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Carlos Fuentes: Die Jahre mit Laura Díaz, und weitere Bücher von Carlos Fuentes

Carlos Fuentes: Die Jahre mit Laura Díaz DVA, Stuttgart. 2000

Karl-Ludolf Hübener |
    Carlos Fuentes: Der vergrabene Spiegel. Die Geschichte der hispanischen Welt Hoffmann und Campe, Hamburg. 1992

    Carlos Fuentes: Landschaft im klaren Licht Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart. 1974

    Carlos Fuentes: Rede an die Bürger der USA in Gudrun Pausewang: Südamerika aus erster Hand Arena-Verlag, Würzburg, 2. Aufl. 1975

    La Maldicion de Malinche . Der Fluch der Malinche. Symbol des Verrats ... Heute im 20. Jahrhundert kommen immer noch Weiße und wir öffnen ihnen das Haus und nennen sie Freunde

    Am 2. Juli wählt Mexiko einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament. Alle Umfragen sprechen dafür, dass die PRI, die Partei der Institutionalisierten Revolution, nach über 70jähriger Herrschaft abgewählt wird. Es sei denn, ein Wahlbetrug rettet den Kandidaten der Regierungspartei, die sich wie eine Staatspartei gebärdet. Die PRI war der Motor der ersten sozialen Revolution in Lateinamerika. In den langen Jahrzehnten ihrer Alleinherrschaft hat sie dann aber das Land in einen beispiellosen Sumpf von Korruption geführt, und heute wirft sie mit einer akzentuiert neoliberalen Politik viele soziale Errungenschaften über Bord. Daran wird sich allerdings auch nichts ändern , wenn Vincente Fox, der aussichtsreiche Kandidat der Opposition, die Wahl gewinnt. Seine rechtsliberale Partei PAN will den Sozialabbau verschärfen, und sie will das Land noch weiter öffnen für US-amerikanische Investoren. Schon heute nutzen nordamerikanische Unternehmen das mexikanische Grenzgebiet als Billiglohnparadies. Die Mexikaner sind auf diese Arbeitsplätze angewiesen, und ihnen bleibt nichts anderes übrig, als die neokolonialen Praktiken des reichen Nachbarn zu akzeptieren. Wie kaum ein anderer hat der Romancier, Essayist und Diplomat Carlos Fuentes die amerikanisch-mexikanischen Beziehungen beleuchtet. Karl Ludolf Hübener fragt in dem folgenden Beitrag nach der politischen Bedeutung des Werks von Carlos Fuentes.

    Diego, Frida und Laura fuhren am nächsten Morgen mit dem Zug nach New York, um mit den geplanten Wandbildern im Rockefeller Center zu beginnen. Rivera war euphorisch, er wischte sich das Gesicht mit Benzin sauber, glücklich wie ein mutwilliges Kind, das seinen nächsten Spaß vorbereitet und immer wieder triumphiert: Von den Kapitalisten als Kommunist und von den Kommunisten als Kapitalist angegriffen, fühlte sich Rivera als reiner Mexikaner, als spottsüchtiger, spitzbübischer Mexikaner, mit mehr Stacheln als ein Stachelschwein, um sich gegen die Dreckskerle hier wie dort zu wehren, ohne die Ressentiments, die die Dreckskerle hier wie dort von vorneherein besiegten, begeistert, die Zielscheibe des Nationalsports zu sein, Diego Rivera anzugreifen, was ihn zur nationalen Größe gegen die Gringos machte...

    Carlos Fuentes liest auf einer Buchmesse aus seinem neuestem Werk: "Die Jahre mit Laura Díaz". - Die Auseinandersetzung mit der mexikanischen Identität und das Verhältnis zum nördlichen Nachbarn ziehen sich durch seine Romane und Essays, die in eigenen literarischen und politischen Zeitschriften sowie in Zeitungen wie beispielsweise in der "New York Times" oder "El País" erschienen sind. Carlos Fuentes, einer der bedeutendsten Vertreter der lateinamerikanischen Literatur, war immer auch ein politischer Schriftsteller.

    "Die Jahre mit Laura Díaz" führen durch ein Jahrhundert mexikanischer Geschichte und wiederum in die USA. Laura Díaz begleitet 1932 die berühmten Maler Frida Kahlo und Diego Rivera auf ihrer Reise nach New York und Detroit. Dort soll Diego Rivera ein Wandgemälde für den Autokönig Henry Ford entwerfen.

    Ich verstehe die Gesichter der Gringos nicht. Ich erforsche sie. Ich will sie lieben. Ehrenwort. Ich betrachte sie mit Sympathie und flehe sie an: Bitte sagt mir etwas. Das ist, als schaute man sich in einer Bäckerei an. Alle sind gleich. Sie haben keine Farbe. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Die Maschinen gelangen mir hervorragend, aber die Menschen sehen entsetzlich aus. Was mache ich nur?

    Carlos Fuentes, der Sohn eines Diplomaten, verbrachte einen Teil seiner Kindheit in den USA. Der studierte Jurist lebte später abwechselnd in Mexiko und in den USA. Heute schreibt er in London, weil er dort anonym bleiben und deshalb besser arbeiten könne. Doch regelmäßig reist er nach Mexiko und in die Vereinigten Staaten, um Vorträge und Vorlesungen zur Literatur an den Universitäten in Princeton und Harvard zu halten. Der Vielgereiste braucht den Abstand zu Mexiko, um sich - wie er einmal sagte - Mexiko immer wieder aus der Ferne nähern zu können. Zudem hat Carlos Fuentes immer auch für das Publikum in den USA geschrieben.

    Wahrscheinlich hat Jorge Castañeda, der renommierte Landsmann, Sozialwissenschaftler und ebenfalls Lektor an nordamerikanischen Universitäten, am besten Fuentes' Stellung in der nordamerikanischen Gesellschaft erfasst.

    Wir können seine Bedeutung in den Vereinigten Staaten in drei Punkten zusammenfassen. Erstens: Fuentes ist gewissermaßen Teil des nordamerikanischen Establishments geworden. Zweitens: Er hat das erreicht, ohne jemals vor den Nordamerikanern in die Knie zu gehen oder ihnen nach dem Mund zu reden. Witz, Talent und Zivilcourage von Fuentes bestehen darin, Erfolg in den USA zu haben - ohne das Spiel der Nordamerikaner zu spielen. Das ist einzigartig und bewundernswert. Drittens: Wichtig an Präsenz und Auftritt in den Vereinigten Staaten ist, wie Fuentes dort seit kurzem an internen Debatten mitwirkt. Er ist nicht nur ein verirrter radikaler Lateinamerikaner, dem die Nordamerikaner neugierig zuhören, sondern er ist zu einem Darsteller auf der politischen, kulturellen und literarischen Bühne der Vereinigten Staaten geworden.

    So hat er wiederholt in den USA das Handelsembargo gegen Kuba angegriffen. Wenn Clinton dieses aufhebe, werde er...

    ... mit Sicherheit das Buch des Kalten Krieges ein für allemal zuklappen. Die ganze Welt wird ihm stehend applaudieren.

    Während das autoritär regierte Mexiko im "perfekten Missklang" mit den Werten der Moderne geboren wurde, sei das Gegenteil beim Nachbarn der Fall:

    Die Vermählung von Religion und Kommerz; freie Wirtschaft; freier Zugang zu Informationen; politische Autonomie; Skeptizismus; Kritik; Gewaltenteilung; gegenseitige Kontrolle und Gleichgewicht der Kräfte; Föderalismus.

    Ein reichlich übertriebenes Lob. Nur verständlich vor den Erfahrungen mit dem Heimatland, das sein Schriftstellerkollege Mario Vargas Llosa einmal als "perfekteste Diktatur Lateinamerikas" bezeichnet hat. Carlos Fuentes schrieb in "Der vergrabene Spiegel. Die Geschichte der hispanischen Welt":

    Wir haben die Vereinigten Staaten stets als eine Demokratie nach innen und eine Weltmacht nach außen wahrgenommen: Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Die Demokratie haben wir bewundert, die Weltmacht beklagt. Und wir haben unter den Handlungen dieses Landes gelitten, das sich im Rahmen historischen Sendungsbewusstseins, mit Rohrstock, Dollardiplomatie und kultureller Arroganz ständig in unser Leben eingemischt hat.

    "Der vergrabene Spiegel" ist ein umfangreicher, historisch-politischer Essay, der natürlich ohne einen Exkurs über die USA nicht vollständig wäre, denn die beiden Nachbarn trennt eine über 3.000 Kilometer lange Grenze.

    Sie ist mehr als nur die Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten. Sie ist die Grenze zwischen den USA und Lateinamerika, und sie ist die einzige Grenze zwischen der industrialisierten und der Dritten Welt.

    Die Grenze war 1962 für Carlos Fuentes so verschlossen, wie heute für Abertausende seiner verzweifelten Landsleute, die alle Gefahren auf sich nehmen, um die schwer bewachte Grenze zu überwinden und im Nachbarland Arbeit zu finden. 1962 hatte ihn eine große amerikanische Fernsehgesellschaft eingeladen. Die amerikanische Regierung verweigerte dem Schriftsteller jedoch das Einreisevisum. Keine amerikanische Publikumszeitschrift hat später den Text der Fernsehansprache gedruckt. In dieser "Rede an die Bürger der USA" zeigte Fuentes die Probleme des Subkontinents auf, verbunden mit einer offenen Anklage gegen das Verhalten der USA:

    Südlich Eurer Grenze, meine Freunde in den Vereinigten Staaten, erstreckt sich ein Kontinent, der sich in voller Gärung befindet, ein Kontinent, der unermessliche Reichtümer birgt, und der dennoch in einem solchen Elend und einer solchen Trostlosigkeit lebt, wie ihr sie nie gekannt habt und euch kaum vorstellen könnt. Investitionen? Ja, ihr habt zehn Milliarden Dollar in Lateinamerika investiert. Merkwürdig ist nur, dass wir von altersher eure Investitionen bekommen und noch immer so arm sind wie vorher. Ihr müsst begreifen, dass es nur einen einzigen Ausweg für die Lateinamerikaner gibt - diese Strukturen mit einem Schlag zerstören.

    Kuba und die bärtigen Revolutionäre um Fidel Castro und Che Guevara waren damals Fuentes' Vorbilder. Mit dem "Fall Padilla", einem kritischen kubanischen Autor, der auf der roten Insel 1971 inhaftiert wurde, begann die Distanzierung Fuentes von der Revolution, deren heutigen Zustand er heftig kritisiert. Doch als 1979 die Sandinisten in Nicaragua den Diktator Somoza stürzten und die USA sich in Mittelamerika brutal einzumischen begannen, ging er erneut hart mit der Regierung in Washington ins Gericht. 1986 schrieb er in "Newsweek" über die nordamerikanische Unterstützung der "Contras":

    Die Verballhornung der Sprache durch Präsident Reagan, wenn er diese Plünderer "Freiheitskämpfer" nennt, ist eine Beleidigung für die Geschichte sowohl der Vereinigten Staaten als auch der Lateinamerikas. Seien wir offen: Man will die Macht über Nicaragua, nicht die Demokratie für Nicaragua.

    Carlos Fuentes' Kritik an den USA spiegelt häufig die Position der mexikanischen Regierung wider. Diese hat stets einen unabhängigen Kurs gegenüber Washington aufrechtzuerhalten versucht. So auch im Falle Zentralamerikas. Fuentes, der von 1975 bis 1977 mexikanischer Botschafter in Paris war und die mexikanische Delegation in Nord-Süd-Verhandlungen leitete, ist seiner politischen Linie treu geblieben, auch wenn er den revolutionären Impetus verloren hat. Er geißelte noch kürzlich die verheerenden Gefahren des Neoliberalismus für die Armen Lateinamerikas. Ohne Umschweife kritisierte er 1990 die US-Invasion in Panama:

    Sie fahren fort zu bestimmen, was gut und was schlecht ist für die anderen.

    Den Imperialismus des mächtigen Nachbarn hat auch Mexiko direkt zu spüren bekommen. Fuentes erinnert die USA daran,

    ... dass der Mexikaner, der über die Grenze geht, sich auf mexikanischem Boden befindet und da bleibt, denn dieses Land jenseits des Rio Bravo war Jahrhunderte lang spanisch-mexikanisch.

    Santa Ana war Präsident des unabhängigen Mexiko, als die USA 1846 in den Nachbarstaat einfielen. In "Landschaft im klaren Licht", das 1958 erschien und den internationalen Ruhm von Fuentes begründete, ist eine Szene festgehalten:


    Old Zack's in Monterrey, bringt euren Santa Ana nur her, heben wir ein Gewehr, so fällt ein Mexikaner - braune Hügel von Buenavista, Hain, der den Cerro Gordo umgibt, stumme Glocken von Puebla, und schließlich: Der Rat von Mexiko protestiert entschieden im Namen seiner Mitglieder vor dem Angesicht der Welt und dem kommandierenden General des nordamerikanischen Heeres; und wenn auch die Wechselfälle die Stadt in die Gewalt der Vereinigten Staaten gegeben haben, so wird sie sich doch nun und nimmer freiwillig einem anderen Herrn, einer Person oder Autorität unterordnen als denen, die aus der von der Regierung der Mexikanischen Republik angenommenen Bundesverfassung hervorgehen, ungeachtet der Dauer der tatsächlichen Besetzung.

    1848 musste Mexiko Texas, Neu-Mexiko, Arizona und Teile von Kalifornien an die USA abtreten. Viele Mexikaner haben bis heute nicht verwinden können, dass sie die Hälfte ihres damaligen Territoriums verloren haben. Und: Abermillionen Mexikaner sind bislang über die Grenze nach Norden emigriert.

    Es ist womöglich ein Akt höherer Gerechtigkeit, dass die hispanische Welt jetzt über die Vereinigten Staaten zu einem Teil ihres überlieferten Erbes in der westlichen Hemisphäre zurückkehrt.

    Doch stoßen zwei sehr verschiedene Kulturen an einer ebenso sichtbaren wie unsichtbaren Grenze aufeinander - eine Grenze ...

    ... der protestantischen, kapitalistischen, nordischen Kultur und der indomediterranen, katholischen, der widersprüchlich individualistischen und kollektivistischen, barocken Kultur der Verquickung verschiedener Kulte und Religion.

    In "Die Jahre mit Laura Diaz" heißt es:

    Über der Darstellung der Arbeit und der Maschinen fand sich eine Heilige Jungfrau in einem armseligen Perkalkleid mit kleinen weißen Kügelchen wie irgendeine Verkäuferin in einem Detroiter Warenhaus. Sie hob ein nacktes Kind hoch, das ebenfalls eine Aureole hatte, und vergebens suchte sie Beistand im Blick eines Zimmermanns, der Mutter und Kind den Rücken zukehrte. Der Zimmermann hielt seine Arbeitsgeräte, Hammer und Nägel, in der einen Hand, zwei Kreuzbalken in der anderen. Sein Heiligenschein war verblasst und bildete einen deutlichen Kontrast zum leuchtenden Karminrot des Fahnenmeers, das die Heilige Familie von den Maschinen und Arbeitern trennte. Das Gemurmel nahm zu, als die Schleier fielen. Spott und Parodie, eine Verspottung der Kapitalisten, die ihn beauftragt hatten, eine Parodie des Geistes von Detroit. Gotteslästerung, Kommunismus.

    Fuentes, der in zwei Kulturen groß geworden ist und lebt, sieht in der Konfrontation eine wechselseitige Bereicherung. Das Andere ist eine Herausforderung. Carlos Fuentes ist davon überzeugt, dass der kulturelle Einfluss Mexikos - über die Mexikaner, die dort leben - auf die Vereinigten Staaten mindestens so stark sei wie der kulturelle Einfluss der USA auf Mexiko.

    Frida hatte dort viele Freunde, es begeisterte sie, mit ihnen zum Einkaufen und ins Kino zu gehen, es gab ein Festival mit Tarzanfilmen, das sie nicht verpassen wollte, Filme mit Gorillas gefielen ihr sehr, 'King Kong' hatte sie sich neunmal angesehen, diese Filme gaben ihr die gute Laune zurück, sie lachte über sie, lachte und lachte.

    Fuentes - ein unverbesserlicher Optimist?

    Die Vereinigten Staaten tragen ihre Kultur, ihren Einfluss durch Filme, Musik, Bücher, Ideen, Journalismus, Politik und Sprache in alle Länder Lateinamerikas. Das macht uns keine Sorgen, weil wir das Gefühl haben, dass unsere eigene Kultur stark genug ist und dass die Enchilada im Endeffekt neben dem Hamburger bestehen kann. Kulturen blühen nur im Kontakt miteinander, isoliert welken sie dahin.

    Ein Beitrag von Karl Ludolf Hübener. Hier noch die bibliographischen Angaben zu den erwähnten Büchern von Carlos Fuentes. "Die Jahre mit Laura Díaz" ist in der Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart und München erschienen, 560 Seiten zu 49,80 DM. "Landschaft im klaren Licht" ist ebenfalls bei der DVA erschienen. "Der vergrabene Spiegel. Die Geschichte der hispanischen Welt" schließlich wird von Hoffmann und Campe in Hamburg verlegt.