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Camera-Eye

Zwei Monate, nachdem er 1964 von Hans Wollschläger zum 50. Geburtstag eine Yashica 44 geschenkt bekommen hat, einen Rollei-Nachbau mit, wie Wollschläger meint, "sehr guter hartzeichnender Optik, nur mit etwas weniger Bedienungskomfort", schreibt Arno Schmidt: "Den Fotoapparat hab’ ich studiert & verstanden: sobald sich der Nebel hebt, erfolgen die ersten Schnappschüsse, (ich bin ja neugierig !).–” Noch mal zwei Monate später erstattet Schmidt ein letztes Mal Bericht über die "Tugenden der YASHIKA" und das Unternehmen "Bargfeld color=historisch zu vereinnahmen". Details der Handhabung hat sich Schmidt von seinem Freund Wilhelm Michels erklären lassen, der ihm auch immer wieder Filme, vorzugsweise Farbfilme besorgte.

27.10.2003
    Arno Schmidts fotografische Ortschronik umfaßt 2500 Dias. Am häufigsten hat er Wiesen und Bäche abgelichtet, Wald, Himmel und Wolken, Haus und Garten, Bargfeld und Umgebung. 1959 war Schmidt nach häufigen Ortswechseln in das kleine Dorf in der Südheide gezogen und lebte dort bis zu seinem Tod 1979.

    Janos Frecot, der frühere Leiter der Photographischen Sammlung der Berlinischen Galerie, hat nun für die Arno Schmidt Stiftung, die den Nachlass verwaltet, einen ersten repräsentativen Auswahlband herausgegeben. Folgen soll ein zweiter Band, der die Lebens- und Arbeitswelt von Arno und Alice Schmidt dokumentiert.

    Auf 160 Seiten werden Schauplätze, Details und andere Stereotypen sichtbar, die für Schmidts große Spätwerke "Zettel’s Traum" oder "Abend mit Goldrand" von Bedeutung sind. Das Dorf der sechziger und siebziger Jahre, gepflasterte Straßen, ein bescheidenes Schriftstellerhaus, immer wieder Katzen, immer wieder Alice Schmidt, gern im Badeanzug, Mähdrescher und Schmetterling, Strommast, Feldmohn und immer wieder Bachläufe, dunkle Wolkenformationen, das "Schauerfeld", wo "Zettel’s Traum" seinen Anfang nimmt, geborstene Bäume nach dem großen Sturm von 1972, und manchmal ragt der lange Schatten des fotografierenden Schmidt ins Bild. Was aber soll’s?

    Grund für die Publikation, so Janos Frecot, war Arno Schmidts fotografische Poetologie. Damit ist eigentlich nur gemeint, dass Schmidt, um sein Verfahren zu beschreiben, Metaphern aus der Fotografie benutzt. Seine fotografische Praxis soll nun aber auch als die andere Gestalt der literarischen Praxis erscheinen. In den frühen 50er Jahren hatte Schmidt "Berechnungen" geschrieben und darin unter anderem Analogien zwischen Fotografie und Erinnerung hergestellt. Doch selbst da wird schnell klar, daß der Prozeß der Erinnerung die Einzelbilder in Bewegung setzt und sich dann gleich nach dem Film als der erweiterten Ausdrucksform sehnen müsste, um der unvollkommenen Sprache auszuhelfen. Schmidts Ehrgeiz aber zielte in die entgegengesetzte Richtung: seine literarische Sprache so zu trainieren, dass sie mit den Bildtechniken mithalten, besser noch: sie übertrumpfen kann.

    Die Leute, die mich besuchen kommen, wundern sich manchmal, dass die Gegend hier öde wäre. Wenn sie nämlich, mit einem meiner Bücher in der Hand dann einen beschriebenen Weg entlang gehen – und sie sehen – nichts. Das liegt natürlich daran, dass ich diese Wege 100 Mal gegangen bin – und – ich beschwöre das gern, ich habe Alles, was ich auf diesem Wege sich abspielen lasse, auf diesem Wege gesehen. Ich habe da ein – gewisses Verantwortungsgefühl gegenüber den Ereignissen, und – setze das dann natürlich alles – zu einem besonders schönen Wege zusammen. Man bedenke, dass es, wenn ich das nicht täte, furchtbar langweilig wäre.

    Frecot will etwas anderes zeigen. Viele sind schon an dem versuch gescheitert, Arno Schmidt in den Kontext der Moderne zu führen. Biederkeit, Ressentiment, bei jeder Gelegenheit die Pose des Einzelgängers, dem die Welt nichts dankt: eine schwierige Aufgabe. Dazu war, was Schmidt von Kunst, Film und Fotografie, selbst von der Literatur des 20. Jahrhunderts wahrgenommen hat, weitgehend frei von Avantgardeberührungen. Sehr wohlwollend könnte man Schmidts schwiemeligen Realismusbegriff als Berührungsangst bezeichnen. So jemanden dann, wie Frecot, mit Man Ray, Renger-Patzsch, August Sander, Bernhard Johannes Blumes oder Marcel Broodthaers zu konfrontieren, wirkt leicht merkwürdig. Natürlich will auch Frecot Schmidt nicht zum Fotokünstler ernennen. Doch spekuliert er immerhin auf subkutane Verbindungen zwischen Fotokunst und Schmidts Textwelten.

    Und doch, zieht man das als fehlgeleiteten Legitimationsquark mal ab, bleiben Material und Perspektive interessant. Das Wunder von Schmidts Sprache, die alles verwandelt und durchsichtig macht, alles Widerliche und Entlegene, alles Kleine – das alles erklären die Fotos nicht. Doch fügen sie etwas hinzu. Man könnte, um die eigene Vorstellung von der kleinen Schmidt-Welt in den großen Büchern nicht zu enttäuschen, sondern um sie zu bestärken, vielleicht sie zu erweitern, die Fotos als zusätzliche Inszenierungen ansehen: die Welt mit ihrem niedrigen Horizont, wie Schmidt sie sehen wollte.