Carl Reinecke: "Piano Quartets - Piano Quintet"
Verglichen mit dem Sensibilisten Kienzl war der Spätromantiker Carl Reinecke ein Berserker und trotzdem kein Kraftkerl wie der von ihm verehrte Johannes Brahms. Reinecke war neun Jahre älter als Brahms und lebte bis 1910. Gemessen an ihm war Kienzl geradezu Modernist. Trotzdem legt man die neue CD des Linos Ensembles mit zwei Klavierquartetten und einem Klavierquintett Reineckes mit einiger Begeisterung auf. Natürlich stellt sich die Frage, wie einer im Jahr des Herrn 1905 ein Klavierquartett op. 272, - in Worten: zweihundertzweiundsiebenzig - in D-dur schreiben konnte, das so gar nicht berührt zu sein scheint von den damals vergangenen fünfzig Jahren Musik. Irgendwie gab es ja zu dieser Zeit schon eine Oper "Salome" von einem Richard Strauss, der sich nur ein Jahr später an die Arbeit zur "Elektra" machte. "Pélleas et Mélisande" waren ebenfalls bereits uraufgeführt, wenn auch noch nicht bis Deutschland gedrungen. Von noch viel radikaleren Ansätzen zu schweigen. Doch Carl Reinecke schrieb so, als komme er gerade vom Tee mit Mendelssohn. Indes auch hier gilt: einfach mal zuhören. Und da schreibt einer im zarten Alter von 81 Jahren eine jugendfrische Musik voll inneren Reichtums, die sicherlich hoffnungslos out of time war, aber was schert das unsereinen, ob dieses Stück nun hundert Jahre alt ist oder eigentlich hundertsiebenzig sein müßte. Das Linos Ensemble mit der Pianistin Konstanze Eickhorst hat sich in den letzten Jahren in solche Art von Musik prächtig hineingehört und sich dabei dem Stilempfinden der verspäteten Romantiker mit so - man möchte sagen: schauspielerischer Virtuosität - anverwandelt, dass man diesen Musikern auch jeden Ton glaubt. Primarius Winfried Rademacher kann sogar ein bisserl schmachten, wenn's gefällig ist. Schwung haben sie allemal, und technisch ist alles blitzsauber. So gut geputzt hat der Reinecke seine Stücke bestimmt nie zu hören bekommen, und letzten Endes ist es der spielerische Umgang mit diesen Kompositionen, der einen für die Musik Reineckes einzunehmen vermag. Das bedeutendste und zugleich umfangreichste Werk auf dieser CD ist sicher das Quintett in A-dur op. 83 aus dem Jahr 1866. Der Kopfsatz beginnt mit einer tiefgründigen langsamen Einleitung von kontrapunktischem Ernst, von dem sich der Komponist aber sehr bald verabschiedet, um ein Allegro von bezwingend freiem Gestus zu entwerfen. Und wenn man in die Durchführung hineinhört, stellt man fest: Komponieren konnte dieser Gewandhauskapellmeister und Leipziger Professor Reinecke mit traumwandlerischer Sicherheit. * Musikbeispiel: Carl Reinecke - 1. Lento. Allegro con brio (Ausschnitt) aus: Klavierquintett A-dur op. 83 Zuletzt hörten Sie einen Ausschnitt aus dem Kopfsatz Allegro con brio des Klavierquintetts A-dur op. 83 von Carl Reinecke, gespielt vom Linos Ensemble. Diese CD mit drei Werken Reineckes ist ebenso bei dem Versandlabel cpo erschienen wie die Neuproduktion von Liedern Wilhelm Kienzls mit Dagmar Schellenberger, die ich Ihnen zu Beginn vorstellte.