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Carl Diem - Sportfunktionär und Antisemit?

Gegenwärtig wird über die heikle Vergangenheit des früheren Sportfunktionärs und Organisators der Olympischen Spiele 1936, Carl Diem, heftig diskutiert. Es geht darum, wie Diem, nach dem auch Straßen und Sportanlagen benannt sind, historisch eingeordnet werden sollte.

Von Jacqueline Boysen | 06.12.2010
    Dazu haben der Deutsche Olympische Sportbund, die Deutsche Sporthochschule und die Krupp-Stiftung eine Studie in Auftrag gegeben. Deren Ergebnisse werden aber nun kritisiert. Am Montag beschäftigte sich ein Symposium, das das Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin organisiert hat, ausführlich mit Carl Diem.

    Ein nationalsozialistischer Täter sei Carl Diem nicht, befindet der emeritierte Geschichtswissenschaftler Wolfgang Benz – wohl aber ...

    "... ein typischer Vertreter seiner Zeit, des Wilhelminismus, der Weimarer Republik, der nationalsozialistischen Zeit und der frühen Bundesrepublik. Und dort waren Ressentiments gegen Juden alltäglich und absolut gebräuchlich. Diese festzustellen, ist Aufklärung und nichts weiter."

    Der langjährige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, das sich mit seiner Tagung über Sport und Nationalsozialismus bewusst in die Auseinandersetzung um den Olympiafunktionär Diem einmischt, betont, dass es nicht darum gehe, jemanden vom Sockel zu stoßen, wohl aber um Wahrhaftigkeit. Diese fordert auch der Historiker Ralf Schäfer ein, Autor einer wissenschaftlichen Arbeit über Diem. Auch Schäfer bezichtigt Carl Diem eines in seiner Zeit in bürgerlichen Kreisen gesellschaftsfähigen Antisemitismus. Toleriert wurden allenfalls assimilierte Juden, wie die Familie von Diems Ehefrau Lieselott.

    "Das zieht sich durch bei Carl Diem. Krieg und Sport, vor allem auch Jugendliche für den Krieg und den Sport zu begeistern. Das macht er schon im Ersten Weltkrieg und das macht er auch im Zweiten Weltkrieg."

    Ralf Schäfer widerspricht vehement der These, dass Diem, der nie Mitglied der NSDAP war, sich vom Regime Hitlers ferngehalten habe. Vielmehr habe sich Carl Diem in Schuldzusammenhänge verstricken lassen, nicht zuletzt, als er noch am 18. März 1945 im Berliner Olympiastadion für den sogenannten Volkssturm eingezogene Jugendliche und alte Männer mit Durchhalteparolen traktierte.
    Dies ist der Hauptvorwurf, den der Historiker Frank Becker in seiner Studie erhebt, die von der Sporthochschule, dem Deutschen Olympischen Sportbund und der Krupp-Stiftung in Auftrag gegeben wurde. Beckers Studie, die Carl Diem nicht ent-, sondern belastet, wird nun aus den Reihen des offiziellen Sports in Deutschland kritisiert. Man distanziert sich von der selbst initiierten Forschung. Nach Ansicht von Ralf Schäfer, ein Beleg dafür, dass die Verbände nicht in der Lage seien, von innen heraus kritische Forschung zu betreiben:

    "Die Erinnerungspolitik, die der deutsche Sport macht, beschränkt sich letztlich auf einen ganz kleinen Kreis, der von persönlichen Loyalitäten geprägt ist."

    Frank Becker blieb krankheitsbedingt der heutigen Tagung in Berlin fern, und eine weitere Stimme im Streit um den Sportfunktionär ließ sich nicht hören: Manfred Lämmer vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft.

    Er wird am Ende der Woche seine Interpretation des Lebens Carl Diems liefern, wenn in an der Deutschen Sporthochschule in Köln dem umstrittenen Olympiafunktionär eine weitere Tagung gewidmet ist – der programmatische Titel: Carl Diem und andere große Männer der Sportgeschichte.