Diese Erfolgsgeschichte unter dem Motto "Genießen mit Verstand" hat sich der Gründer und Präsident von Slow Food, Carlo Petrini, vorgenommen. Aber um es gleich zu sagen: Das dabei entstandene Buch ist kein Genuss.
Klar wird immerhin das Ziel der Bewegung, hier im Zitat aus dem Slow-Food-Manifest:
Die Industriegesellschaft hat zuerst die Maschine erfunden und nach ihr das Leben modelliert. Mechanische Geschwindigkeit und rasende Beschleunigung werden zur Fessel des Lebens. Wir sind alle von einem Virus befallen: "Fast Life!" Unsere Lebensformen sind umgestürzt, unser häusliches Dasein betroffen - nichts kann sich der "Fastfood-Bewegung" entziehen. Aber der Homo sapiens muss sich von einer ihn vernichtenden Beschleunigung befreien und zu einer ihm gemäßen Lebensführung zurückkehren. Es geht darum, das Geruhsame, Sinnliche gegen die universelle Bedrohung durch das "Fast Life" zu verteidigen. Gegen diejenigen - sie sind noch die schweigende Mehrheit -, die die Effizienz mit Hektik verwechseln, setzen wir den Bazillus des Genusses und der Gemütlichkeit, was sich in einer geruhsamen und ausgedehnten Lebensfreude manifestiert.
Sicher ist nicht uninteressant, wie in den siebziger Jahren im piemontesischen Bra junge kulturell und sozial engagierte Leute, die einer linken landesweiten Freizeitorganisation nahe standen, sich zu Neo-Gourmands mauserten, traditionelle Osterien wiederbeleben und Kenntnisse über alte Lebensmittelspezialitäten vermitteln wollten und dabei auf allerlei Widerstände trafen. Die einen warfen ihnen vor, nur dem reinen Lustprinzip zu frönen, die etablierten Feinschmecker dagegen argwöhnten inkompetente ideologisch durchtränkte Eindringlinge.
Auch dass die Eröffnung einer McDonald’s-Filiale auf der Piazza die Spagna in Rom in einer Protestdemonstration als Gegenstück zu Fast Food den Namen der Bewegung Slow Food beförderte, ist vielleicht ein nettes Detail in diesem Buch.
Aber über viele Seiten werden Einzelheiten von Treffen sicher verdienter Mitstreiter des s geschildert (denen er übrigens das Buch gewidmet hat), die die wenigsten Leser interessieren dürften. Das hat etwas von sehr entbehrlicher Selbstbeweihräucherung. Carlo Petrini ist Journalist, kein begnadeter Systematiker und erst recht kein Schriftsteller. Die Schilderungen verschiedener Einzelthemen, die er in seinem Buch anspricht - McDonald’s mit seinem Geschäftsgebaren, die Problematik der Gentechnik oder der Verfall der Esskultur bei Jugendlichen -, bleiben abstrakt oder banal oder platt und münden mitunter in eine vage und allgemeine Gesellschafts- und Globalisierungskritik. Solchen Passagen folgen dann mitunter Aufrufe wie "Wir müssen..." ohne nachvollziehbare Begründung. Da spricht der Bauch, auch wenn der Titel "Genießen mit Verstand" heißt.
Auch die Sprache Petrinis ist genussuntauglich. Sie ist oft wenig anschaulich, manchmal umständlich und holprig. Erschwerend kommt an einigen Stellen in der deutschen Fassung dazu, dass man der Übersetzerin hier und da das Schwyzerdytsch anhört.
Mit diesen Mängeln taugt Petrinis Buch nur für eingefleischte Slow Food-Enthusiasten, die den geistigen und historischen Hintergrund ihrer Bewegung kennenlernen wollen.
Die Idee der Slow Food-Bewegung, dass nämlich genussvolle Ernährung ein wesentlicher Bestandteil von Lebensqualität ist, dass die Vielfalt von Produkten mit ihren regionalen und jahreszeitlichen Besonderheiten dazu gehören und die jeweiligen Anbau- und Herstellungsmethoden auch ein Stück Kultur sind, die dem Essen eine "Seele" geben und ebenso, dass diese Lebensmittel ihren Preis haben und nicht billig sein können - das alles verdient ein weit größeres Interesse. Man hätte sich ein Buch gewünscht, das zu lesen soviel Genuss vermittelt wie ein milder zarter Speck aus einer Colonnata von Carrara oder ein Rohmilchziegenkäse aus der Eifel.
Doris Badura besprach: "Slow Food - Genießen mit Verstand" von Carlo Petrini. Das Buch ist im Rotpunktverlag in Zürich erschienen, hat 212 Seiten und kostet 16.80 Euro.