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Castor auf dem Weg nach Lubmin

Der Atommüll wird wohl verzögert in Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern ankommen. Denn Demonstranten haben sich auf den Gleisen angekettet. In Bauwägen, Zelten und auf Strohsäcken warten Hunderte von Gegnern unter freiem Himmel auf den Zug.

Von Peter Marx |
    Das kleine Seebad Lubmin in Vorpommern kennt bessere Zeiten: Früher besuchten vor allem Urlauber aus Berlin die Hafenstadt mit dem kilometerlangen Sandstrand. Heute erinnern nur noch verwitterte Hinweisschilder entlang der schmalen Zufahrtsstraße, die von Greifswald direkt zum ehemaligen DDR-Atomkraftwerk führt. Die heutigen Besucher stehen dick eingemummt in kleinen Gruppen entlang der Schienen, rollen Protestplakate aus und stellen gelbe Kreuze auf.

    "Wir freuen uns schon, wir haben schöne Plätze ausgesucht, möglichst dicht an der Schiene und es ist wunderschönes Wetter. Wir freuen uns, dass auch die Beamten gut gelaunt sind und wir mal anständig gegen den Castor demonstrieren können."

    Am Horizont sind die Kühltürme des stillgelegten Kraftwerkes zu sehen, auf denen inzwischen Kiefern wachsen. Daneben, in den acht braunen, rund 18 Meter hohen Hallen nisten Turmfalken. Nur eine Halle ist für die Lagerung von hoch radioaktivem Müll ausgelegt - das sogenannte Zwischenlager Nord: rund zwei Hektar groß mit Platz für insgesamt 80 Castoren-Behälter. In den übrigen Hallen befinden sich radioaktive Großteile und Reststoffe, die schwach beziehungsweise mittelstark kontaminiert sind. Dazu gehören Dampferzeuger und Teile des Reaktorgehäuses.

    An diesen Zustand, so schien es, hatten sich die Menschen im Land seit der Wiedervereinigung gewöhnt. So sehen es jedenfalls die einheimischen Demonstranten aus Mecklenburg-Vorpommern, die diesmal, nicht wie früher, in der Mehrheit sind.

    "Es gibt sehr viel Verdrängung, was den Atommüll in Lubmin angeht. Das Problem der Lagerung dieses Mülls ist einfach nicht gelöst. Und es ist ein großer Erfolg, wenn dieses nicht mehr verdrängt wird, sondern es uns klar wird, wenn wir nichts tun, kriegen wir das Atomklo nach Lubmin."

    Inzwischen ist die Stimmung regelrecht gekippt, ergänzt Ulrich Söffka, Landesgeschäftsführer der Grünen:

    "Ich denke, dass inzwischen ein Funke übergesprungen ist von Gorleben nach Lubmin und das resultiert vor allem daher, dass sich die Rahmenbedingungen geändert haben. Es gab durchaus eine Anti-Atomkraft-Bewegung zu DDR-Zeiten schon und dieser Widerstand gegen die Atomenergie hat dann mit der Wende deutlich nachgelassen, weil auch die Anlässe nachgelassen haben."

    Ein Grund dafür ist sicherlich der aufflackernde Wahlkampf im Bundesland. Im September sind Landtagswahlen und grüne Themen - jedenfalls bis zur Wahl- sehr geschätzt bei allen Parteien. Angefangen beim SPD- Ministerpräsidenten Erwin Sellerring:

    "Wir sind gegen die bevorstehenden Atommülltransporte nach Lubmin und wir sind erst recht, gegen die schleichende Umwandlung Lubmins in ein atomares Endlager. Mich ärgert das, dass die Bundesregierung Atomschrott aus dem Westen in Lubmin einwandern will und das wir diese Transporte mit unserer Landespolizei auch noch absichern müssen."

    Bis hin zum CDU-Herausforderer und derzeitigen Innenminister Lorenz Caffier, der, wie er sagt, gegen seine Überzeugung handeln muss:

    "Es ist Eigentum der Bundesrepublik Deutschland. Und schon meine Vorgänger haben dazu einen umfangreichen Schriftverkehr mit Herrn Trittin beziehungsweise mit Herrn Gabriel geführt, in dem alle zur Kenntnis nehmen mussten, dass wir rechtlich als Land, keine Handhabe haben, diese Castoren-Transporte nicht zu genehmigen, sondern die Genehmigungsbehörde ist die Bundesrepublik Deutschland und dementsprechend ist auch ein Innenminister, der jetzt wieder einen riesigen Aufwand mit Polizei etc. betreibt nicht sonderlich glücklich über den Transport."

    Was die Atomkraft-Gegner weniger freut: Auch die NPD, im Landtag vertreten, nutzt die Castor-Transporte politisch aus und präsentiert sich im Land als Umweltschutzpartei. Wobei die NPD ihre Heimat-Ideologie mit dem wachsenden Atomkraft-Widerstand verbindet, so Felix Leipholt von der Anti-Atomkraft-Bewegung:

    "Sie wollen diese Region politisch ganz allein besetzen. Jetzt kommt da eine Bewegung, die ganz neu ist. Sie wollen einfach diese Region für sich alleine haben als national befreite Zone und da spielen wir ein bisschen dagegen."

    Doch unter den Mahnwachen entlang der 22 Kilometer Gleisstrecke zwischen Greifswald und Lubmin wurde diesmal kein Nazi entdeckt. "Vielleicht, so amüsiert sich ein Demonstrant, "mögen Nazis keine deutsche Kälte."