Archiv


Caryl Churchills ''Die Kopien''

Ein kurzes Stück über das Klonen. Bin ich noch ich, wenn es eine genetisch exakte Kopie von mir gibt? Oder gar mehrere? Eine ganze Anzahl, eine Serie? Die englische Stückeschreiberin Caryl Churchill geht einfach mal von der technischen Machbarkeit des Klonens aus und stellt dann die ethisch bedeutsamen Fragen. Allerdings auf eine Art, die das Problem auf die Ebene des familiären Konversationsstücks herunterholt.

Christian Gampert berichtet |
    Natürlich ist das auch eine Gabe: so leichthändig die letzten Probleme der Menschheit abzuhandeln. Zudem eine, die hierzulande nicht gerade verbreitet ist. Seit den "Top Girls" ist Churchill für diesen Ton berühmt. Aus der italienischen Komödie kennen wir den Typus Mensch, der in mehreren Rollen auftaucht, der sich verstellt und verkleidet und alle an der Nase herumführt. Und doch er selber bleibt. Eine soziale Vervielfältigung. Churchill macht es nun genau andersrum, und, wenn man den Kulturpessimisten glaubt, ist dies auch die Horrorvision der Zukunft: Mehrere Leute sehen völlig gleich aus, haben das identische Erbmaterial. Und dennoch sind sie ganz verschiedene Individuen; weil der soziale Faktor sie dann doch in unterschiedliche Karrieren und Lebenswege führt. Aber sie fühlen sich natürlich um ihre Einmaligkeit betrogen, wenn ihnen auf der Straße plötzlich ihr Spiegelbild, ihre exakte Kopie entgegentritt. Oder wenn sie von einem Arzt erfahren müssen, dass es da noch welche gibt, "die so sind wie ich", und zwar eine ganze 20iger-Serie, eine illegal geklonte Versuchsreihe.

    Genau das passiert Bernard, dem Sohn des einstens offenbar schwer alkoholabhängigen Salter. Während aber Bernard sich noch für das Original hält, weiß der Vater bereits, dass auch Bernard eine Kopie ist, Kopie eines verschollenen Bruders, der angeblich mit der Mutter bei einem Autounfall ums Leben kam. Bernard ist Teil der 20iger-Auflage.

    Wenn man den Kritiken glauben darf, hat der englische Regisseur James Macdonald die deutschsprachige Erstaufführung vor knapp 3 Wochen an der Berliner Schaubühne relativ boulevardesk in Szene gesetzt. Falk Richter, der das Stück mit seinen vielen Halbsätzen und vagen Andeutungen auch übersetzt hat, tastend und auf eine fast musikalische Weise, macht das in Zürich ganz anders. Was nicht heißt, dass es nicht bisweilen auch komisch ist. Aber Richter belässt das Zwei-Personen-Stück in einer schönen, kammerspielartigen Konzentration, er inszeniert all die Unsicherheiten und Verlegenheiten, die sich aus dieser Vater-Sohn-Geschichte ergeben. Er unterläuft den Boulevard durch Subtilität und Genauigkeit.

    Drei Episoden, beiläufig erzählt. Zunächst eine fortschrittliche, kumpelhafte Familien-Beziehung, mit Tempo: André Jung, der Vater, mit einer fast schüchternen Gutwilligkeit und Fahrigkeit, voll des schlechten Gewissens. Sebastian Rudolph, der Sohn, mit einem verwirrten, suchenden Tonfall, er ist auf eine staunende Weise empört, dass es von seiner Sorte noch mehrere geben soll. Das sind Menschen! Ob man die mal kennen lernen kann? Soll er eine Party geben? Mit einer verzweifelten Hast fallen Vater und Sohn einander ständig ins Wort, umkreisen das Ungeheuerliche, das da geschehen ist und für das der Vater Verantwortung trägt, der gleichwohl diesen zweiten, diesen geklonten Sohn liebt.

    Dann zieht sich André Jung eine Hausjacke an, und Sebastian Rudolph kommt als verschollener Original-Bernard zurück, tätowiert, mit Lederhose, beringten Fingern und böser Halbwelt-Attitüde, ein Schläger, ein aggressiver Unsympath, und langsam entblättert sich das Geheimnis: dass der Vater früher einmal überfordert war mit der Versorgung des nun missratenen kleinen Kindes, dass er den Jungen weggeben musste, dass er ihn wiederhaben wollte nach Überwindung seines Alkoholproblems, genau diesen wollte er, den er verloren hatte, dass er ihn klonen ließ.

    Was mit der Mutter geschah, bleibt im Unklaren, wie so vieles bei Caryl Churchill. War es ein Unfall? Oder Selbstmord? Ist sie einfach nur gegangen? Das ist die Stärke der Autorin: alles nur anzutippen, den Personen ihr Geheimnis zu lassen. Was weniger schön ist: dass Bernard 1, der durch schlechten Einfluss Verrohte, Bernard 2, den intellektuellen Guten, umbringen muss. Hier wird das Kain-und-Abel-Motiv mal so nebenbei abgehandelt, mit englischem Understatement. Das ist theatralisch sehr cool, aber auch sehr unangemessen. Schließlich zeigt uns Falk Richter noch die gelungene Variante der Klon-Serie, einen glücklich lächelnden Mathematik-Lehrer, der blaue Socken und Bananeneis mag, viel mehr kann er über sich kaum erzählen: die Banalität des Guten.

    Sebastian Rudolph gewinnt auch dieser tumben Version des Sohnes noch eine kleine Tragik ab – ein vorsichtiger, ungeheuer reflektierter Schauspieler, der einmal ein ganz Großer werden wird. André Jung ist das schon: er erkundet die Hilflosigkeit eines Alleinerziehers, müde, verlegen, mit vielen Selbstzweifeln. Das Bühnenbild von Katrin Hoffmann nimmt einrichtungstechnisch das biologische Motiv der Verdopplung auf; und die Inszenierung spielt sehr locker mit den Verdunklungsmöglichkeiten der Alltagssprache und den Grenzen des Sagbaren. Eine kluge Theaterarbeit, ein Kabinettstück.

    Link: mehr ...

    1082.html