dass inzwischen 50 Stylistinnen, darunter zwei Männer dort arbeiten und die selbstlernende Datenbank die Vorlieben der Kunden sogar vorhersagen kann. Fachkompetenz zählt. Die Zeiten missmutiger, desinteressierter Callcenter- Agenten ist vorbei. Die Zeit krimineller Anrufer leider nicht. Die schaden dem Ruf der Branche sehr, bedauert Manfred Stockmann, Präsident des Call Center Verbandes e.V.:
    "Es ist nicht schwierig: Ich brauche nur 10 Leute und einen Power-Dialer, diese gesetzlich verbotenen Geräte einsetzen und kann innerhalb einer Woche Deutschland "verseuchen", im wahrsten Sinne des Wortes."
    Betrug aus türkischen Callcentern
    Diese Anrufe kämen überwiegend aus der Türkei, sagt der Mitarbeiter eines seriösen türkischen Providers, aus Furcht vor Repressalien - nur bei ausgeschaltetem Mikrofon: Täter seien meist, aus Deutschland in die Türkei ausgewiesene Straftäter, die dort ihre guten Deutschkenntnisse nutzen, um deutschsprachige Senioren mit einem Gewinnspieltrick zu erpressen. 33 Millionen Euro betrage der von den Opfern offiziell angezeigte Schaden. Das Dunkelfeld, sei wohl hundertmal höher, schätzt das Bundeskriminalamt. Dort ermittelt seit vier Monaten die, von Kriminaldirektor Michael Nagel geleitete Projektgruppe "Betrug aus türkischen Callcentern":
    "Bei fast allen diesen Anrufen, die über das Internet erfolgen, also sogenannte Voice-over-IP- Telefonate werden Software-Produkte eingesetzt, die man Call-ID- Spoofing nennt. Damit gelingt es, die Identität der Anrufer so zu verschlüsseln, dass es sehr aufwendig, in Teilen sogar unmöglich ist, die Anrufer tatsächlich rückzuverfolgen."
    Die Lösung - unveränderbare IP-Nummern für Internettelefonie, sei auch langfristig nicht als Standard durchsetzbar. Deswegen rät Michael Nagel, den gesunden, analogen Menschenverstand zu nutzen:
    "Niemand sollte auf Gewinnversprechen eingehen, die an Vorauszahlungsleistungen gebunden sind. Niemand sollte sich von angeblichen Amtspersonen unter Druck setzen lassen. Das machen deutsche Strafverfolgungsbehörden nicht und man sollte - das gilt ja generell im Umgang mit Betrugsmaschen, so wenig persönliche Daten, wie möglich herausgeben: keine Kontodaten, keine Kreditkarten-Nummern und auch sonst keine Kommunikationsdaten."

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